Dieter Kersten - Mai 2008    
 

Theater: Berthold Brecht „DieKleinbürgerhochzeit "
Oper: Georg Friedrich Händel: "Theseus"

 
     
 

(D.K.) Die Flugschrift 40des österreichischen Schriftstellers Christoph Ransmayr, die ich an anderer Stelle in dieser Ausgabe veröffentliche,  war das absolut Beste, was mir an diesem Theaterabend, zusammen mit dem Programm des Abends, in die Hände fiel.  Der Rest des Programmheftes war die 3 Euro nicht wert, so wie der Theaterabend leider auch ein Flop war.

Ich sah am 5. März im Berliner Ensemble - Theater am Schiffbauerdamm den Einakter Die Kleinbürgerhochzeit von Bertolt Brecht.

Ich habe mir mein Urteil „Flop“ nicht leicht gemacht. Eine Textausgabe des Einakters ist nur im Rahmen der Gesamtausgabe zu bestellen. Einzeln, z.B. in einer Reclamausgabe, ist er nicht zu bekommen. Auch im Internet, in dem manche Theatertexte veröffentlicht werden, war nichts zu finden. Es gibt eine kurzgefaßte und meiner Ansicht nach gute Seite von Wikipedia über das Stück.
Ich konnte also leider nicht nachprüfen, wieviel Original-Text bei dieser Aufführung erhalten geblieben ist und wieviel der Inszenierer  Philip Tiedemann hinzu gedichtet hat.

Bertolt Brecht (1898-1965) hat das Stück im Alter von 21 Jahren geschrieben. Der ursprüngliche Titel war Die Hochzeit. Das Stück wurde am 11. Dezember 1926 am Frankfurter Schauspielhaus uraufgeführt.

Die Premiere der jetzigen Aufführung und Inszenierung im Theater am Schiffbauerdamm fand am 18. November 2000 statt. Es gibt, laut Internet, erstaunlich gute Rezensionen.

Nicht im Programmheft, sondern auf der Web-Seite des Theaters am Schiffbauerdamm wird das Stück folgendermaßen vorgestellt: > Die Kleinbürgerhochzeit ist ein Geniestreich des jungen Brecht: eine Komödie, in der buchstäblich alles zu Bruch geht, die Festgesellschaft feiert nämlich, bis alles zusammenkracht. Der so genannte schönste Tag im Leben wird zum Sinnbild des künftigen Ehealltags, - noch kann das junge Brautpaar darüber lachen. <

Wenn die Komödie wenigstens mit einem herzlichen Lachen der Protagonisten zu Ende gegangen wäre, dann könnte ich wenigstens schreiben, es wäre eine lustige „Klamotte“. So etwas soll es ja geben.  Es stimmt nicht, daß das Brautpaar zum Schluß lacht. So steht es zwar bei Wikipedia, in der aktuellen Aufführungsrealität in Berlin streitet sich das Paar bis zur letzten Sekunde.

Bertholt Brecht, so kann ich es mir vorstellen, wollte den Versuch von Kleinbürgern, auf einer Hochzeit besonders vornehm zu sein, karikieren. Die aktuelle Inszenierung bemüht die „Guckkastenbühne“ und überzeichnet  die Karikatur. Das Geschwätz der Gäste und des Brautpaars hat nichts Komödiantisches mehr. Der Einakter provoziert nicht mehr, sondern er langweilt nur noch durch seine Länge.

Die Vorstellung war gut besucht, obwohl die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) streikten und es ein Mittwoch war. Mindestens eine Schulklasse saß im Zuschauerraum. Der Beifall zeigte - die meisten Zuschauer haben sich gut amüsiert.

+ + +

(D.K.) Vorweg eine kulturpolitische Betrachtung, vor der sich offensichtlich die meisten Menschen drücken. In Norddeutschland heißt der Samstag Sonnabend. In den letzten Jahren wird bei uns in Berlin „mit aller Gewalt“ das Wort Samstag eingeführt. Laut Etymologischem Wörterbuch gehört Samstag zur jüdisch-griechichischen Wochentagszählung. Der Sonnabend ist eine germanische Bezeichnung. Wir sollten uns im Zeitalter der Globalisierung auch in einer solchen Kleinigkeit unsere Kultur nicht nehmen lassen. Sonnabend bleibt Sonnabend.

Auf dem Programmzettel der Komischen Oper Berlin für die Aufführung der Händel-Oper Theseus am Sonnabend, den 5. April, ist in kultureller Gleichschaltung natürlich Samstag zu lesen. Diese Oper in 5 Akten dauert 3 ½ Stunden und ist durch ihre Länge eine ziemliche Herausforderung für jeden kulturbeflissenen Bürger. Um so mehr bedaure ich, keine Chance gehabt zu haben, das Libretto vorher lesen zu können. Es wird nirgendwo angeboten. Selbst meine Opernführer schweigen. Ich empfehle deshalb der Intendanz, jedem Kartenkäufer vor dem Opernbesuch das Libretto und auch das übliche Programmheft anzubieten.  Das wäre ein Akt kultureller Fairness und würde die kulturelle Selbstbestimmung und Urteilskraft des Bürgers steigern.

Bild:
Georg Friedrich Händel
(*23. Februar 1685 in Halle (Saale);
† 14. April 1759 in London)

Theseus (bei Händel ursprünglich Theseo) ist ein „griechischer Held“, bei dem sich Sage, Mythologie und möglicherweise Wirklichkeit vermischen. Theseus hat den Minotauros auf Kreta besiegt und die Ariadne, die ihm mit ihrem (Ariadne-)Faden aus dem Labyrinth heraushalf, unglücklich gemacht. Dadurch ist Theseus bekannt geworden. In Händels Oper geht es um eine Schlacht vor den Toren Athens, in der Theseus der Feldherr des Stadtstaates ist, und es geht um Liebesverirrungen und den intriganten Zustand der gehobenen Athener Gesellschaft. Eine große Rolle in dieser Oper spielt Medea. Medea ist eine Frauengestalt der griechischen Mythologie, die sehr oft als eine „große Zauberin“, als selbstbewußte, heilkundige Frau und später als Mörderin ihres Mannes und ihrer gemeinsamen Kinder genannt wird. In den Texten des Programmheftes wird sie dem jetzigen Zeitgeist entsprechend als Asylbewerberin im damaligen Athen bezeichnet, die durch Heirat die Athener Staatsangehörigkeit erwerben will.

In dem Programmheft, welches Sie vor dem Betreten des Theatersaales kaufen können, gibt es eine kurze Zusammenfassung der Handlung in den fünf Akten. Dem Durchschnitts-Opernbesucher wird es kaum gelingen, diesen Text vor dem Beginn der Vorstellung zu lesen, einschließlich der Besetzungsliste. Wer ist z.B. Familie Fayad?

Die Handlung beginnt vor dem heruntergelassenen Vorhang. Alle Akteuere tragen heutige Straßenkleidung. Die meisten Sängerinnen und Sänger sind kaum zu verstehen. Man muß sich helfen. Hört man „mein König“, fragt sich der Zuschauer und Zuhörer, wer ist denn „mein König“. Ach ja, der mit dem Anzug, der wird es sein. Als sich dann, irgendwann einmal, der Vorhang öffnet, ist der Zuschauer mit der heute fast schon üblichen  Guckkastenbühne konfrontiert, die inmitten einer Schlammlandschaft steht. In dieser sielen sich die Beteiligten, was moderne Aufführungspraxis ist. Einer der Höhepunkte soll wohl die Darmentleerung des Königs sein, der sich im Schlamm hinhockt und das „benutzte“ Klopapier der Landschaft zurückgibt. Was für ein genialer Einfall des Regisseurs Benedikt von Peter! Auch der Gag, dem siegreichen Feldherrn Theseus ein Schild mit dem handgeschriebenen Satz von Tucholsky „Soldaten sind Mörder“ umzuhängen, schien mir völlig abwegig zu sein. Ich stimme zwar dem Inhalt des Satzes zu, aber was hat das in einer solchen Oper zu suchen?

Wenn die Handlung nicht stimmig verstanden wird, leidet auch der Genuß der Musik. Man kann  der Musik schwer folgen, wenn man  die Handlung nicht versteht. Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter der Stabführung von Alessandro de Marchi hat sich Mühe gegeben, mit alten Instrumenten, die zur Händel-Zeit üblich waren, eine  werktreue Musik zu spielen.

Das Programmheft enthält einige sehr klärende, interessante Artikel, die ich gerne vor dem Besuch gelesen hätte. Sie scheinen von Theaterwissenschaftlern für Theaterwissenschaftler geschrieben worden zu sein und enthalten sehr viele Fremdwörter, die zu übersetzten sind.

Die historische Uraufführung fand am 10. Januar 1713 im Queen's Theatre am Haymarket in London statt. Die Oper kam bis Mai auf 13 Vorstellungen, danach wurde sie abgesetzt und von Händel (* 1685, † 1759) nie wieder aufgeführt. Ihre Wiedergeburt erlebte die Oper am 29. Juni 1947 bei den Göttinger Festspielen. Die aktuelle Premiere in der Komischen Oper Berlin fand am 10. Februar 2008 statt. Es war die achte Aufführung nach dieser Premiere, die ich sah.

Die Oper war gut besucht. Es waren höchstens 10 % der Plätze nicht besetzt. In der Pause verließen noch einmal ca. 10 % das Haus. Das Publikum klatschte begeistert Beifall. Ich fühle mich bei solcher Gelegenheit sehr schnell als Außenseiter.

 
     
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