Dieter Kersten - Mai 2002    
Ballett: Patrice Bart "Gisell"
Konzert: Szymanowski & Schubert
Konzert: Mozart & Bruckner
Theater: Sándor Márai "Die Glut"
 
     
 

> Giselle, ein hübsches Dorfmädchen, hat sich in einen schönen Fremden verliebt. Sie weiü nicht, wer er ist < , so beginnt der 1. Akt des Balletts Giselle, Musik von Adolphe Adam, Choreographie und Inszenierung von Patrice Bart nach Jean Coralli und Jules Perrot.
Adolphe Adam, französischer Komponist mit elsässischen Wurzeln, geboren am 24. Juli 1803 in Paris, gestorben am 3. Mai 1856 ebenfalls in Paris, schuf mit Giselle ein "phantastisches" Ballett, welches, im europäischen Geist, auf Märchen und Sagen aus vielen Teilen des Kontinents Bezug nimmt. Selbst unser groüer deutscher Dichter Heinrich Heine wird als Gewährsmann genannt. Es geht um ein armes, tugendhaftes Mädchen und ihren Prinzen, nicht ganz so tugendhaft, sowie der Braut des Prinzen. Im dramatisch-romantischen 1. Akt geht es um die Liebe des ungleichen Pärchens und der dramatischen Aufklärung des Betruges mit dem gewaltsamen Ende Giselles.
> Kaum sichtbar erscheinen weiüe Schatten. Wer sind diese körperlosen Wesen? Es sind die Wilis, die Seelen der von einem untreuen Liebhaber in Stich gelassenen Mädchen. Sie rächen sich an den Männern, indem sie sie des Nachts in die Finsternis locken, um sie zu Tode zu tanzen.< So beginnt der 2. Akt. ebenfalls dramatisch-romantisch. Er fordert ein Opfer und er befreit den fürstlichen Liebhaber. Ein Märchen vergangener Zeiten auf der Bühne der Deutschen Staatsoper, Unter den Linden, in Berlin-Mitte.
Ich sah das Ballett am 3. März 2002. Ich nannte bereits Jean Coralli und Jules Perrot. Diese beiden, im 19. Jahrhundert berühmte Choreographen waren für die Uraufführung am 28. Juni 1841 in Paris an der Académie Royale de la Musique verantwortlich. Die Berliner Erstaufführung fand am 5. Mai 1843 an der Königlichen Hofoper statt.
Patrice Bart besorgte die Inszenierung der Neuproduktion. Die erste Aufführung fand am 6. Dezember 2000 statt. Bart orientierte sich an der Pariser Erstinszenierung des 19. Jahrhunderts. Also keine auf "modern" getrimmte Aufführung, mit der sich modernistische Choreographen zu schmücken versuchen. Auch das Bühnenbild scheint sich an alten Vorlagen zu orientieren. Der gesamte 1. Akt ist deshalb auch für einen Ballettneuling im Handlungsablauf nachzuvollziehen. Die Spannung bleibt vom Anfang bis zum Ende erhalten. Im 2. Akt hält sich diese Berliner Neuinszenierung leider nicht an die alten Vorlagen. In der Uraufführung erschienen die Geister, die Wilis, in den Trachten der Volksgruppen, aus denen die Seelen der im Stich gelassenen Mädchen stammen. Ein farbiges Bild, welches den Tanz hätte besser erklären können als eine sparsame Pantomime. Deshalb war der 2. Akt, musikalisch ohnehin in vielen Teilen eine Wiederholung, todlangweilig. Schade, es hätte nicht sein brauchen.
Für Kinder jeden Alters ist nach meiner Meinung ein solches Ballett im alten, romantischen Stil ein guter Einstieg in die Betrachtung einer Kunstform, die heutzutage nicht gerade im Brennpunkt des Interesses steht. Die gesehene Aufführung, am Sonntag, begann um 16 Uhr, und diese Zeit war sicher für die Familien gedacht. Statt dessen war das Haus nur zu Hälfte besetzt und Familien waren in der Minderheit. Schade!

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Im Japanisch-Deutschen-Zentrum Berlin, Saargemünder Straüe 2, 14195 Berlin, Tel. 839 070 finden regelmäüig Musikabende statt. Der Eintritt ist frei.
Am 18. März besuchte ich den 41. Dahlemer Musikabend, auf dem das Sakura Quartett zwei Stücke spielte, deren Kompositionszeit fast 100 Jahre auseinanderliegt.. Es wurde gespielt: Karol Szymanowski = Streichquartett Nr. 1 C-Dur und Franz Schubert = Streichquartett in d-Moll "Der Tod und das Mädchen".
Karol Szymanowski "gilt als die einfluüreichste Persönlichkeit des polnischen Musiklebens". Er lebte von 1882 bis 1937. Das Streichquartett entstand in Herbst 1917. Als wir in die Pause gingen, sagte mein Freund Bernhard Schaeffer zu mir: > eine kranke Musik, in einer kranken Zeit entstanden <. Ich nickte mit dem Kopf.
Franz Schubert, geboren 1797, gestorben 1828, ist nur 31 Jahre alt geworden und hat unter ausgesprochen schlechten Lebensbedingungen ein umfangreiches Werk geschaffen. Für viele Musikkenner ist Schubert ein musikalischer Eckpfeiler der Romantik .in der Musik. Das Streichquartett hat aber für mein Gehör wenig Romantik zu bieten. Wenn nicht auf dem Programmzettel Franz Schubert stehen würden, könnte es, ich bitte um Verzeihung, lieber Leserin, lieber Leser, fast als ein Werk von Karol Szymanowski durchgehen. Wir haben es nach dem Konzert nicht mehr diskutiert.
"Der Tod und das Mädchen" ist ein Gedicht von Matthias Claudius, geboren 1740 und gestorben 1815.
Die Konzerte in dem Japanisch-Deutschen-Zentrum Berlin sind immer gut besucht. Das Sakura Quartett ist ein vorzüglicher Klangkörper. Herzlichen Dank an unsere japanischen Freunde, die einen solchen Abend ermöglichten

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Freunde luden mich in das Konzerthaus Berlin ein. Das Haus befindet sich am Gendarmenmarkt und heiüt bei vielen Berlinern immer noch Schauspielhaus. Es ist ein durch und durch bemerkenswertes Haus, sowohl von den Proportionen als auch vom Stil. Das 77 m lange, 50 m tiefe und 36 m hohe Gebäude wurde 1818-21 nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel anstelle des 1817 abgebrannten Theaterhauses von Carl-Gotthard Langhans errichtet und gilt als einer der imposantesten Bauten des Berliner Klassizismus. Das Haus wurde im 2. Weltkrieg fast völlig zerstört und nach Sicherungsarbeiten in den 50iger Jahren ab 1977 originalgetreu rekonstruiert.
Ich hörte in diesem Haus am 12. April das Berliner Sinfonieorchester, und zwar das Konzert für Klavier und Orchester d-Moll KV 466 von Wolfgang Amadeus Mozart und die Sinfonie Nr. 3 d-Moll von Anton Bruckner.
Mozart (1756-1791) komponierte das Klavierkonzert offenbar in groüer Eile Anfang Februar 1785. Als Schluüdatum der Partitur trug Mozart den 10. Februar 1785 ein. Bereits am folgenden Tag fand die Uraufführung in einer > Akademie < (so hieüen damals die Subskriptionskonzerte) "auf der Mehlgrube" vor 150 zahlenden Subskribenten statt. Solist am 11. Februar 1785 war Wolfgang Amadeus Mozart selber. Am 12. April 2002 war es der Solist Oleg Maisenberg, Professor für Klavier an der Wiener Musikhochschule. Dirigent war Walter Weller.
Ich hatte den Eindruck, daü der Flügel, auf dem Herr Maisenburg spielte, einen sehr harten Klang hatte. Vielleicht war es auch ein zu harter Anschlag des Solisten? Ich bin zu wenig Fachmann, um das zu entscheiden. Es kam hinzu, daü wir in der ersten Reihe saüen, was zumindestens im Konzerthaus am Gendarmenmarkt bei solchen Konzerten nicht zu empfehlen ist. Mozarts Klavierkonzert ist ein Orchesterstück mit einem groüen Klangvolumen und ein gewisser Abstand lohnt sich durchaus.
Ein noch gröüeres Klangvolumen hat die Sinfonie Nr. 3 von Bruckner (1724-1896). Bruckner ist ja nicht nur ein Zeitgenosse Wagners, er hat die Sinfonie auch Wagner "in aller Ehrfurcht" gewidmet.
Die Uraufführung fand am 16. Dezember 1877 in der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde statt und war ein totaler Miüerfolg. Dennoch fand Bruckner unter seinen Enthusiasten einen Verleger. Kein geringerer als Gustav Mahler arrangierte einen Klavierauszug für vier Hände.
Am 12. April 2002 wurde die Sinfonie in der Fassung von 1889 gespielt. Bruckner hat sie mehrmals umgearbeitet..
Beide Konzertstücke wurden vom Berliner Sinfonieorchester sehr farbig und mit groüem Engagement gespielt. Der Konzert- abend war fast ausverkauft, bei ca. 1200 Sitzplätzen ein kulturelles Ausrufungs- zeichen.

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Ein kulturelles Ausrufungszeichen war auch ein Theaterstück, welches ich einen Tag später, am Sonnabend, den 13. 4. im Schloßpark-Theater im Berlin-Steglitz sah. Ich habe der Intendanz von Heribert Sasse ein so ernstes Stück kaum zugetraut. Es geht um das Stück Die Glut von Sándor Márai, Deutsch von Christina Viragh, Bühnenfassung von Knut Boeser.
Sándor Márai, ein Ungar deutsch-sächsischer Herkunft lebte von 1900-1989. Sein literarisches Werk ist facettenreich und umfaüt Romane, Essays, Dramen, Tagebücher, Reisebeschreibungen und autobiographische Texte. In seinen Werken beschreibt er gerne die verlorene Zeit der österreichischen KuK.-Monarchie bzw. deren Nachzeit aus dem Blickwinkel eines Rückblick-Sehnsüchtigen.
All denjenigen, die sich fragen, was ihnen das Theaterstück Die Glut als Denkanstoü im Jahr 2002 bieten kann, muü ich eine abstrakte Antwort geben: nur wenn jemand in der Lage ist, den Fortgang der gesellschaftlichen Entwicklungen als Kontinuitäten zu begreifen, wird den archaischen Inhalt des Stückes auf die Neuzeit übertragen können.
Es geht um zwei Freunde, Adlige, die sich seit ihrer Kinder-Internats-und Kadetten- Zeit kennen. Der eine, Henrik, ist reich und stammt aus einer traditions-und selbstbewuüten Familie, der andere, Konrad, ist arm und stammt aus kurzzeitigem und gesellschaftlich unsicherem Beamtenadel. Beide sind alt geworden und haben sich 41 Jahre nicht gesehen. Sie treffen sich und bearbeiten ihre gemeinsame Vergangenheit, zu der die Frau von Konrad gehört, die längst verstorben ist. Das Gespräch kreist um die gegenseitigen und gemeinsamen Empfindlichkeiten, um einen Mordversuch, um Liebe, um Schuld und Sühne. Es sind dramatische Monologe und Dispute, die an einigen Stellen durch Nini, eine hellwache Hausangestellte, begleitet werden.
Es sind drei vorzügliche Schauspieler, Ezard Hauümann, Stefan Lisewski und Emese Fáy, die den Theaterabend ausfüllen. Das Haus war bis auf den letzten Platz ausverkauft.
Das Buch Die Glut von Sándor Márai biete ich in der beiliegenden Bestelliste an.

 
     
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