Andrea Baumann - Juli / August 2006    

Ein halbes Jahr Rohkost – lecker und viel gelernt!

 
     
 

Ich, Lucie, kam mit meinen Söhnen Maurizius und Arthur (8 und 5) hier auf den derzeit im Umzug befindlichen RAWTREAT-Platz (ein Gelände, auf dem nur Rohkost gegessen wird), mit der Intention, ein Jahr der Stille, Reinigung und Selbstbesinnung einzulegen,  und uns dabei hundertprozentig  roh zu ernähren.

Wir drei sind seit zwei Jahren in Südamerika bzw. seit  einem Jahr in Zentralamerika unterwegs und haben vorher  in Bolivien mit Quetchua-Indios gelebt. Meine Kinder lernen zu Hause, bzw. da wo wir gerade leben. Auf dem Rawtreat-Platz fanden wir unser allerliebstes Rancho. Es ist ein strohbedachtes, seitlich ganz offenes Haus inmitten der grünen, zwitschernden zirpenden Stille. Maurizius meinte mal, wir hätten Riesenfernseher nach allen Seiten; man sieht knallbunte Vögel, Tucane, Käfer und Schmetterlinge, hundertköpfige Affenrudel (leider sehr an unseren Bananen interessiert) und natürlich Pflanzen wohin das Auge blickt (allerdings auch Riesenspinnen). Man kann das Treiben der interessantesten Raupen, kleinen und riesigen Echsen und Insekten beobachten z.B. die Geburt einer Babykakerlake (die süßen Kleinen wachsen offensichtlich, wie bei uns Menschen, im Bauch ihrer Mutter heran, vielleicht ist das was rauskommt auch erst mal ein Vorstadium der Kakerlake, was sich erst noch verpuppen muß) oder eine blaugelbe Eidechse, die ihren Kehlkopf zu einer orange-schimmernden Riesenblase aufbläst.

Ansonsten lernte Maurizius hier jeden morgen (außer, wenn er mal keine Lust hatte) mit einem seiner vier Arbeitsbücher für  die 2. Klasse, Mathe, Spanisch, Sachkunde und einem Schreibbuch, welches er jetzt auch hat.

Ja, und dann die Sache mit der Rohkost, eine neue Hauptlernerfahrung für uns alle drei.

Ich hätte mir für dieses, seit langem angestrebtes Projekt, keinen besseren Ort als RAWTREAT vorstellen können, wo man sein Essen nicht vom Shop, sondern von den Bäumen und Palmen holt, durchgehend geöffnet, wenn auch nicht immer tragend. Und nun muß ich mich zurückhalten, um nicht seitenlang über die bombastischen Zapoten, die riechen wie Amaretto- Marzipan (Maurizius: „besser als Marzipanstollen!“), oder die Rollinas zu schwärmen. Sie schmecken wie göttlich süße Milchcreme. Ich lief immer gleich morgens, wie eine Süchtige, zu diesen Bäumen und glaube, daß diese Frucht therapeutisch für alle diejenigen wirkt, die als Baby nicht gestillt wurden. Mit Rollina-Milchcreme kann man sich von seiner größeren Mama, der Erdenmutter, nachträglich vegan, stillen lassen. Ganzjährig  gab es unter anderem verschiedene Bananensorten (Filipitas: karamellig süß, kleine und große Apfelbananen, und Quadrados: cremig und süß) und Pipas, also Trinkkokosnüsse in ihren verschiedenen Reifestadien, von der himm- lisch-zartsüssen Kokosmilch mit weichem Lecker-Schlabberfleisch der jungen Kokosnuß bis zur alten, neukeimenden Nuß, in der sich ein zuckerwatteartiges, saftiges Bällchen befindet, nämlich das „Kokos¨ Embryo“. Wir nannten es „Käsi-Bällchen“, weil der Geschmack auch an Käse erinnert. Drumherum ist eine Schicht aus knackigen „Kokoschips“, triefend vor reinem edelsten Kokosöl. Mit diesem Fett kann man z.B. italienisches Salatpesto machen, indem man es mit Basilikum, Oregano, Salz, Knoblauch und Noni mixt.

Die „Käsis“ sind hier in Costa Rica übrigens Müll, der sich unter den unbeernteten Kokospalmen sammelt und normalerweise höchstens für die Haustiere aufgeschlagen wird, was mir unerklärlich ist.  Der einzige Haken beim Aufschlagen dieser Köstlichkeit  ist, daß man ab und zu Faule dabei antrifft, die so entsetzlich stinken, daß man am besten Weitwurfweltmeister ist.
Über die verschiedenen Stadien und Anwendungsmöglichkeiten der Kokosnuß würde ich am liebsten ein Buch schreiben.

Es dauerte drei Monate, bis ich genauso begeistert wie mein Sohn Arthur  in die Noni beißen konnte, eine Frucht, die wie würziger Bio-Bergbauernkäse riecht und schmeckt, aber einmal auf den Geschmack gekommen, konnte auch ich nicht mehr von dieser Frucht lassen. Unsere Geschmacksnerven sensibilisierten sich nach einiger Zeit, und Früchte, die uns vorher kaum angesprochen hatten verspeisten wir in ekstatischen Schlemmorgien. Am krassesten bei  Arthur, der auch mit Vorliebe rohe Zwiebeln verspeist. Ab und zu machten wir uns rohes Sauerkraut (paßte gut zu den Avokados, deren spezielles Vom-Baum-runterknall-Geräusch wir jetzt von jeder anderen Frucht unterscheiden können, wetten das, wenn wir grade beim Essen saßen, dieses „Plumps“, das war `ne Avo, und schon waren Maurizius oder Arthur unterm Baum, wie zum fröhlichen Ostereiersuchen).

Nach drei Monaten stockten wir unsere Rohkost noch mit einmal die Woche frischer Roh-Kuhmilch vom Nachbar-Bauern auf, was nicht wirklich notwendig gewesen wäre, aber mir als Aufbaunahrung sehr gut bekam, da ich wie viele Rohess-Anfänger erst mal an Untergewicht, Durchfall, Appetitlosigkeit, Schwäche und anderen Entgiftungs- und Umstellungssymptomen litt, im Gegensatz zu den Kindern, deren Körper sich schnell und problemlos umstellten, sie waren fit wie nie und behielten ihr Gewicht.

Nach dieser Entgiftungszeit entwickelten wir drei uns allerdings erst mal zu richtigen Vielfraßen, ich wunderte mich nur noch, wie schnell die bombastischen Bananenstauden dahinschwanden. Einzig tröstlich dabei, daß nach David Woolfes Buch die meisten Anfänger erst mal von dieser Vielfraßkrankheit befallen werden, und es sich später von allein wieder legen soll.

Auch Rohkäse nahmen wir nach ein paar Monaten mit ins Sortiment auf, allerdings aßen wir anfangs zu viel davon, was wir mit Verschleimung und Bauchweh büßten.

Normalerweise verlangt Ray, der Platzpächter und Initiator von  RAWTREAT von Gästen 2 Dollar täglich.  Dafür gibt es das zu essen, was die Bäume gerade hergeben, Schlafplatz, frisches Quellwasser, auch aus der Dusche (die aber nur zur Regenzeit funktioniert, ansonsten wäscht man sich im nahegelegenen Fluß). Alles ist einfach und stromlos. Die Kost hier wäre in Deutschland nur für Bonzen bezahlbar und hätte selbst dann nicht annähernd das selbe Aroma, denn eine gepflückte, versandte Zapote, wie man sie bei Orkos bestellen kann, ist nichts im Vergleich mit einer, die von allein vom Baum geplumpst ist, noch ganz abgesehen von den ökologischen Gesichtspunkten. Nach drei Monaten vereinbarten wir, daß ich das Essen für uns drei alleine besorge. Dafür entfiel der Geldbeitrag. Wir teilten uns ein paar Verpflichtungen auf dem Platz.

Wir drei zogen fast täglich los, mit Machete, Messer, Tragetuch und Rucksäcken zum Beutezug, bis wir schwerbeladen mit Bananen, Kokosnüssen, Wildgemüse, Basilikum, Knoblauchblättern, kleinen Paprikas ... zurückkamen (Später, als alles mehr zur Alltagsroutine wurde gingen wir allerdings immer mehr zu effektiveren Arbeitsweisen über, wie Fahrrad nutzen, Arbeitsteilung...). Unterwegs picknickten wir, wenn das Wetter es zuließ.

Picknick macht Spaß und hat den Vorteil, daß man weniger zu schleppen hat und weder abspülen noch saubermachen muß, weil wir überall eine Öko-Wegwerf-Picknickausstattung vorfanden: Bananenblatt als Tischdecke, Bananenblütenblätter als Schüsseln, trockene Bananenblätter als Sitzunterlagen..., so, daß wir nach Herzenslust triefen und spritzen konnten, bei süßen, saftigen Grapefruitschlemmorgien.

Natürlich erlebten wir bei diesen Touren jedesmal neue Abenteuer,  gingen im Fluß schwimmen, schmierten uns danach am ganzen Körper mit „Käsi“-Kokosfett ein und entdeckten den Wasserfall, neue Tiere, Pflanzen und Früchte, z.B. wilde Nüsse.

Wir lernten die Leute der Umgebung kennen und tauschten unsere Zitronen gegen  Zuckerrohr vom Nachbarn. Auch die „Selbstversorgung aus Nachbars Garten“  gehörte dazu: Was tun, wenn man nicht genug Trinkkokosnüsse im Garten hat und der Mangostaudenbaum noch zu jung zum Früchtetragen ist?

Man guckt in der Umgebung, wo es so was gibt und fragt einfach nach. Man sieht es den Bäumen an, die sowieso kaum geerntet werden. Meistens wurden wir von den Besitzern freundlich zur Ernte eingeladen, als freuten sie sich, daß ihre Früchte wenigstens noch jemand wertschätzt, wenn sie schon selbst vor lauter Kochkost zu träge zum Ernten sind. Im Gegenzug eigene Ernteüberschüsse, oder mal Holzstifte für die Kinder mitbringen, dann paßt die Sache.

Einmal waren die Kinder zu einem Kindergeburtstag eingeladen und wir machten ein großes Rohkostkuchenherz mit sonnengetrocknetem Teigboden aus Weizenkeimen, Bananen, Kokosraspeln u.a., belegt mit Papaya, Mango und Ananas auf Banane-Mandarinecreme, garniert mit  Zimt und duftenden eßbaren rosa Blüten. Die anderen Partygäste stopften sich mit Mayonaisenudeln, Schaumstoff-kleb-Torte, Billigbonbons, Keksen und Eis voll, wobei rosa Plastikgeschenke, Barbiepuppen, Gummischuhe, Spielfleisch aus Plastik und Kinderparfüm ausgepackt wurde. Au weia. Aber jedenfalls freuten wir uns, daß alle was von unsrer Torte probieren wollten.

Frustig fanden wir bei Aufenthalten in der Stadt (notwendig, z.B. um alle drei Monate die Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern), das schlechte, kümmerliche Obstangebot: zu früh geerntete Ananas; gespritzte, geschmacklose Chiquita-Einheitsbananen, die außer ihrer makellos-gelben Giftschale nix zu bieten haben, und fade Frust-Äpfel von nährstoffverarmten, überdüngten Monokulturböden, die beim Wachsen wahrscheinlich das selbe Verhunger-Gefühl hatten, wie wir beim Essen. Da kann man ja bloß noch zur Glutamat-aufgeputschten Kochkost flüchten, oder eben, wie wir, schnell wieder nach Rawtreat zurück.

Übrigens macht  Rohkost kreativ: Mir fiel es viel leichter, den Kindern selbsterfundene Geschichten zu erzählen, ich schrieb massig Gedichte, Geschichten und ein Ahnenbuch für meine Urur...enkel (Idee aus dem Buch "Anastasia, das Wissen der Ahnen", W. Megre)  wir malten viel, die Kinder kneteten mit Lehm, bastelten die tollsten Konstruktionen aus Holzstücken, Nägeln,  Stoffresten, Schnur, Zapotenkernen (duften wie Bittermandelaroma vom Supermarkt, bloß besser) ...

Ich löste alten Psychomüll auf, der wie von selbst  ins Bewußtsein hochkam, noch mal gründlich betrachtet und bearbeitet und dann ausgeschieden wurde. Diese innere Reinigung war eigentlich mein Hauptmotiv, weshalb ich mich für ein Jahr Rawtreat entschied. Ich hatte das Gefühl, zu voll von unverarbeiteten, traumatischen Erlebnissen zu sein, was mich daran hinderte, meine Gegenwart ganz wahrzunehmen, voll im Hier und Jetzt zu sein, und sich außerdem in körperlichen Problemen wie starken Verdauungsbeschwerden manifestierte. So sehnte ich mich nach einem ruhigen Platz, auf dem es wenig äußere Ablenkung gab, so, daß ich mich hauptsächlich meinem Inneren widmen konnte (Äußere Eindrücke, wie die Schönheit der Natur, Tiere und Pflanzen störten mich dabei nicht, ganz im Gegenteil). Und die unverdauten Inhalte kamen, einer nach dem anderen heraus, jeder zum richtigen Zeitpunkt. Ich wachte z.B. nachts auf, dachte so vor mich hin, erkannte dabei klar welche Ungereimtheiten zu welchen Problemen geführt hatten und schrieb dann zum Beispiel ein spontanes Gedicht für meinen Vater, dann noch einen Brief und eine Geschichte. Das alles floß nur so aus mir heraus. Ob ich den Mut haben würde es später auch abzuschicken, war vorerst unwichtig.

Ich schrieb meinen eigenen Affirmationstext für mich und  hörte ihn mir jeden Abend auf Kassette an (mein kleines Minikassetten-Diktiergerät ist auf allen Reisen dabei zur  Dokumentation und allem Möglichen, wie Hörspiele machen, Kassette für die Oma zu Weihnachten aufnehmen oder  wenn die Kinder morgens ihre nächtlichen Träume erzählen).

Noch intensiver wurden diese inneren Prozesse beim Fasten (ich fastete einmal die Woche und alle drei Monate für 7 bis 10 Tage, teils nur mit Wasser, teils mit frischgepreßtem Orangen- oder Grapefruitsaft, Kokosmilch und grünen Blättern. Nach dem Fasten hatte ich jedesmal einen Kraftschub und konnte die Rohkost besser verdauen Ich nahm also letztendlich dadurch nicht ab, sondern zu und hatte nach fünf Monaten roh wieder ein ordentliches Gewicht.

Jeder dieser Reinigungszeiten gab ich ein bestimmtes Thema, wie „ALTLASTEN ABBAUEN“ und „KONFLIKTE FRIEDLICH LÖSEN“. Die noch Bevorstehenden sollen heißen: „SEELENVERBINDUNG SPÜREN UND MEIN EIGENES WYDA (entspricht Yoga) FINDEN “ und „STABILISIERUNG DER SEELENVERBINDUNG, UNABHÄNGIG DAVON, WAS ICH ESSE ODER TUE“.
Das Fasten  fiel mir wesentlich leichter als sonst, was bestimmt auch daherkommt, daß die Rohkost schon ein großes Stück von Eßfixiertheit befreit und natürlich, daß RAWTREAT (also rohes Retreat) einfach wie dafür geschaffen ist.

Ich las mit den Kindern das Friedensevangelium der Essener (Ray hat viele gute Literatur und Rohkostzeitschriften) in dem Jesus u.a. über genau diese transformierende Kraft von Rohkost und Fasten spricht, durch die man sich wieder ganz mit Mutter Erde und schließlich mit seiner göttlichen Seele, dem „Himmelsvater“ verbinden kann, sich also über die Schöpfung mit dem  Schöpfer verbindet. Ein Kundaliniyogalehrer von mir sagte mal: „Der Weg zum Vater führt über die Mutter“.

Diese Fastengewohnheiten möchte ich auch nach meinem Rawtreatjahr weiterführen.  Letztendlich empfinde ich es nicht als Verlust, sondern im Gegenteil, als Genußsteigerung. Es sensibilisiert die Geschmacksnerven und verbessert die Nahrungsresorption im Darm.

Und hier steh ich nun, zellerneuert bis in die Fingerspitzen und kraftvoll, wie seit Jahren nicht und habe ein Stücken mehr meines vollen menschlichen Potentials zurückerobert.

Hier noch mal zusammengefaßt, was Kinder und Erwachsene auf Rawtreat selbstbestimmt lernen können:

  1. Viel praktische Biologie und Botanik, Tier- und Pflanzenbeobachtung (z.B.  Fledermäuse und  Eidechsen, die übers Wasser laufen können...).
  2. Wissen über Permakultur, wie und in welchem Reifezustand die einzelnen Früchte geerntet und gelagert  werden
  3. Was es beim Rohkostessen zu beachten gilt (z.B. viel grüne Blätter essen), welche Nahrungsmittelkombinationen zu vermeiden sind und welche Möglichkeiten der Zubereitung es gibt  (wir entdeckten dauernd neue Rezepte, z.B.  die „Chlorophylbomben-Suppe“ aus massig feingehackten wildwachsenden Blättern, Knoblauch, Kräutern, Salz und Kokosmilch).
  4. Essen ohne Sucht, mehr Genußfähigkeit
  5. Bäumeklettern, was ich seit meiner Kindheit etwas vernachläßigt hatte, gehört wieder zu meiner/unserer Alltagsroutine und  ist oft auch eine tiefe spirituelle Erfahrung zur Erdverbindung
  6. Dankbarkeit und Liebe an die Bäume und Pflanzen ausdrücken, die einen so reich und süß (oder extra-käsig, wie die Noni) beschenken
  7. Sensibilisieren für Mutter Erde durch Fehlen von Fernsehen, elektrisches Licht..., meine Kinder wußten zum Beispiel immer, welchen Mondstand wir haben.
  8. Reinigung und ganzheitliche Gesundheit
  9. Selbstversorger-Erfahrung sammeln (wie viele und welche Früchte und Pflanzen brauche ich, um mich übers ganze Jahr vollwertig und befriedigend zu ernähren).
  10. Vieles, was man wissen muß, falls die Zivilisation doch noch mal zusammenbricht.

Um diesen, in meiner Rohkosteuphorie vielleicht teils idealisierten Bericht abzurunden, hier nun noch ein paar Probleme mit denen wir uns auseinandersetzen mußten:

Da wäre z.B. der metertiefe Matsch und Dauerregen, der es uns  manchmal zur Tortour machte, die zentnerschweren Bananenstauden u.a. zu ergattern, um damit glitschige Hänge hinaufzurobben, Wäsche, die an der Leine verschimmelt und Pilze, die durch die Dauerfeuchtigkeit überall sprießen, z.B. zwischen den Zehen und sogar auf meinem Gummi-Klistierball (die heftige Regenzeit ist ein Mitgrund für Rays Suche nach einem neuen Rawtreat- Platz.)
In den ersten Monaten, als ich mit Entgiftung, Durchfall, totaler Schwäche, Knieentzündung und einem gebrochenem Arm ziemlich zu kämpfen hatte, war ich bezüglich Nahrungsbeschaffung und Mithilfe am Platz völlig überfordert und froh, wenn ich unsere eigenen Angelegenheiten halbwegs geregelt bekam.

Ebenso fühlte Ray sich zunehmend unwohler, dauernd Bananen für mich und meine Kinder, die einen recht guten Appetit haben, anzuschleppen, und auch mir ging es damit nicht gut. Trotzdem haben wir es alle vier letztlich zusammen bewältigt und ich glaube, der Ray hat es letztendlich nicht wirklich bereut  (der Wunsch, selbst eine Familie zu gründen ist jetzt in ihm erwacht),  und  alles hat und hatte ja schließlich ein Ende, auch Körperumstellungsphasen und Regenzeiten. Immerhin waren wir wohl die ersten ernsthaften Nutzer, die standhaft und tapfer durch Rays rohes Retreat durchgegangen sind.

Einmal gab es auch Streit, weil wir drei dem Ray eine der wenigen leckeren Ananas weggefressen hatten, die es in der Regenzeit gibt. Aber ein Mega-Raw-Veg-Whopper, den wir Ray zum Abendessen spendierten mit fett „Schweinswurscht“ drauf, ließ seinen Zorn rasch verfliegen. Wir fanden heraus, daß man mit allen möglichen Gemüse und Getreide leckere Pasten herstellen kann, die stark an Leberwurst erinnern (z.B. reichlich Kräuter, Knoblauch, genug Salz zur Konservierung, evtl. Zwiebel, Curcuma, Ingwer, Kokosfett, Wildgemüse, Paprika feinhacken, mit etwas Weizenkeimöl oder anderem Getreide zu einer Paste manschen und dunkel und bedeckt  einen Tag stehen lassen, wobei ein Fermentationsprozess stattfindet). Ein halbiertes “Käsi-Bällchen“ damit bestreichen (falls vorhanden), fertig. Weiß allerdings nicht, wie so was bei deutschen Temperaturen funktioniert.  Einfach ausprobieren! Auch meine Mama war bei ihrem Besuch hingerissen von diesem Gericht und vermißte die Kochkost auch ansonsten nicht.

Kurz nachdem wir unser Rohkost-Halbjahresjubiläum gefeiert hatten (mit Rollinacreme-Torte und Pelzapfel-Orangepuddingkuchen) mußten wir unser liebgewonnenes Rancho verlassen, denn der Platz wechselte die Eigentümer. Ray lebte mit Erlaubnis des Eigentümers weiter auf dem Grundstück.

Aber immerhin ließen sich die Neueigentümer noch soviel Zeit, daß ich unsere Tomaten  vor dem Rancho noch ernten konnte und  eigentlich kam dieser Wechsel auch genau passend, weil “die Küken sowieso flügge geworden waren”, also wir drei die wichtigsten Sachen von Ray gelernt hatten, die ein costa-ricanischer Rohköstler wissen muß. Zum Beispiel, daß man, wenn man die Augen offen hält, überall edelste Obstbäume entdeckt, die irgendwo an der Straße oder im Park rumstehen und für dessen Früchte sich kaum einer interessiert, z.B. Grapefruit, Papaya, Mangostine und als Krönung  der Jackfruitbaum, der  unerkannt in einer Parkanlage steht, von Rawtreat mit dem Bus in 3-4 Stunden zu erreichen. Jackfruits sind riesige, sackartige Früchte (bis zu einen Meter hoch), deren gelbes Fruchtfleisch an Gummibärchen, Ananas und Banane erinnert.

Der Fall einer Jackfruit gleicht einem Erdbeben, sie donnern runter wie Bomben. Gesäumt wird dieser Wunderbaum noch von Nonibäumen, zahlreichen Orangenbäumen, einem Rosenapfelbaum und vielen Kokospalmen, so daß es einem an nichts mangelt. Wir schliefen dort immer unterm Baum in unseren Hängematten, wohlbeschützt von einem Nachtwächter.

Auf Dauer stelle ich mir für mich einen Rohkostanteil von ca. 80 Prozent vor, dabei auch reine Rohkostzeiten (in Deutschland die drei Sommermonate)  und Zeiten, in denen es nahe liegt, mehr Kochkost zu essen, nämlich im Winter. Letztlich geht es ja um eine optimale gesundheitliche und geistige Verfassung als Voraussetzung, das Leben zu genießen. Ich kann mir noch nicht vorstellen, daß für mich ein deutscher Winter ohne heiße Kürbissuppe und Kartoffeln mit Sauerkraut funktionieren würde.

Bei aller Begeisterung muß ich abschließend sagen, daß die Rohkost für mich ein Durchbruch und ein wichtiger Schritt war, aber nicht der alleinige Stein des Weisen ist. Die Rohköstler, die ich bisher kennenlernen konnte, hatten vielleicht im  Schnitt ein paar Macken weniger als der Rest, aber immer noch genug. Aber das hat zumindest den Vorteil, daß ich  tapfer und unerschrocken wie ich bin, meine Suche nach dem/meinem heiligen Gral fortsetzen kann. Habe schon ein paar lustige neue Ideen.

 
     
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