Dieter Kersten - September 1999    
Editorial    
     
 

Liebe Mitstreiterinnen, liebe Mitstreiter, sehr geehrte Damen und Herren,

in dieser Ausgabe veröffentliche ich einige Texte, die zwar bereits in Tageszeitungen standen, aber in der bundesdeutschen …ffentlichkeit kaum Beachtung gefunden haben. Der Text aus dem HAMBURGER ABENDBLATT auf Seite 2 ff ist in der sehr gut geordneten Homepage (Internet) dieser Zeitung nicht zu finden. Tradition, Absicht, Versehen? Den Beitrag von Gregor Gysi habe ich bewußt mit den Text- auszügen aus einem Interview der BERLINER ZEITUNG mit dem us - amerikanischen Schriftsteller Gore Vidal gemischt. Den Hinweis darauf habe ich einem Artikel von Prof. Emil Schlee in STIMME DES GEWISSENS entnommen.. Die BERLINER ZEITUNG hat den Text von Gore Vidal in ihrer Homepage veröffentlicht. Die Polemik von Gore Vidal auf Seite 6 habe ich der Zeitschrift DIE WOCHE (bisher ohne Homepage) vom 17. Juli entnommen Den Beitrag von Gysi konnte ich der Hompage der Wochenzeitschrift FREITAG entnehmen.

Amüsiert habe ich mich darüber, daß ein so strammer Deutscher, wie Herr Schlee, sich auf einen US - Amerikaner bezieht, dessen moralischer Ruf, zumindestens in der Diktion der Rechtsradikalen um die STIMME DES GEWISSENS herum, als fragwürdig bezeichnet werden kann. Jeder Skrupel wird zur Seite gefegt, sobald man einen (Verschwörungs-) Zeugen hat, der der Macht nahe stehen könnte: Gore Vidal ist ein Cousin des us - amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore, und nicht nur das, er wird dem Freundeskreis um den ermordeten Präsidenten Kennedy zugerechnet und gehört zu den Freunden von Clinton.

Von dem Gerede über Weltverschwörungen habe ich mich immer fernzuhalten versucht. Natürlich gibt es Verschwörungen und selbstverständlich können diese Verschwörungen zum Nachteil von Völkern und Staaten sein. Wenn zwei Menschen sich absprechen und diese Absprache "geheim" halten, dann verschwören sie sich. Je größer die Macht dieser beiden Menschen oder auch von mehr Menschen und/oder Institutionen ist, desto wirksamer kann eine Verschwörung sein. Sie kann zu menschlichen und politischen Katastrophen führen. Aber zu Verschwörungen gehören immer zwei Seiten: die Verschwörer und diejenigen, gegen die verschworen wird. Der interessante Beitrag aus dem HAMBURGER ABENDBLATT sollte dazu führen, daß wir Deutschen die britischen Völker über die Perfidie der Kampagne in der britischen Presse aufklären. Wenn wir, das Volk, und unsere Repräsentanten, schweigen, werden wir in der Tat einer Verschwörung gegen uns Deutsche Vorschub leisten.

Dabei sollten wir das Bild nicht zu klein machen: es geht bei alledem nicht nur um Deutschland, sondern um Mitteleuropa. Die Beiträge auf den Seiten 2 bis 6 zeigen einmal mehr, wie notwendig es ist, ein militärisch neutrales Europa zu schaffen, in dem Deutschland waffenfrei wird. Vielleicht ist die Einrichtung des Postens außenpolitischer Koordinator der EU ein erster Schritt zu einem politischen Selbstbewußtsein Europas, welches Voraussetzung für eine aktive Neutralität gegenüber der zur Zeit einzigen Supermacht dieser Erde, den USA, ist. Ob der derzeitige NATO -Generalsekretär Solana der richtige Mann dafür ist, wird sich zeigen. Ich wage, das zu bezweifeln. Er hat sich im Jugoslawien - Krieg zu sehr als us - amerikanisches Sprachrohr betätigt.

Es wird in den nächsten Jahren eine Inflation von militärischen Hochrüstungen auf dieser Erde geben, die für die Mensch- heit gefährlicher sein werden, als die Zweiblock - Ordnung vor 1990. Ich weine dieser Zweiblock-Ordnung nicht nach. Deren Auflösung hat uns nicht nur die deutsche Einheit gebracht, sondern die Chance einer neuen politischen Standortbestimmung. Die Gefährdung geht von einem zügellosen Machtstreben der Einewelt - Protagonisten im angloamerikanischen Raum aus. Murdoch und Co. sind Trittbrettfahrer und Täter zugleich.

Welche Rolle in den britisch-deutschen-französischen Beziehungen das Blair-Schröder Papier spielt, weiß ich nicht. Vielleicht sind in diesem Zusammenhang die Äußerungen des us - amerikanischen Kulturwisssenschaftlers Richard Sennett in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 16. Juli unter der Überschrift Ich kann nichts mehr über die Postmoderne lesen mit der Unterüberschrift Im Gespräch: Der Kulturwissenschaftler Richard Sennett über das neue Interesse am …konomischen, Tony Blairs Dritten Weg als rechtes Programm und über offenes Schreiben Hinweise. Frage: Die Briten mit ihrem dritten Weg bemühen sich ja auch um eine transatlantische Allianz; Tony Blair hat sein Konzept sogar in New York vor Bill Clinton präsentiert. Welche Chancen geben Sie diesen Kooperationen? Antwort: Ich bin da sehr skeptisch. Was man hier in Europa christlich - sozial nennt, würde in den USA am linken Flügel der Demokratischen Partei angesiedelt sein. Bill Clinton würde in Deutschland ein Christdemokrat sein, irgendwo rechts von Helmut Kohl. Wenn Clinton und Blair miteinander sprechen, dann verwenden sie zwar dieselben Worte, aber sie meinen etwas völlig Anderes. Es gibt etwas, was die Europäer an den USA nicht verstehen, nämlich wie konservativ dieses Land ist. Und auf eine andere Frage: Die regierenden Sozialdemokraten auf dem europäischen Kontinent sind im Moment vor allem mit der Frage beschäftigt, ob sie jenen dritten Weg übernehmen sollten, den Tony Blair in Großbritannien eingeschlagen hat. Was würden Sie Schröder, Jospin & Co. raten? antwortet Sennett: Für mich ist der dritte Weg kein fortschrittliches Programm jenseits von links und recht. Es ist die …konomie der Rechten, nur halt netter. Mir scheint das alles ziemlich hohlköpfig. Das ganze Gerede um den dritten Weg beschäftigt natürlich viele Linke, weil sie eine andere Version einer sozialistischen Gesellschaft wollen. Aber das erfordert keine Auflösung der Differenz von links und rechts, sondern eine neue, wirkliche Linke. ....

Die Standortbestimmung Deutschlands und Europas muß innenpolitisch beginnen. Es gehen große Risse durch die deutsche und die europäische Gesellschaft: die Politiker jedweder Farbe verachten ihr Volk (das Volk ist dumm) und die Bürger verachten die Politiker (die Politiker sind arrogant und inkompetent). Die Wissenschaft mit ihrer teilweise unverständlichen Sprache verachtet gleichermaßen das Volk; die wenigen aufgeklärten Bürger verachten große Teile der Wissenschaft. Die Macher der Medien stehen auf der Seite der Politiker und der unverständlichen Wissenschaft und der wesentliche Inhalt ihrer Ausbildung ist die Schere im Kopf. Wenn überhaupt eine Erneuerung mit dem Ziel einer Standortbestimmung geschehen kann, dann nur von der Basis, vom Volk aus. Wieviel Leidensdruck muß auf den Völkern lasten, bis sie beginnen zu denken und zu handeln?

Zumindestens in Deutschland müssen wir uns immer wieder die Frage stellen, warum politische Neuordnungsideen, wie die von Steiner, Gesell und Mahraun, nicht wenigstens in der …ffentlichkeit diskutiert und damit gebrauchsfertig gemacht werden. Aber Zinsen, Gehälter und Pensionen sprudeln noch zu üppig und die wirklich großen Katastrophen ziehen sich über Jahrzehnte hin und sind dadurch nicht spürbar. Auf Seite 7 bringe ich eine Glosse über die Zukunft, aus einer deutschsprachigen argentinischen Zeitung. Wird bei uns über die Zukunft gesprochen?

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

abgeschlossen 10. September 1999

 
     
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