Dieter Kersten - Januar 2004    
Editorial    
     
  Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

das Gespräch mit den us-amerikanischen Schriftsteller Gore Vidal, welches ich auf Seite 2 ff. dokumentiere, sollte Anlaß sein, die „europäische Idee“ zu überprüfen. Wir müssen in den nächsten Monaten über Europa nachdenken, und zwar in ergebnis- offenen Diskussionen (Untersuchungen, Besprechungen, Meinungsaustausch, Aussprachen) und Diskursen (Unterredungen, Gesprächen).

Wenn Gore Vidal Montesquieu zitiert - "Eine Republik ist unvereinbar mit einem Imperium! Man kann nicht beides haben!" - so gilt das für einen republikanischen Staatenbund (die wenigen formalen europäischen Monarchien sind dabei zu vernachlässigen), wie es das bisherige Europa darzustellen scheint, erst recht, es sei denn, dieser Staatenbund sieht sich selber als Teil der von den us-amerikanischen Imperialisten beanspruchten Zivilisation.

Aber haben Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Kriegsminister Peter Struck die Ergebnisse einer Diskussion bzw. eines Diskurses nicht schon vorformuliert? Kanzler Schröder verteidigt zusammen mit dem Imperium USA die Zivilisation gegen „Terroristen“ und der Kriegsminster die Bundesrepublik Deutschland am Hindukusch. Ohne nachzudenken, wird die Stellung Europas im imperialen Weltgeflecht festgeschrieben.

Was eigentlich ist dieses EU-Europa? Ein Staatenbund? Ein Wirtschaftsraum? Ein bürokratisches, steuergeldsaugendes Monster, welches seine „Wichtigkeit“ selbst erzeugt und damit zu einem „Erdrücker“ der wenigen „Freiheiten“ wird, die sich die Völker Europas im Laufe der Jahrhunderte erkämpft haben, oder ein Werkzeug der Turbokapitalisten? Ich denke, Europa, das institutionelle Europa, hat von jedem etwas. Vor allen Dingen aber ist es ein großer Irrtum - es ist ein illegitimes Kind des „Kalten Krieges“, und kein Aufbruch der europäischen Völker zu einer Einheit und einer Vielfalt der Kulturen und Nationen, wie er 1817 auf der Wartburg und 1832 in Hambach versucht worden ist, wo der Polnische Adler von der Trikolore und von Schwarzrotgold gerahmt wurde.

Diese beiden Jahreszahlen begründen wahrscheinlich den Irrtum Polens 2003, „die modernen Kreuzritter .... die den Osten des Kontinentes verwestlichen“ wollen, durch eine Blockade einer europäischen Verfassung hindern zu können. Diese Textsplitter stammen aus der Überschrift eines Beitrages von Wolfgang Ullmann in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 12. Dezember.

Oder ist es gar kein Irrtum? Polen hat, imperial konsequent, die imperialen Ansprüche der USA unterstützt, indem es den Irak-Krieg ohne UNO-Mandat nicht nur gebilligt, sondern als Besatzungsmacht im Irak stützt. Das hat Polen gegen Frankreich und gegen Deutschland „europäisch“ durchgesetzt.

Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Textstelle aus einem Beitrag von Gottfried Fischborn einfügen, der anläßlich des 200-jährigen Todestages von Johann Gottfried Herder, des preußischbaltischen protestantischen Predigers und Philosophen, ebenfalls in FREITAG vom 12. Dezember erschienen ist: > Auf Herders produktiv aneignendes Verhältnis zu den Slawen (wie zu den Balten), das freilich von einer rousseauistischen Verklärung der Frühzeit nicht frei ist, wird man gewiss anläßlich der bevorstehenden EU-Erweiterung zurückkommen. Es ist in diesen Völkern seit dem 19. Jahrhundert registriert und in den nationalen Emanzipationsbetrebungen dankbar aufgenommen worden. Seinen Höhepunkt fand es in dem berühmten sechzehnten, dem so genannten „Slawenkapitel“ der Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit: „ So werdet auch ihr so tief versunkene, einst fleißige und glückliche Völker endlich einmal von eurem langen, trägen Schlaf ermuntert, von euren Sklavenketten befreiet, eure schönen Gegenden ... als Eigenthum nutzen und eure alten Feste des ruhigen Fleißes und des Handels auf ihnen feiern dürfen.“ <.

Die äußerst wichtige Frage, weshalb das deutsch-polnische Verhältnis nicht genau so gut ist, wie das deutsch-französische, kann ich leider nicht beantworten. Die notwendige Beantwortung dieser Frage scheint mir aber einer der Medizinen für das kranke Europa zu sein.

Ich bin, de Gaulle folgend, für ein Europa der Vaterländer, darüberhinaus für eine europäische Freihandelszone und die Rückgabe europäischer Verantwortlichkeiten an die einzelnen europäischen Regierungen. Das würde heißen, daß fast der ganze europäische, bürokratische Apparat aufgelöst werden muß. „Einigungsarbeit“ muß von Neuem und von unten mit frischen Ideen stattfinden. Nur der Kalte Krieg hat die Mißgeburt Westeuropa zustande gebracht.

Der Verzicht auf das Europa des Kalten Krieges und der Bürokratie sollte die politische Zusammenarbeit in Gesamteuropa beflügeln, weil sie auf keine pseudo - ideologische Gegnerschaft gegründet ist, sondern auf die gemeinsame Freiheit des demokratischen Miteinanders. In einem neuen Europa muß die direkte Demokratie der Schlüssel zum gesellschaftlichen Frieden sein.

Wir brauchen kein Europäisches Imperium. Imperien sind immer Skavenhalterstaaten: die Sklaven der Zivilisationen us-amerikanischer Prägung sind die Menschen der 2. und 3. Welt. Wir sollten da nicht mitmachen.

Europa, auch Polen, als eines der Kernstücke Europas, muß um des Weltfriedens willen strikte militärische Neutralität in den Welthändeln der USA einhalten. Zum Schluß bringe ich ein Zitat aus einem Beitrag von Dipl.-Päd. Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr, in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 19. Dezember 2003: Dieser Beitrag trägt die Überschrift Den Bruch riskieren und die Unterüberschrift Eine Frage der künftigen Weltordnung: Warum Europäer an einem Scheitern der Amerikaner im Irak interessiert sein sollten.: > Entgegen den Suggestionen unerschütterlicher Atlantiker liegt eine erfolgreiche Inkorperation der blitzkriegsartig eroberten Republik Irak in das Imperium Americanum keineswegs im Interesse Europas. Im Gegenteil, gewichtige Gründe lassen ein möglichst desaströses Scheitern der imperialen Ambitionen als notwendig erscheinen. Aus Sicht der EU kann es nur darum gehen, dem Trend zu einer ökonomischen Kolonialisierung des Planeten mit militärischen Mitteln - und darum geht es im Kern - unter allen Umständen entgegenzuwirken. Eine erfolgreiche Unterwerfung des Irak würde einer globalen Hegemonie der USA weiteren Vorschub leisten und den (Präventiv-) Krieg als völkerrechtskonformes Instrument der Außenpolitik legimentieren. ... <

Ich danke allen Lesern für die prompte Überweisung des Jahresbezugegebühr 2004 und für die großzügigen Aufrundungen. Solche Spenden dienen der notwendigen Werbung für die NEUE POLITIK.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

Abgeschlossen 16. Januar 2004

 
     
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