Dieter Kersten - Oktober 2004    
Ausflug: Schloß Köpenick
Reisebericht: Wörlitz, Dessau und Oranienbaum
 
     
 

Neben Theater, Oper und Konzert hat Berlin natürlich noch andere Glanzlichter der Kultur zu bieten. Diese Glanzlichter sind meistens mit sehr viel Geschichte verbunden, aber auch mit Mythen und Geschichten. Ich bin ein gebürtiger Berliner. Trotzdem habe ich noch nicht alles kulturell Interessante in und um Berlin gesehen und auf manches, schon öfters gesehene fällt bei erneutem Besuch ein anderer Blick.

In Berlin-Köpenick bin ich schon seit Jahren nicht gewesen. Es liegt, wie der Berliner aus Mitte und dem geographischen Westen sagt - j.w.d. - "janz weit draußen". Am Sonnabend, dem 24. Juli, bin ich bei schönem Wetter mit einem Freund und der Berliner S-Bahn in diesen Berliner Bezirk im geographischen Osten gefahren, der den historischen Überlieferungen nach der älteste Teil von Groß-Berlin sein soll.

Übrigens, die Berlin-Köpenicker sagen, genau wie die Berlin-Spandauer, wenn sie Richtung Brandenburger Tor fahren, sie fahren nach Berlin.

Um 720 unserer Zeitrechnung haben sich die Sprewanen in Köpenick angesiedelt. In anderen Quellen heißen sie Liutizen. 1232 erhält Köpenick Stadtrecht. Am 1. Oktober 1920 wird Köpenick der 16. Verwaltungsbezirk von Berlin. Dazwischen gibt es natürlich viele wichtige Daten, aber der Platz reicht hier nicht dafür.

Ziel unseres Ausfluges war das Köpenicker Schloß. Bevor das Barockschloß in der jetzigen Form entstand, hatte es mehrere Vorläufer. An der Stelle standen die Wasserburgen der Slawen/Wenden und ein Renaissance-Schloß des Kurfürsten Joachim II. In dem jetzt real vorhandenen Schloß ist ein Teil des Kunstgewerbemuseums Berlin untergebracht. Schloßräume und Museum sind äußerst sehenswert.

Am 28. Oktober 1730 fand im Wappensaal des Köpenicker Schlosses der Kriegsgerichtsprozeß gegen den Kronprinzen Friedrich (später König Friedrich II. in Preußen, "der Große" genannt) und gegen seine Freunde Katte und Keith, statt. Das Gericht begnadigte den Kronprinzen und verurteilte seine beiden Flucht-Kameraden zu lebenslänglicher Haft. Der König und Vater des Kronprinzen tobte, kassierte das Urteil und ließ Katte vor den Augen seines Sohnes in Küstrin hinrichten. Diese Untat des jähzornigen Soldatenkönigs hatte eine tiefe, negative psychologische Wirkung auf Friedrich II. und bestimmte seine Politik und damit auch die deutsche Geschichte bis 1945.

Von 1830 bis 1851 war im Keller des Schlosses ein Gefängnis untergebracht, wo so genannte "Demagogen", Staatsfeinde, festgehalten wurden. Der wohl bekannteste Gefangene war der Mundartdichter Fritz Reuter, ein Aktiver der Deutschen Freiheitsbewegung, welche 1817 auf der Wartburg entstanden war.

Das Schloß liegt direkt am Müggelsee, ein beliebtes Ausflugsziel der Berliner. Der Schloßgarten ist klein, aber fein.

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Am 26./27. August waren wir, mein Neffe Jan, seine Frau Claudia, meine noch sehr kleine Großnichte Lara und ich in Wörlitz, Dessau und Oranienbaum. Das ist eine Reise, die ich Ihnen empfehlen kann. Wenn Sie sich dann noch den Reiseführer bestellen, den ich in der beiliegenden Bestelliste aufgeführt haben, sind Sie bestens ausgerüstet. Sie können sich auch kundig machen, indem Sie die Internetseite www.gartenreich.com besuchen.

Wie so oft, ist das Original, nämlich der mir vorliegende Reiseführer, der beste aller Formulierer, zumal ich nirgendwo in meiner Bibliothek, auch nicht in den Lexika, eine Darstellung der Aufklärung in dem kleinen Fürstentum Anhalt-Dessau gefunden habe. Ich zitiere die Seiten 16 ff. und zu Anfang Goethe:
> Ein wohladministriertes und zugleich äußerlich geschmücktes Land, eine schöne, durch Kunst verherrlichte Gegend. <

"Es ist eigentlich durch den regierenden Fürsten selbst, daß sich dieses Ländchen zu der Stufe von Wohlstand und Kultur erhoben hat", schrieb 1800 Woerlitzein reisender Holländer, und die Zahl der sich noch exaltierter äußernden aufgeklärten Zeitgenossen ist Legion, die "das schönste Land des Reiches" priesen wie Fürst von Ligne, oder Goethe, der hier wie alle Aufklärer im pädagogischen Dessau die "pädagogische Provinz" des Zeitalters verwirklicht fand: Ein MUSEUM DER WELTKULTUR war in der langen Regierungszeit (fast 60 Jahre) des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (Regierungsantritt 1758) entstanden, den das Volk dankbar den Vater Franz nannte. Man pries das Eden des Fürsten von Dessau, das Elysium (Goethe und Matthisson), das irdische Paradies (Weltreisende wie Forster und Humboldt, aber auch der Berliner Revolutionssympathisant Riem), und der selbst gärtnernde Fürst von Ligne rief seinen Zeitgenossen zu: "Gärtner, Maler, Philosophen, Dichter - geht nach Wörlitz", wo die europäische Gartenkunst gipfele in den "Tempeln des Geschmacks und der Wohltätigkeit" und man echtes Gestalten der Humanität lerne: Die Gartenkunst als höchste der Künste, die Franz zum Höhepunkt geführt habe, auf die alle Entwicklung hinauslaufe.

Wer war dieser Mann und wie kam es zu diesem Gipfel eines Gesamtkunstwerks, das Wieland die "Zierde und den Inbegriff des 18. Jahrhunderts" genannt hat? Der revolutionäre süddeutsche Publizist Wekhrlin akkompagniert ihm: "Was für ein anziehender Ort ist dieses Dessau. Nirgends findet man den Mittelpunkt des Einfachen und des Erhabenen so sehr. Niemals haben sich Philosophie und Künste in einem kleinern Ort vereinigt. Vielleicht gibt es auf der kultivirten Erde keinen Flek, welcher den Blik des denkenden und empfindsamen Reisenden so sehr verdient, welcher die Einbildungskraft mehr beschäftigt und so viel Gegenstände der Bewunderung enthält."

Warum sind dieser Mann und sein imponierendes Werk heute nahezu vergessen, worin bestanden die aufklärerischen Leistungen des Dessau-Wörlitzer Kulturkreises, der bewußt von der preußisch-deutschen Geschichtsschreibung totgeschwiegen wurde, schon weil sein Premierminister Georg Heinrich von Berenhorst, der einst im Stabe Friedrichs II. die Gefallenenregister geführt hatte, in seinen "Betrachtungen über die Kriegskunst" die menschenverachtende Kriegsfiihrung des "Großen, des Einzigen" schonungslos an den Pranger gestellt und ihn den "Totengräber" genannt hatte? Der junge Prinz aus "kriegerischem Hause" (Winckelmann) sollte wie seine Vorfahren und Verwandten (der Alte Dessauer war sein Großvater) ein Feldmarschall zu Preußens Gloria werden, wozu er auch alle Anlagen zu haben schien. Aber schon vor den Mauern von Prag 1757 ließ er durch seinen Vormund Fürst Dietrich - die Eltern hatte er als Elfjähriger verloren - seinen Abschied betreiben, um zum Wohl seines Landes zu studieren. Gleich nach dem Hubertusburger Frieden bereiste er mit seinem Herzensfreund, dem jungen sächsischen Adligen Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, das Land seiner Sehnsüchte, das wirtschaftlich vorangeschrittene England, das ihn noch dreimal wiedersah, und hatte dann in halbjährigem Direktstudium bei Winckelmann in Rom und Italien die kostbaren Hinterlassenschaften der Antike kennengelernt, Pompeji besucht und den Vesuv erstiegen. Winckelmanns Nachahmungstheorie der Alten (1755) blieb bis an sein Ende eine Leitlinie seines künstlerischen Wollens.

Aber zunächst galt es, in seinem Reformprogramm, das die Aufklärer an dem Friedensfürsten so bewunderten, der durch Friedrichs Kriege vermehrten Armut Herr zu werden und der Unbildung und den daraus erwachsenden Vorurteilen zu Leibe zu rücken. Das Armenproblem wurde durch ein hervorragend organisiertes Armenwesen (Erdmannsdorffs erster Großbau war das Armen- und Arbeitshaus 1766, 1945 ausgebrannt, 1958 gesprengt) gelöst, das unentgeltliche gesundheitliche Betreuung einschloß. Anhalt-Dessaus soziale Reformen und sein Gesundheitswesen wurden vorbildlich, im Endeffekt war es das erste Land, das die Jennersche Kuhpockenimpfung gesetzlich einführte, nachdem die Blatternimpfung bereits für die Aufnahme am Philanthropin Pflicht geworden war.

Den größten Ruhm als Schulverbesserer errang Franz durch die Berufung des verketzerten Johann Bernhard Basedow (1724-1790) 1771 und die Eröffnung der Musterschule der Aufklärung, des Philanthropins (1774), der Schule der Menschenfreundlichkeit, die einer ganzen Epoche der deutschen WoerlitzSchulgeschichte den Namen gab: Philanthropismus. Hier sollten "kein Federhut und eine reicher besetzte Tafel mehr den Bürger vom Edelmann unterscheiden", was man u.a. durch die Anstaltsuniform erreichte. Eine fröhliche Erziehung ohne Prügelstrafe, ein unbefangenes Lehrer-Schüler-Verhältnis löste die Paukschule alter Prägung ab. Man erstrebte Anschaulichkeit des Unterrichts durch Modell- und Naturaliensammlungen, durch Besichtigungen, handwerklichen Unterricht und durch Gartenarbeit. Das Elementarwerk, das Jahrhundertwerk der Pädagogik, das drei Generationen bis in die Romantik als Schulbuch diente, erschien 1774 in Dessau.

Soweit ein Auszug aus dem Reiseführer. Sie können sich vorstellen, wie mich dieser Bericht begeisterte. Wenn in unserem heutigen Schul-Geschichtsunterricht dem Krieg der Fürsten nur 5 Minuten, aber dem Frieden der Fürsten 50 Minuten eingeräumt, und wie es so schön in dem zitierten Text heißt, der Unbildung und den daraus erwachsenden Vorurteilen zu Leibe gerückt werden würde, wir hätten viele Kriege ( und auch Demonstrationen) weniger.

Die Wörlitzer Anlagen wurden von Fürst Franz nicht zum Pläsier (Vergnügen) seiner Familie angelegt, sondern sie waren für Landwirtschaft, Gärtnerei und Obstzüchtung Muster und Versuchsanlagen, Pfanzenzuchtanlagen, die jederfrau und jedermann zugänglich waren. Auch die Architektur sollte durch ihre Schönheit bildend wirken. Die Wörlitzer Anlagen hatten keinen Zaun. Sie waren Teil der Landschaft des Mulde- und Elbe-Tales.

Wir sind dann noch in Oranienbaum gewesen. Stadt, Schloß und der Barockgarten sind im wesentlichen auf die Initiativen von Henriette Catharina von Nassau-Oranien (1637-1708) zurückzuführen, die mit mit Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627-1693) verheiratet war. Es war eine andere Zeit als Oranienbaumdie von Leopold III. Begeistert haben uns die vielen Orangenbäumchen im Garten, wobei wir von einer gerade stattfindenden Führung mitbekamen, daß das Pomeranzen sind, die auch schon im 17./18. Jahrhundert in der Kosmetik-Herstellung Verwendnng fanden.

Übernachtet haben wir in Dessau. Dessau muß im letzten Krieg furchtbar zerstört worden sein, vermutlich wegen der Flugzeugwerke. Beim flüchtigen Stöbern im Internet fand ich auf die Homepage des Dessauer Technikmuseums unter dem Namen Hugo Junkers und die Junkers-Werke u.a. folgenden Text: Im Zeichen eines wachsenden Antisemitismus trat Junkers öffentlich für Frieden und Völkerversöhnung, für Humanität und künstlerische Weltoffenheit ein. Bei einem Staatsempfang am 14. Juni 1927 in Dessau mied Hindenburg mit Junkers zusammenzutreffen. Die Reichswehr, deren höchster Vertreter Hindenburg war, betrachtete die rebellische Aufsässigkeit eines Hugo Junkers gegen den Machtanspruch der schimmernden Wehr als unverzeihlich. Überhaupt verschlechterten sich Junkers Beziehungen zur Reichswehr Ende der zwanziger Jahre und besonders in den frühen dreißiger Jahren erheblich.

Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise hatten auch für die deutsche Flugzeugindustrie katastrophale Folgen. Junkers drohte erneut der wirtschaftliche Bankrott. Einflußreiche Wirtschaftskräfte wollten Junkers aufkaufen oder durch Kreditaufnahme abhängig machen. Er verkaufte sein Dessauer Werk für Gasbadeöfen und Warmwasseranlagen an den Bosch-Konzern. Damit stellte er 1932 nochmals die von ihm beanspruchte Selbständigkeit in den Forschungsanstalten und in den Flugzeug- und Motorenwerken her.

Die Machtübernahme des Faschismus am 30. Januar 1933 war das endgültige Ende für Junkers als Konzernbesitzer und Unternehmer. In der Nacht vom 17. zum 18. Oktober 1933 wurde Junkers gezwungen, 51 Prozent seiner Aktien an den faschistischen Treuhänder Müller zu übergeben. Ende Oktober bzw. spätestens am 4. Dezember 1933 muß der Beschluß gefaßt worden sein, Junkers restlos auszuschalten. Am 6. Dezember 1933 wurde der einstige Flick-Direktor Heinrich Koppenberg zum Aufsichtsratsvorsitzenden in den Dessauer Junkers-Werken eingesetzt. Junkers wurde unter eine Art Ausnahmegesetzgebung gestellt. Ihm wurde das Betreten des Werkes sowie der Besuch Dessaus verboten. Seine Bewegungsfreiheit wurde auf München und Bayrisch-Zell begrenzt. Hugo Junkers starb am 03. Februar 1935 an seinem 76. Geburtstag.

Junkers war ein innovativer Erfinder, und als solcher vielleicht eine Wiedergeburt von Fürst Franz. Das Schicksal von Hugo Junkers war mir genau so wenig bekannt wie die Geschichte von Fürst Franz und der Wörlitzer Anlage. Beide waren friedensfähige Leute, die bis heute der herrschenden Klasse nicht in das Bild von Macht und Profit passen.

Nachtrag: Eine Freundin lieh mir einen Dumont-Reiseführer: Das Dessau-Wörlitzer Gartenreich - Der Traum von der Vernunft. Leider ist dieser Reiseführer vergriffen und auch noch nicht antiquarisch zu haben. Er enthält eine ausführlichere Aufzählung und Beschreibung der Persönlichkeiten, die sich während der Regierungszeit des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (geb. am 10. August 1740, gest. am 9. August 1817) um Dessau und Wörlitz verdient gemacht haben. Der Verfasser Norbert Eisold weist auch darauf hin, daß bei aller Aufklärung der Fürst ein absoluter Herrscher war und auch nicht daran dachte, den Parolen der Französischen Revolution zu folgen. Er war auch nur ein aufgeklärter absoluter Monarch, so wie es der Preußenkönig Friedrich II. war, nur daß Franz sich dem Frieden verpflichtet fühlte. Der Fürst war der größte Landbesitzer in Anhalt-Dessau, nachdem es seinen Vorfahren gelungen war, den einheimischen Adel und Großgrundbesitz mit nicht ganz rechtmäßigen Methoden nach und nach zu vertreiben bzw. zu enteignen. Nach dem Tod des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau verfiel die Kultur der Dessauer Aufklärung immer mehr und verwandelte sich in die Reaktion (bis im 20. Jahrhundert Hitler kam, der ohne einen massenhaften Widerstand der Anhaltiner und Dessauer Hugo Junkers entfernen konnte). Dennoch, oder gerade deswegen sind die Geschichten um das Dessau-Wörlitzer Gartenreich und der kurzen Blüte der Aufklärung in diesem kleinen Fürstentum auch für heute von größter Bedeutung, bis zu Hugo Junkers, und fast wichtiger als die "heroischen" Kriege des Preußenkönigs Friedrich, genannt "der Große".

(D.K.) Ich geriet vor kurzem in die Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin. Im Foyer waren Schautafeln aufgestellt, auf denen sinngemäß die missionarische us-amerikanische Demokratie auf den freien Zugang zu Bibliotheken zurückgeführt wurde. Im Fürstentum Anhalt-Dessau gab es den freien Zugang zu Bibliotheken und Bildung für alle schon im 18. Jahrhundert ohne den Anspruch, weltweiter Heilsbringer zu sein. Vielleicht sollten wir einmal der Frage nachgehen, weshalb in der Geschichte das Modell Anhalt-Dessau gescheitert ist und das anmaßende Modell USA uns als schwere Last auf den Schultern liegt.

 
     
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