Dieter Kersten - Oktober 2006    
Editorial    
     
 

Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

die NEUE POLITIK ist keine Zeitung, sondern ein Kommentar- und Informationsbrief. In einer (Tages-)Zeitung sollten Nachrichten und Kommentare getrennt werden. Das lernt jeder Journalist in der ersten Vorlesung. In einem Kommentar- und Informationsbrief laufen Informationen und Kommentare vielfach ineinander über. Das ist auch bei der NEUEN POLITIK der Fall. Ich bemühe mich zwar, wo es möglich und nötig ist, Nachrichten und Kommentare zu trennen, schon deshalb, um die publizistisch-politische Richtung, die ich vertrete, sichtbar zu machen. Ich kann ohnehin nicht mit einer Tageszeitung konkurrieren.

Auf Seite 6 finden Sie einen Beitrag unseres Mitstreiters Martin Rust unter der Überschrift Frühherbstlese. Die Unterüberschrift Ein Korrespondenz-Bericht habe ich nach Absprache hinzugefügt. Ich finde, daß in seinen Berichten die Informationen in eine Propaganda für politische Richtungen umschlagen, die nicht der politisch-publizistischen Vorstellungen des Kommentar- und Informationsbrief NEUE POLITIK entsprechen. Herr Rust jedoch ist der festen Überzeugung, daß er in seinem Bericht sehr streng nur die Auffassungen der Vortragenden wiedergegeben hat. Sehen wir uns die Auffassungen der Vortragenden an.

Auch ein chinesischer "Germanistik-Professor aus Taiwan mit vorzüglichen Deutschkenntnissen" denkt meines Erachtens politisch falsch, wenn er für sein Land "um politischen Respekt ... fleht", "Einreiseverbot" seiner politischen Klasse "auch aus privaten Gründen" beklagt (was immer das bedeutet?) und schließlich noch das "Damoklesschwert des Leidens, der Angst und der Unsicherheit" sieht. Respekt erwirbt man sich, und alles andere wird dann respektvoll gelöst. Der Herr Professor kann nur mit der Naivität seiner Zuhörer gerechnet haben, die kaum etwas über die Geschichte und die gegenwärtige extreme neoliberale Wirtschaftspolitik Taiwans zu wissen scheinen. Widerspruch aus dem Publikum ist offensichtlich nicht geäußert worden.

Wenn ich an Taiwan denke, dann aktuell besonders an den taiwanesischen Handy-Hersteller BenQ und seine 3 000 Mitarbeiter in Deutschland, die jetzt entlassen werden sollen. Es klingt mehr als pathetisch, wenn der taiwanesische Professor vom "Damoklesschwert des Leidens, der Angst und der Unsicherheit" spricht.

Ich denke aber auch an die Geschichte Taiwans als "Republik China". Taiwan wurde 1949 mit Hilfe der US-Amerikaner zur Fluchtinsel für den korrupten konservativen chinesischen Generalissimus Tschiangkaischeck, der seinen Staat auf Taiwan "Republik China" nannte. Das Zitat in dem Bericht von Martin Rust, "die KP regiere China, aber sie vertrete China nicht", ist, wenn der Partei- und Staatsname ausgewechselt wird, auf eine Vielzahl der Staaten dieser Erde anwendbar, auch auf manche "demokratische" Staaten. Denken Sie nur an die USA.

Auch der Bericht über Religiosität und Kirchlichkeit in Europa befriedigt keinesfalls. Die Blutspur der Kirchen in Europa endet plötzlich in einer unverbindlichen "Wellness-Spiritualität"? Und das alles ist der Beweis dafür, daß wir nicht "säkularisiert" sind? Hier fällt mir wieder auf, daß offensichtlich keiner die Ausführungen des Wiener Professors hinterfragt hat. Oder war der Vortrag tatsächlich so mager, wie er im Bericht erscheint?

Naja, und dann Chatham House: Ein unbekannt bleibende britischer Diplomat schwätzt über politische und militärische Fehlleistungen seiner Regierung und der US-Regierung, die in der Öffentlichkeit schon lange, zusammen mit den Namen der Verantwortlichen, bekannt sind. Auch imponiert mir nicht die so genannten "Chatham House Rule" ("Regeln für das Chatham House"). Je schlechter Innen- und Außenpolitik werden, desto geheimnisvoller wird getan. Wir haben schon genug "Geheimdiplomatie". Diese ist "schön spannend, da
geheimnisvoll", aber sie zeigt mehr denn je die Unfähigkeit der politischen Repräsentanten der Völker, optimale Lösungen für die anstehenden Probleme zu finden.

Im übrigen bin ich für Freiheit, Offenheit und direkte Demokratie.

Bei der Gelegenheit weise ich auf den Beitrag auf Seite 3 von Otto Köhler Wir sind Deutschland und Du bist Bertelsmann hin. Eine "deutsche" Familie, die Familie Bertelsmann/Mohr, gepäppelt vom "Wirtschaftswunder-Volk der Alt-BRD", bestimmt mit dem materiellen Gewicht einer "deutschen Stiftung", wie und wo es in der "deutschen" Politik lang geht - natürlich an den "deutschen" Parlamenten vorbei. Eine solche Einflußnahme wäre vielleicht noch vertretbar, wenn es auf "der anderen Seite" , auf der Seite der Freiheit, eine entsprechende Stiftung als Ausgleich geben würde.

"Ein Berg hat gekreist und eine Maus ist geboren worden". Selbst die Bertelsmann-Stiftung als Think Tank der Konservativen konnte nicht verhindern, daß bei den Verhandlungen über die künftige Gesundheitspolitik keine für den Bürger tragfähige Lösung herausgekommen ist. Für die Parteien war nicht eine neue Gesundheits- (Krankheits-) Politik wichtig, sondern ihre Wahlchancen bei den nächsten Landtagswahlen. Bei CDU und CSU war das besonders deutlich. Alle so genannten staatstragenden Parteien, auch diejenigen, die nicht an der Bundesregierung beteiligt sind, haben seit 1949 sichtbar, aus niedrigen Beweggründen und aus Unfähigkeit, eine neue, andere Gesundheitspolitik verhindert. Inzwischen ist die sachliche Gemengelage so kompliziert, daß die Probleme alleine durch neue Gesetze nicht zu lösen sind.

Wir müssen eine Volks-Grundsatzdiskussion führen, wohin wir mit einem millardenschweren Krankheitsetat wollen. Ob wir z.B. eine Pharma- und Medizingeräteindustrie unterstützen wollen, die der Auffassung ist, daß nur wir Deutschen alle Entwicklungskosten zu tragen haben. In anderen Ländern stellen sich diese Industrien dem Wettbewerb und mit einem Mal sind Arzneien und Geräte wesentlich billiger. Meine Hausärztin kauft ihre persönlichen Medikamente nur in Griechenland, weil sie dort billiger sind.

Aber funktioniert das mit der Volks-Grundsatzdiskussion, die wir auch in der Verkehrspolitik und in der Sozial- und Wirtschaftspolitik führen müssen? Wir müssen es wenigstens versuchen. Wir müssen überall "Runde Tische" (Nachbarschaften) initiieren, an oder in denen die Parteipolitiker Rede und Antwort stehen sollen. Die Experten dürfen wir nicht nur bei der staatlich subventionierten Wissenschaft suchen, sondern vor allen Dingen bei den nicht-akademischen Außenseitern.

Wenn wir unser Leben nicht selber in die Hand nehmen, dann werden wir uns in den nächsten Jahren in einem Überwachungsstaat wiederfinden, der mit den schlimmsten Diktaturen des vorigen Jahrhunderts konkurrieren kann.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

(abgeschlossen am 20. Oktober 2006)

 
     
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