Dieter Kersten - Juli / August 2001    
Strassenfest: Karneval Der Kulturen Der Welt
Konzert: Bruckner
Konzert: Mozart, Jacob, Ben-Heim, Haydn & van Delden
Musical: Wecker "Schwejk it easy"
 
     
 

Mein Bericht beginnt diesmal mit dem Straüenumzug, der jedes Jahr zu Pfingsten in Berlin von der WERKSTATT DER KULTUREN veranstaltet wird und KARNEVAL DER KULTUREN DER WELT genannt wird. Ich stand am 3. Juni mit Nils und seinem Freund Philipp am Südstern in Kreuzberg. Etwa 4000 Akteure aus 70 Ländern, fast alle in Berlin lebend, zogen vorüber. Die Stimmung bei den Zuschauern und bei den Akteuren war vorzüglich. Die Berliner sind solchen Ereignissen gegenüber sehr zurückhaltend. Wenn sie klatschen, dann ist es schon die absolute Höhe emotionaler Zustimmung. Es war ein buntes Bild, welches vielleicht noch bunter gewesen wäre, wenn die deutschen Landsmannschaften mit ihren Trachten und ihren kulturellen Besonderheiten dabei gewesen wären. Aber dazu fehlt uns Deutschen das Selbstbewuütsein, uns als eine Kulturnation unter Kulturnationen zu verstehen. Entweder wir schnappen über und sehen uns als den Nabel der Welt oder wir verkriechen uns, bis wir unsichtbar geworden sind. Ich würde es auch begrüüen, wenn der KARNEVAL DER KULTUREN DER WELT durch Berlin-Hellersdorf und/oder Berlin - Marzahn ziehen könnte, damit die > ewig gestrigen < in unserem Volk endlich mal mitbekommen, wie viel Kultur andere Völker, die auch anders aussehen, haben. Planen Sie für Pfingsten 2002 Ihren Besuch in Berlin.

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Am 16. Juni war ich in Redefin. Diesen Ausflug nach Mecklenburg - Vorpommern habe ich meiner Schwester zu verdanken, die mich zu einem Picknick - Pferde - Sinfoniekonzert eingeladen hatte. Redefin liegt auf der B5 zwischen Ludwigslust und Boitzenburg. Das ist ein Teil der alten Transitstrecke zwischen Berlin und Hamburg aus der Zeit der Teilung Deutschlands. In Redefin befindet sich ein Landgestüt, welches 1812 durch Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin zum Zwecke der Verbesserung der Pferdezucht gegründet wurde. Pferde hatten bis Anfang des 20. Jahrhunderts die gleiche wirtschaftliche Bedeutung wie heutzutage die Autoindustrie. Wir können uns das kaum mehr vorstellen, wir, die mit 100 Pferdestärken und mehr, meistens nur mit einer Person, durch eine von geteerten oder betonierten Straüen kaputtgemachte Landschaft jagen. Kein Fürst konnte sich 100 Pferde fürs Privatvergnügen leisten.
Das Landgestüt befindet sich noch in der Phase der Rekonstruktion. Es ist von kulturhistorischer Bedeutung, eine solche Anlage zu erhalten. Ebenso wichtig ist es, daü Pferderassen erhalten und gepflegt werden. Gerade in dem Zeitalter der scheinbar unbegrenzten "Technik-Euphorie" ist der Kontakt des Menschen zu einem seiner treuesten Begleiter durch die Jahrtausende sehr wichtig.
Am Nachmittag fanden Vorführungen mit Hengsten statt. Ich bin ein absoluter Laie, aber ich denke, ich mache keinen Fehler, wenn ich schreibe, es waren rundum sehr edle Tiere, die gezeigt wurden. Um 18 Uhr begann das Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin (früher RSO Berlin) unter der Leitung von Kent Nagano. Es wurde die Sinfonie Nr. 8 c-Moll von Anton Bruckner gespielt. Bruckner, ein Zeitgenosse Wagners, dessen Musik ebenso wuchtig wie aber anders (moderner?) ist, lebte von 1824 bis 1896. Es wird geschildert, daü Bruckner sein Werk, durch mangelndes Selbstvertrauen, nach Einwendungen und Kritiken sehr oft änderte, nicht immer zum Vorteil des Werkes. Die gespielte Fassung wurde als die bezeichnet, die dem Original am nächsten kommt.
Das Konzert fand im Rahmen der Festspiele Mecklenburg - Vorpommern, Adresse: Graf-Schack-Allee 11, 19053 Schwerin, Tel. 0385-591 85 0, Fax 0385 - 591 85 10, www.festspiele-mv.de ,statt.
Auf der Rückfahrt hielten wir uns kurz in Ludwigslust, auf der Plattenburg und in Havelberg auf. Über die drei Orte und über die herrliche Landschaft werde ich später berichten, wenn ich mir diese Orte näher angesehen habe.

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Freunde nahmen mich am 19. Juni zum 33. Dahlemer Musikabend mit. Diese Musikabende finden im Japanisch-Deutschen-Zentrum Berlin, Saargemünder Straüe 2, 14195 Berlin statt. Der Besuch ist kostenfrei. Sie können ein Programm anfordern.
Über den Ort: Anstelle eines us-amerikanischen Clubs neben dem ursprünglichen us-amerikanischen Hauptquartier in West-Berlin ist ein sehenswertes Japanisch-Deutsches Kulturzentrum entstanden.
Der Musikabend wurde vom Flötenquartett der Magdeburgischen Philharmonie bespielt. Die Hauptperson in diesem Quartett war unumstritten Atsuko Koga, die derzeitige Solopiccoloflötistin in der Magdeburgischen Philharmonie. Sie war die einzige Japanerin in dem Quartett. Gespielt wurden Wolfgang Amadeus Mozart, Gordon Jacob, Paul Ben-Heim, Joseph Haydn und Lex van Delden. Es wurden insgesamt sechs Stücke geboten, und zwar so, daü die "Modernen" von den Klassikern eingerahmt waren. Böse Zungen behaupten ja, daü das deshalb so gemacht wird, damit die zuhörenden Menschen nicht wegrennen, weil sie die "Modernen" nicht hören wollen. Auch ich muü ehrlich gestehen, daü ich mit den "Modernen" nicht sehr viel anzufangen weiü. Gordon Jacob, Brite, lebte von 1895 bis 1984, Paul Ben-Heim, Deutsch-Israeli, lebte von 1897 bis 1984, Lex van Delden, Niederländer, lebte von 1919 bis 1988. Über Mozart und Haydn brauche ich wohl keine Worte zu verlieren.

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Am 21. Juni schlieülich war ich noch einmal (siehe Bericht in der Ausgabe Juni) im THEATER DES WESTENS und habe mir diesmal das Musical Schwejk it easy! angesehen und angehört. Der brave Soldat Schwejk, eine Figur aus der nicht mehr existierenden tschechisch-böhmisch-österreichisch-deutschen Kultur des beginnenden 20. Jahrhunderts in der Stadt Prag hätte es verdient, daü man etwas sorgfältiger mit ihr umgegangen wäre. Schwejk, Anarchist, gewaltlos, wie ein echter Anarchist es sein sollte, Kriegsgegner, Oligarchie-Kritiker reinsten Wassers. ein Mann mit viel Mutterwitz, wird in diesem Musical sehr oberflächlich vermarktet. Immer dann, wenn Schwejk politisch werden will, dann schwingt das Ballett, höchst professionell, die Beinchen, und es wird nicht zugelassen, daü das Publikum über den immer noch aktuellen Krieg und die Herrschaft der Bürokratie und des Geldes nachdenkt.
Konstantin Wecker schrieb die Musik, die Songtexte waren Gemeinschaftsarbeit von Konstantin Wecker, Peter Blaikner und Michael Korth. Vielleicht waren es auch Kompromiütexte? Vielleicht sind sie auch den allgemeinen Oberflächlickeiten zuzuordnen, die in vielen gesellschaftlich - kulturellen Bereichen heutzutage üblich sind? Die Musik war laut; auch hier habe ich den Eindruck, daü die Lautstärke manche Qualitätsmängel verdecken muü. Vor kurzem hörte ich im Radio, daü zu laute Musik aggressiv macht. Vielleicht soll das so sein. "Moderne" >> Musikkultur << als Brot und Spiele und Ablenkung von der zunehmenden Kriminalisierung der Politik.
Der Musicalabend war sehr schlecht besucht. Nur ein Drittel der Plätze waren besetzt. Auch eine Volksabstimmung!

 
     
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