Martin Rust - Februar / März 2005    
Filmbesprechung: (Don't) Play with Fire -
(Nicht) mit dem Feuer spielen
 
     
 

Ein kalter Freitagabend, 18 Uhr. Eine Schneefront treibt auf Frankfurt zu, damit auch auf das Friedrich-Hölderlin-Gymnasium. Neun Lehrer versammeln sich dort in der Schulbücherei, um auf einer dringlich einberufenen Klassenkonferenz über die schulische Zukunft des 18jährigen Victor Leysen zu entscheiden. Er wird von der Mutter seiner siebzehnjährigen Mitschülerin und Theaterkollegin Tizia beschuldigt, diese nach der gemeinsamen Theaterprobe im Heizungskeller vergewaltigt zu haben. Aber auch Viktors Vater, ein in den USA lebender Rechtsanwalt, versucht die Schule unter Druck zu setzen. Und so kalt es in der anfangs ungeheizten Schulbibliothek auch ist - die schnell herannahende Schneefront und der Wunsch, nach Hause zu kommen, der äußere Druck auf die Schule und vor allem der Druck zwischen den einzelnen Lehrern, vor allem aber in ihnen, lassen die Hitze bei den Auseinandersetzungen rasch ansteigen...

Regisseur Niki Stein verfilmte im Auftrag des Hessischen Rundfunks und ARTE 2004 in nahezu Echtzeit das Drehbuch von Bodo Kirchhoff über eine Klassenkonferenz. Der Film wurde von ARTE am 4. Februar ausgestrahlt (Sendetermin in der ARD im Herbst). Der Film zeigt von der ersten Sekunde an, um welche Themen es ihm geht: die Darstellung von Einsamkeit und Leidenschaft. Die Musik von Jacki Engleken und Ulrike Spies findet nie über die matten Mollklänge hinaus, während die Kamera von Arthur W. Ahrweiler unbarmherzig fast ständig den Konferenztisch umkreist und die blassen, müden Gesichter einfängt, nur unterbrochen von harten Gegenschnitten frontal auf die Gesichter der Protagonisten gerichtet. Das Licht ist so hart und grausam wie es kalt leuchtende Neonröhren in deutschen Schulen nun mal sind (es wurde in einer echten Schule gedreht) und läßt die Erschöpfungsfalten bei den älteren Lehrern (Ausnahme natürlich: Senta Berger als Schulleiterin Cornelia Cordes) deutlich hervortreten. Im Verlauf der Konferenz wird bei jedem Beteiligten klar, wo die verdeckten oder zugeschütteten Leidenschaften liegen. Und während der Schneefall und die Schärfe der Auseinandersetzung zunehmen, wird deutlich, wie alle auch in ihren Einsamkeiten gefangen sind: das Lehrerehepaar, das sich jahrelang Illusionen über den Charakter ihrer Beziehung gemacht hatte; der schöngeistige Lateinlehrer, der trotz seines einsamen Kämpfens für die Humanität droht, zur Don-Quijote-Gestalt zu werden; auch der junge attraktive Sportlehrer, dem diese Tatsachen bei der Kunstlehrerin nichts nutzen und der trotzdem vom Schüler Leysen der Lächerlichkeit preisgegeben worden ist; im Grunde sogar die Schulleiterin selbst, deren Liebesverhältnis zu einem Kollegen von gleichfalls eben diesem Schüler zerstört wurde.

Ein kalter, ein einsamer Blick in die deutsche PISA-Schule mit bösartigen Schülern und lauter Professor Unrats, die an ihrem eigenen Tun verzweifeln? Vielleicht leistet der Film das auch. Auf jeden Fall ist er in Maske und Ausstattung ein kleines Meisterstück. Warum schaffen es Lehrer in Deutschland seit langem einfach nicht mehr, durch ihr äußeres Erscheinungsbild so etwas wie Abgrenzung und Respekt bei Schülerschaft und Eltern zu erzeugen? Sind Arbeitsplätze für Lehrer wirklich so ungemütlich? Sind Lehrer so selbstgerecht? Ja, doch ehe der Film hier in Klischees versinken kann, wird er von einem großartig agierenden Ensemble aufgefangen. Bis auf drei Schnittwechsel bleiben Kamera und Ensemble kontinuierlich im Raum, am Tisch und verlangen schauspielerische Höchstleistungen, äußerste Konzentration und eine Textsicherheit, die keine Schwächen duldet.

Am Ende, nach mehrfachen Positionswechseln fast aller Beteiligten in der Sache, wird die Entscheidung durch einen alten Titel der Rolling Stones befördert: "(Don't ) Play with Fire". Die Einheit von Raum und Zeit wird aufgehoben, der Schneefall endet und die Charaktere können die Bühne verlassen, nun ihrer selbst und ihrer Einsamkeit mehr gewiß als zuvor? Vielleicht einige, aber nicht alle: die gefällte Entscheidung ist pragmatisch-zynisch und offenbart noch in ihrer Begründung die dahinter stehende Hohlheit des heutigen pädagogischen Klimbims und der zugehörigen Phraseologie. "Don't Play with Fire" - das möchte man an dieser Stelle nicht nur den den Lehrern des Hölderlin-Gymnasiums, sondern zugleich großen Teilen des deutschen Schulwesens und seinen Akteuren zurufen.

Die Konferenz (D 2004) von Niki Stein, mit Senta Berger, Nina Petri, Jan-Gregor Kremp, Rudolf Kowalski, Günter Maria Halmer, Ulrike Kriener, Peter Fitz, Sophie von Kessel, Wotan Wilke Möhring u.a.; 90 Min.; nominiert für den Publikumspreis beim Filmfest München 2004. Ausstrahlung in der ARD im Herbst. Eine anschließende Fortsetzung als Roman ist von Bodo Kirchhoff geplant. Ich bedanke mich bei ARTE für die Überlassung einer Videoaufzeichnung.

 
     
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