Schenke Archiv / März 2004    
Deutsch-Niederländische Geschichte - Der deutsche General Oster warnt den niederländischen Militärattaché Gijsbertus Jacobus Sas 1940 vergeblich vor dem Einmarsch der Deutschen Truppen.  
     
 
(D.K:) Den nachstehenden Text fand ich im Schenke-Archiv. Woher er kommt, das weiß ich leider nicht. Er ist auf schlechtem Nachkriegspapier ge-schrieben und ganz offensichtlich die deutsche Übersetzung eines niederländi-schen Textes. Er ist ein historischer Text, der deshalb so interessant ist, weil er uns Deutschen vermittelt, daß höch-ste Stellen Warnungen vor einem Krieg nicht wahrhaben wollten (oder auch sollten?) General Hans Oster, Wider-ständler gegen das nationalsozialistische System hat über den niederländischen Militärattaché Gijsbertus Jacobus Sas vergeblich die Niederländische Regie-rung gewarnt. Sie hat ihren eigenen Mi-litärattaché für verrückt erklärt. Dabei weiß man heute aus vielen Veröffentli-chungen, daß es ganz offiziell bekannt war, daß die Deutsche Regierung die Absicht hatte, die Niederlande angrei-fen. Die Niederlande waren, und auch das war bekannt, viel zu schwach, um die Deutschen in eine militärische Falle zu locken. Bei alledem bleibt nur noch übrig, daß die Deutschen sich schuldig machen sollten.

Dokumentenkommission
Regierungsunterlagen 1940 - 1945
Bericht über die Ergebnisse der Untersuchung
Teil 1 c
Allgemeine Einleitung / Militärische Unterlagen 1939 - 1940
(Punkt A des Dokumentenbeschlusses)

Verhöre
Dritte Auflage
Druck und Ausgabe: Staatl. Druckerei / ‘s Gravenhaage 1949

Übersetzung

Sitzung vom Dienstag, den 16. März 1948
Unterkommission II
Anwesend die Herren de Beerenbrouck, Vorsitzender, Algera und Korthale, Beisit-zer, sowie Herr Duisterwinkel, Schreiber.

Punkt des Enquêtebeschlusses:
Verhör von
Gijsbertus Jacobus Sas, immer als A gekennzeichnet, 55 Jahre alt, wohnhaft in Washington D.C., U.S.A., Generalmajor, Militärattaché in Washington, ehemaliger Militärattaché in Berlin.

Er legt den Zeugeneid ab.

A.: Wenn ich eben etwas bemerken darf, Herr Vorsitzender, ich wurde ersucht, alle in meinem Besitz befindlichen Stücke, die für die Untersuchung von Wichtigkeit sein könnten, mitzubringen. Diesem Ersuchen konnte ich natürlich nicht nachkommen, weil ich es zu spät erfahren habe. Ich habe in Washington verschiedene Stücke, die mit diesem Verfahren zusammenhängen; ich kann Ihnen gegebenenfalls diese Stücke später zukommen lassen.

Der Vorsitzende: Wenn Sie nachher noch der Ansicht sind, daß sie wichtig sind.

A.: Ich nehme an, daß ich im Verlauf des Verhörs einige Stücke bezeichnen werde, die ich in Händen habe.

Der Vorsitzende: Als erstes will ich Ihnen folgende Frage stellen. Hat der ehemalige Oberbefehlshaber General Reynders Ihnen auch aufgetragen, keine Nachrichten mehr an Ihre Majestät, die Königin, an den Verteidigungsminister oder andere Autoritäten zu geben? Erinnern Sie sich an Derartiges?

A.: Ja, in der Tat. Im Oktober 1939 - ich kam wiederholt von Berlin nach den Niederlanden - war die Sache soweit gediehen, daß ich deswegen mit dem Oberbefehlshaber General Reynders, auch mit Minister Dijxhoorn und Minister von Kleffens Dinge besprach, die mit der Mobilisierung der deutschen Armee in Verbindung mit den kommenden Geschehnissen zusammenhing. An irgendeinem Tag - es muß, meine ich, in der zweiten Hälfte Oktober 1939 gewesen sein - war es, daß General Reynders zu mir sagte: "Ja, eigentlich gefällt es mir nicht, wie Sie das im Augenblick handhaben. Sie kommen nicht zu mir, sondern auch zu Minister Dijxhoorn und von Kleffens, und das paßt mir nicht. Ich wünsche, daß Sie nur mit mir alleine sprechen und nicht mit den anderen Herren." Es hat sich ungefähr so abgespielt, wenn ich mich recht entsinne. Im Kabinett von Minister Dijxhoorn waren Besprechungen abgehalten worden, General Reynders hat mich danach in seinem Auto mitgenommen, und auf dem Plein sagte er mir, unter einigen starken Worten, daß ich nur allein mit ihm sprechen sollte und nicht mit den anderen Herren.

Der Vorsitzende.: Können sie vielleicht mitteilen, wie das ganze hierarchische Verhältnis war?

A.: Ich unterstand dem Oberbefehlshaber der Land- und Seemacht. Dieser war mein Chef. An sich konnte General Reynders mir natürlich das Verbot auferlegen. Aber es ist natürlich nicht richtig, weil es gar häufig um die Nuancen ging. Der Kriegsminister hat mich - um einmal etwas über die Stimmung zu erfahren - wiederholt gebeten, ihn aufzusuchen. Später war das eine beständige Praktik. Ich habe tatsächlich danach noch verschiedentlich mit Minister Dijxhoorn gesprochen.

Der Vorsitzende.: Aber im Augenblick z. B., wem unterstehen Sie jetzt?

A.: Ich unterstehe als Militärattaché im Augenblick dem Chef des Generalstabes. Ursprünglich, als ich im April 1939 nach Berlin kam, unterstand ich direkt dem Minister. Das wurde durch die Mobilmachung 1939 verändert. Danach unterstand ich den Befehlen des Oberbefehlshabers der Land- und Seemacht.

Der Vorsitzende.: Wie war das Verhältnis zum Departement von Buitenlandse Zaken (Außenministerium), war das eine verwaltungsmäßige Bindung oder nicht?

A.: Nein, das war keine verwaltungsmäßige Bindung . Es war eigentlich mehr eine diplomatische, weil ich eigentlich mehr oder weniger im diplomatischen Dienst war und auch von Buitenladse Zaken natürlich dann und wann zu hören wünschte, was nun eigentlich vor sich ging, und zwar von denjenigen zu hören wünschte, die an Ort und Stelle waren.

Der Vorsitzende: Sie haben wahrscheinlich auch Kenntnis erhalten von den Broschüren, die die Herren Dijxhoorn und Reynders geschrieben haben. Ich darf Ihnen vielleicht eben mitteilen, was dort auf Seite 26 der Broschüre des früheren Ministers Dijxhoorn steht. Er sagt da: "Die Bedeutung, die man diesen Stellen beimessen muß, kann erst in ihrem wirklichen Wert erkannt werden, wenn man weiß, daß General Reynders als einer unserer wichtigsten Berichterstatter dem Militärattaché in Berlin - der rechtzeitig vor dem nahenden Unheil am 12. November gewarnt hat - mitgeteilt hat, daß er wenig Vertrauen in seine Berichte setze. Im gleichen Sinne hat der General sich über diesen Berichterstatter mir gegenüber ausgelassen."
Wissen Sie darüber etwas?

A.: Ja, Herr Vorsitzender, Sie müssen aber in diesem Zusammenhang auch noch lesen, was in der zweiten Broschüre des General Reynders steht, nämlich die drei Seiten, die er, ohne meinen Namen zu nennen, dem Militärattaché in Berlin gewidmet hat.

Der Vorsitzende.: Ja, das ist auf Seite 42. Also haben Sie alle beide kontrolliert?

A.: Ja, so ist es.

Der Vorsitzende: Was dort mitgeteilt wird, ist das im Großen und Ganzen richtig?

A.: Nein, Herr Vorsitzender.

Der Vorsitzende: Das erste aber doch?

A.: Das erste von Herrn Dijxhoorn ist richtig. Das von General Reynders ist nicht richtig. Es steht eine impertinente Unwahrheit darin, und die Lüge ist derartig, daß ich daran gedacht habe, mich in der Presse dagegen zu wehren. Sie werden darin einen Absatz finden - ich weiß ihn natürlich im Augenblick nicht mehr auswendig - worin steht, daß der Militärattaché vor der berühmten Novemberkrise (es steht in der zweiten Broschüre) schon wiederholt verschiedene Daten genannt hätte, die sich indessen nicht bewahrheiteten. Das ist eine impertinente Unwahrheit, eine Lüge. Es ist mir vor November 1939 nie ein Datum genannt worden. (Die Broschüre wird danach dem Zeugen ausgehändigt.)

"Anhand der Mitteilung einer bestimmten Verbindung - so schreibt General Reynders - hatte der Attaché schon einige Male ein Datum genannt, an dem die Deutschen uns angreifen sollten, welche Angaben jedoch nicht zutreffen."
Das ist falsch. Das erste Mal, daß ich ein Datum mitteilte, war am 8. November, ehe ich aus Berlin zurückkam und im kleinen Ministerrat - ich meine mit "klein", daß einige Minister da waren, darunter General Reynders und der Sekretär des Ministerrates - bekannt gab, daß am 12. November die Deutschen in unser Land einfallen würden.

Der Vorsitzende: Und der Rest der Mitteilungen?

A.: Der Rest der Mitteilungen ist auch nicht ganz zutreffend. Da steht nämlich ein Bericht, daß ich u. a. beim früheren Minister Colijn gewesen wäre, daß ich mich zu seinem Haus begeben hätte, mich bei ihm nicht hätte melden lassen, bis zu seinem Arbeitszimmer vorgedrungen wäre und Anlaß zu großer Aufregung gewesen wäre. Das ist falsch. Ich bin tatsächlich bei Dr. Colijn am Haus gewesen. Es war das erste Mal, daß ich im Wohnhaus von Dr. Colijn gewesen bin, und sie können glauben, Herr Vorsitzender, daß ich den Butler oder sonst irgendeinen Dienstboten nicht auf die Seite geschoben habe und nicht die Türen aufgerissen habe, um nachzusehen, wo Dr. Colijn sich nun gerade befände. Ich bin auf normale Weise hereingekommen, bin bei Dr. Colijn in seinem Arbeitszimmer angemeldet worden und habe dort gesagt, was mir gerade auf dem Herzen lag.

Der Vorsitzende: Hatten Sie besondere Gründe, sich an Herrn Colijn zu wenden? Kannten Sie ihn von früher?

A.: Ja, ich kannte ihn von früher, weil ich lange im Ministerium gearbeitet hatte. Es ist eine lange Geschichte, aber als ich am 8. November mit der alarmierenden Nachricht zurückkam und in den folgenden Tagen sah, daß die Regierung eigentlich nichts tat, bin ich in einen Gewissenskonflikt gekommen. Am Morgen des 10. November, das war ein Freitag, war ich wieder im Ministerium, und außer mir noch einige Offiziere und Beamte, die sehr beunruhigt waren über die kommenden Geschehnisse. Der verstorbene Herr Goseling hat das mitgemacht. Ich befand mich in einer Gewissenskrise. Ich dachte: "Habe ich nun wirklich alles getan, um die Regierung davon zu überzeugen, in was für eine schwierige Lage wir möglicherweise in einigen Tagen kommen könnten? Habe ich wirklich alles getan, um die Herren davon zu überzeugen, auch den Ministerrat?" Dann bin ich zuerst zum Admiral Furstner gegangen, damaliger Kommandant der Seestreitkräfte, auf dem Badhuisweg, der in seiner, mir von der höheren Kriegsschule her bekannten Manier in seinem Zimmer auf und ab lief. Als ich zu ihm kam, habe ich gesagt: "Herr Admiral, es ist schrecklich im Augenblick, es geschieht nichts. Ich kann es nicht mehr mit ansehen, denn möglicherweise überfallen uns die Deutschen nach zwei Tagen, und dann sagt schließlich das niederländische Volk: Was habt ihr eigentlich getan, daß jedermann klarsah und daß alle notwendigen Maßnahmen getroffen wurden? Usw. Weiter sagte ich zu Admiral Furstner: "Herr Admiral, ich habe die Absicht, zu Dr. Colijn zu gehen und ihm die Dinge auseinanderzusetzen und ihm klarzumachen, was eigentlich über unseren Köpfen hängt, und seine Hilfe anzurufen als ein guter Niederländer und daß er versuchen solle, die Sache in Fluß zu bringen." Das war der Grund, weshalb ich zu Dr. Colijn gegangen bin. Was hier in der zweiten Broschüre steht, besonders in dem Absatz, den ich schon vorgelesen habe, ist absolut falsch, und der zweite Teil ist gefärbt. Es war nicht so. Nachdem ich Dr. Colijn darüber informiert hatte, was geschehen könnte, glaubte ich, daß er mittags telefoniert hat mit General Reynders - kein Briefchen geschrieben sondern telefoniert - und gesagt hat, daß er nicht daran glauben solle, was ich gesagt hätte, weil ich vollkommen überspannt sei. So ungefähr war der Hergang der Dinge, soweit sie mir bekannt sind.

Der Vorsitzende: Von wem war dieser Ausdruck?

A.: Von Dr. Colijn an General Reynders. Das war mittags, denn ich bin mittags, als ich Dr. Colijn getroffen hatte, zum allgemeinen Hauptquartier zurückgegangen und habe zuerst General von Corschot besucht, dem ich einige deutliche Worte sagte. Ich bin weggegangen und habe die Tür hinter mir zugeschlagen, indem ich rief: "Jetzt gehe ich zur Königin".

Ich bin zuerst Oberst Phaff in die Arme gelaufen und wir sind zusammen zum Palais der Königin gegangen. Ich mußte warten, wobei General de Jonge van Ellemet herauskam und zu mir sagte: " Da ist ein Telefonanruf von General Reynders, und er verbietet Ihnen, mit der Königin zu sprechen!" Ich antwortete: "Gut, ich kann natürlich nicht weitergehen. Aber ich werde meine Botschaft der Königin ausrichten lassen." Das habe ich dann auch durch den Mund von Oberst Phaff getan, das will heißen: Ich habe es dem Oberst Phaff mitgeteilt, und er hat es an die Königin überbracht."

Der Vorsitzende: Darf ich eben zurückkommen auf das, was Sie von Dr. Colijn sagten: die Äußerung, die Sie in aufgeregtem Zustand taten, ist doch so gemacht worden?

A.: Ja, natürlich.

Der Vorsitzende: Das war also der Eindruck von Dr. Colijn, etwa nicht zu recht? Wir wollen das eben behandeln.

A.: Sicher.

Der Vorsitzende: Haben Sie noch etwas zu sagen bezüglich der Fragen, die damit zusammenhängen? Sie sind doch offenbar in Berlin sehr gut unterrichtet gewesen deswegen, weil dieser deutsche General sehr mitteilsam gewesen ist. Sie wissen, daß er über alles informiert sein konnte, und Sie hatten daher mit Recht den Eindruck, daß es so war. Die Warnungen, die Sie dann gegeben haben, haben ein paar Mal nicht gestimmt, weil in Berlin plötzlich die Sache geändert wurde. Aber dann ist Steinchen zu Steinchen gekommen, und Sie haben im Mai wiederum gewarnt und dann ist es doch geschehen. Können Sie darüber noch etwas mitteilen, was wichtig ist?

A.: Wollen Sie die ganze Geschichte hören, Herr Vorsitzender? Das dürfte einige Stunden dauern.

Der Vorsitzende: Das ist nicht notwendig. Sie können uns vielleicht mitteilen, was Sie an der hiesigen Führung zu kritisieren hatten. Das hat für uns mehr Bedeutung.

A.: Im April 1939 bin ich zum zweiten Mal nach Berlin gegangen Das erste Mal war ich Militärattaché in Berlin 1936, und zwar 1936 - 1937. Dann kam ich hierher zurück als rechte Hand von General Reynders als Haupt der Abteilung Operationen bis nach dem Einfall in die Tschechoslowakei. Im März 1939 wurde ich zu General Reynders gerufen, der mir mitteilte, die Regierung habe beschlossen, jetzt nach dem Einfall in die Tschechoslowakei neuerdings einen Militärattaché nach Berlin zu senden. Diesmal mit festem Standort: Das letzte Mal mußte ich hin und her reisen, d. h. 10 Tage Berlin und ungefähr 20 Tage Den Haag. Nun sollte ich festen Wohnsitz in Berlin nehmen. General Reynders sagte. "Ich bin der Auffassung, daß Sie mit Ihren Verbindungen der einzige sind, der dafür in Frage kommt, und deswegen frage ich Sie: Sind Sie bereit zu gehen?" Nach zwei Tagen Bedenkzeit habe ich angenommen. Ich bin nach Berlin gezogen und habe dort meine alte Verbindung aus den früheren Jahren wiedergefunden, einen Mann, den ich schon sieben Jahre kannte, den damaligen Oberst Oster, späteren General Oster, der zweite oder dritte Mann der deutschen Gegenspionage (Abwehrdienst). Wahrend des Sommers 1939, in den Monaten April, Mai, Juni, Juli wurde es für mich als Militärattaché ganz eindeutig, daß ein Krieg kam, und ich habe das auch wiederholt berichtet. Das hat ja denn auch gestimmt. Die erste Mobilmachung war im August 1939; auf Grund, glaube ich wohl, meines Berichtes ist die Mobilmachung zeitig verkündet worden, und danach hat General Reynders mir auch, Anfang September, ein Kompliment gemacht über meine Berichterstattung. Ich hatte auf Ersuchen von Oster verschiedene Bücher, die im Ausland erschienen waren, nach Deutschland hereingebracht, speziell für dem Abwehrdienst, u. a. ein Buch von großer Bedeutung, betitelt "Die Revolution des Nihilismus" von Rauschning. Ich habe es während einer Krankheit gründlich studiert, die ich mir bei einer Reise in Polen zugezogen hatte, und ich habe diese Strecken dann nochmals mit Oster besprochen.

Ich bin dann zu der Überzeugung gekommen (niedergelegt in einem Brief an den Befehlshaber der Land- und Seemacht, datiert vom 28. September 1939), daß Holland diesmal nicht mehr einer Invasion entgehen werden würde, mit dem starken Rechtsflügel durch Belgien und Holland. Das war eine Erkenntnis, und die andere war, daß in sechs Wochen die Spannung im Westen beginnen würde. Rechnen Sie einmal nach: 28. September plus sechs Wochen, dann haben Sie November. Und es stimmte auch so: Im November 1939 begann die Spannung im Westen. Bis dahin war mein Einvernehmen mit General Reynders sehr gut, denken Sie auch an das Kompliment, das er mir bezüglich meiner Berichterstattung gemacht hatte. Aber zu Beginn Oktober hatte ich eine neue Unterredung mit meinem Freund, wobei ich zu Hans Oster sagte: "Nun, Sie werden sehen, in Kurzem haben wir die Spannung im Westen, und diesmal werden wir der Gefahr nicht mehr entgehen. Wir bekommen dann den Aufmarsch durch den Westen, durch Holland. Denn die Deutschen machen natürlich nicht nochmal den Fehler, den sie im ersten Weltkrieg gemacht haben, durch die berühmte Schwenkung durch Süd-Limburg herum. Jetzt nimmt man den kürzeren Weg und geht quer durch." Darauf sagte Oster zu mir: "Na, soweit ist es noch nicht." Oster war ein Mann des Abwehrdienstes und wußte nicht genau alles, was bei den Operationen vor sich ging, er hat speziell für uns sich informiert, wie die Dinge lägen und sagte mir: "Nein, es ist noch nicht so weit, im Augenblick wird nur Belgien bearbeitet, und wenn es so weit kommt, werde ich Sie benachrichtigen." Etwa 14 Tage danach kam Oster zu mir und sagte: "Mein lieber Freund, Du hast Recht gehabt, jetzt ist auch Holland an der Reihe." Ich habe das berichtet, und von dem Augenblick ab ist das Verhältnis zwischen General Reynders und mir umgedreht gewesen, wie ein Blatt am Baum, und von nun an kamen von meiner Seite ungünstige Nachrichten, und General Reynders wollte das einfach nicht glauben. Die Entwicklung der Ereignisse können Sie in dem Buch von Gisevius nachlesen "Bis zum bitteren Ende". Auch die Zeugenaussagen in Nürnberg berichten genau dasselbe. Der Bericht, den ich Ihnen wohl in einigen Worten gebe, ist darin niedergelegt.

Der Vorsitzende: Sie können natürlich die Quelle nicht angeben?

A.: Natürlich nicht, Herr Vorsitzender. Erste Pflicht eines jeden, der mit einem Nachrichtendienst verbunden ist, ist natürlich, niemals die Namen derjenigen zu nennen, von denen man Nachrichten bekommt. Ich habe nur den Eindruck wiedergeben können, was für eine Art Mensch Oster war. Ich habe erklärt, daß meine Informationen von einem höheren Offizier des Oberkommandos der Wehrmacht stammten, dessen Gewissen es nicht zuließ, weiter mit der Gangsterbande zusammenzuarbeiten. Er hat wiederholt über dieses Thema gesprochen, wobei er zu mir sagte: "Man kann nie sagen, daß ich Landesverräter bin, aber das bin ich in Wirklichkeit nicht, ich halte mich für einen besseren Deutschen als alle die, die hinter Hitler herlaufen. Mein Plan und meine Pflicht ist es, Deutschland und damit die Welt von dieser Pest zu befreien." Das ungefähr hat er zu mir gesagt. Das Ziel der Gruppe Oster - und das finden Sie auch in verschiedenen anderen Publikationen wieder - war, das Ausland mit bestimmten Mitteilungen zu versehen, um dadurch den Widerstand im Ausland zu organisieren, in der Hoffnung, daß, wenn ein Gegenschlag gegen die Operation käme, sie eine Gegenrevolution inszenieren könnten und das Unterste zu Oberst kehren. Das war, in kurzen Worten, der Plan. In diesem Zeitabschnitt beginnen die Reibereien zwischen General Reynders und mir, die vielleicht auch eine Frage des Temperaments waren. Ich habe den Eindruck, daß General Reynders mich nicht mehr ganz seriös nahm und mit ihm - unter ihm - die Offiziere des Nachrichtendienstes. Das ist herausgekommen, als der ehemalige Oberst van de Planche den Oberst Gejsberti Hodenpijel nach Deutschland geschickt hat. Dieser hat eine Art Rundreise durch Deutschland gemacht, ist in München gewesen und auch bei verschiedenen Leuten in Berlin. Zufällig hat sich herausgestellt, daß er aus Berlin einen Brief an Oberst van de Plassche schrieb, des Inhalts, daß man mich eigentlich nicht ernst nehmen dürfte, weil ich übertrieben sei usw.. Das erfuhr ich zufällig Ende Oktober 1939, kurz vor den Gerüchten über die Invasion. Ich bin danach nach Den Haag gekommen, um mich einmal genau zu informieren, ob man mir Glauben schenke. Oberst van de Plassche hat mir damals versichert, daß es doch so wäre, aber als ich anschließend zum damaligen Käpitän Kruls, Adjutant des Kriegsministers, kam, sagte er: "Was, Dich ernst nehmen? Sieh mal, was hier steht!" Er ließ mich ein Schreiben des Nachrichtendienstes sehen, worin meine Berichterstattung kommentiert wurde und mehr oder weniger lächerlich gemacht wurde, mit Ausrufezeichen versehen usw.. Ich hatte im Augenblick davon eigentlich genug und dachte: "Wenn die Sachen so behandelt werden, ist es besser, daß ich weggehe." Ich fuhr also mit Wut im Herzen nach Berlin zurück. Das muß am 5. November gewesen sein, meine ich. Ich sagte mir: "Dann nehme ich meinen Abschied. Das mache ich nicht länger mit." An diesem Abend nahm ich den Nachtzug nach Berlin. Es war der Nachtzug vom 6. Zum 7. November. Ich kam am 7. November morgens früh in Berlin an und fand in meinem Hotel ein Briefchen von Oster, umgehend zu ihm zu kommen. Ich bin vor dem Frühstück (lunch) zu ihm gegangen. Oster war in Uniform, was ganz ungebräuchlich war, und es stand ein Militärfahrzeug vor der Tür, was ebenfalls ungewöhnlich war. Beim Frühstück hat er mir dann die Mitteilung gemacht von den festen Plänen der Deutschen, am 12. November in unser Land einzufallen. Er hat mich gebeten, unmittelbar nach Holland zurückzufahren, um die Autoritäten zu warnen und alle Maßnahmen zu treffen, sodaß wir jedenfalls nicht unvorbereitet überfallen würden. Meine Frau wohnte damals noch im Haag, und durch eine Absprache konnte ich sie warnen. Sie hat die Warnung weitergegeben, derart, daß ich morgens früh bei der Ankunft des Morgenzuges abgeholt wurde - das war am Mittwoch, den 8. November - und sofort zu einer Art kleinen Ministerrat gebracht wurde, wie ich es schon nannte, wobei Minister Khr. De Geer anwesend war, Minister van Kleffens, Minister Dijxhoorn, General Reynders, der Unterzeichnete und der Sekretär des Ministerrates. Wie Sie sich vorstellen können, Herr Vorsitzender, war ich einigermaßen aufgeregt. Wenn man derart alarmierende Nachrichten erhalten hat, ist man das im allgemeinen wohl, wenigstens ich bin nicht so kalt wie ein Frosch. Ich habe also in einem mehr oder weniger erregten Ton berichtet, was mir von Oberst Oster mitgeteilt worden war. Oster hatte mir sogar noch gesagt, daß er zur Westfront gehen würde. (Die Geschichte hat bewiesen, daß das stimmt). Er wollte dort versuchen, General von Witzleben und andere Generäle zu veranlassen, den Angriff nicht durchzusetzen, aber er sagte dazu: "Die Chance ist äußerst gering. Triff auf jeden Fall Deine Maßnahmen." Ich habe also am Mittwoch diese Mitteilung im Ministerrat weitergegeben. An diesem Abend hat das Attentat im Bürgerbräukeller stattgefunden.

Ich war durch Minister Dijxhoorn im Departement angestellt worden - und nicht unter dem Befehl des Oberbefehlshabers, was eigentlich gebräuchlich gewesen wäre - und zwar im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten, die schon zwischen General und dem Unterzeichneten bestanden. An diesem Donnerstag haben wir gesehen, daß von seiten der Regierung eigentlich nichts geschah. Donnerstag abend - das war der 9. November - hat der Venlo-Zwischenfall stattgefunden, wobei Leutnant Klop, den ich eine zeitlang auf meinem Büro in Berlin hatte, ermordet wurde. Als diese Nachricht am folgenden Tag, 10. November, bekannt wurde, und ich morgens auf dem Büro bei der "Zweiten Abteilung für Verteidigung" war, war ich davon natürlich sehr beeindruckt. Die Folge davon war - was ich bereits erzählte - daß ich in einen Gewissenskonflikt geriet und versuchte, den früheren Minister Colijn zu erreichen, um Hilfe von ihm zu erbitten mit dem Ziel, daß die Regierung etwas unternehmen sollte, während ich dann mittags zum General von Corschot und zum Palais der Königin gegangen bin. Das brauchte ich natürlich nicht mehr zu wiederholen.

Als ich im Palais der Königin war, war ich aus meiner Gewissensnot befreit, denn ich hatte eigentlich alles getan, was ich im Augenblick tun konnte, und weiter konnte ich nicht viel. Am darauffolgenden Tag wurde ich zum Minister Dijxhoorn gerufen, der mich mehr oder weniger zurechtwies, weil ich zu Dr. Colijn gegangen war. Er wußte in dem Augenblick schon alles, und das unterstreicht das, was ich gesagt habe, daß nämlich General Reynders kein Briefchen auf seinem Tisch gefunden hat, sondern daß er an diesem Nachmittag angerufen wurde. Der Minister hat mich also zurechtgewiesen, und ich habe ihm auch geantwortet, daß es mir leid täte, aber daß man mich letzten Endes mehr in die Sache hätte einschalten müssen, und daß ich getan hätte, was ich glaubte, tun zu müssen, und daß ich dem Minister überlassen müßte, mit mir zu tun, was er für richtig hielte. Am folgenden Sonntag war ich wiederum bei Minister Dijxhoorn, um nachzufragen, wie es nun eigentlich stünde, denn es hatte sich inzwischen gezeigt, daß der Angriff der Deutschen Samstag oder Sonntag nicht stattfinden würde. Ich bin wiederum in Begleitung des damaligen Kapitäns van Rijn, jetzt Oberst Metting van Rijn, zum Minister Dijxhoorn gegangen und habe ihn gebeten, uns zu sagen, was denn nun eigentlich bei dem Venlo-Zwischenfall wirklich passiert war, denn ich wollte gerne wissen, ob ich durch diesen Zwischenfall kompromittiert worden wäre, weil Leutnant Klop, wie ich Ihnen schon sagte, in meinem Berliner Büro tätig gewesen war. Minister Dijxhoorn hat dann auseinandergesetzt, was sich dort abgespielt hatte, was mich aber nicht befriedigte. Darauf habe ich den Minister gefragt, ob er mir erlaube, daß ich nochmals mit der Justiz spräche, denn es gab verschiedene Punkte in dem Bericht, die nicht aufgeklärt waren. Ich wollte nämlich sprechen mit dem damaligen Generalsekretär der Justiz, van Angeren, den ich gut kannte, aber der Minister konnte dies nicht erlauben. Am folgenden Tag bin ich nach Berlin zurückgekehrt. Das war Montag, derselbe Tag, an dem Minister de Geer das berühmte Verschen durch das Radio sprach: "Ein Mensch leidet am meisten" usw., um die niederländische Regierung zu beruhigen, wobei er auch sagte, daß keine zuverlässigen Nachrichten vorlägen, die darauf schließen ließen, daß von einem bestimmten Aggressionsplan die Rede sein könnte. Danach habe ich wiederholt berichtet über die Verschiebung des Invasionsdatums, denn am 12. November war der Plan fallen gelassen. Es hat dann noch diverse Aggressionsdaten gegeben, die mir Oster mitgeteilt hat. Ich meine den 19. November und noch einige Daten mehr. Sie können die Daten auch in Gisevius’ Buch nachlesen. Der Aufschub des Angriffs war eine Folge der "Wetterlage", die für einen größeren Feldzug ungeeignet angesehen wurde. Ich erhielt von unserem Nachrichtendienst in den folgenden Wochen einige Informationsschreiben, aus denen hervorging, daß man nach den Novembertagen von Seiten des Nachrichtendienstes (also eigentlich von Seiten des Oberbefehlshabers) im Ausland Nachrichten erhalten hatte über die Wahrscheinlichkeit des Angriffs am 12. November, unter anderem, wenn ich mich recht entsinne, in Brüssel und an anderen Orten. Eigentlich war alles in dem Informationsschreiben herausgeholt um zu beweisen, daß ich Unrecht hatte. Ich habe auch mehr oder weniger daraus die Konsequenz gezogen und habe am 5. Dezember - ich erinnere mich noch gut an das Datum - einen Brief an den Oberbefehlshaber geschrieben, daß ich dies und jenes in dem Informationsschreiben gesehen hätte und daß ich nun genau wissen wolle, ob man mir glaube, ja oder nein. Darauf erhielt ich keine Antwort. Kurz vor Weihnachten 1939 ging ich nach Holland zurück. Es war gebräuchlich, daß ich ungefähr alle drei Wochen nach Den Haag kam. Ich meldete mich beim Oberbefehlshaber, der mich fragte: "Waren Sie schon beim Minister?" Ich antwortete: "Nein, Herr General, ich habe den Minister noch nicht gesehen." Darauf sagte er: "Oh, dann werden Sie hören, daß Sie von Ihrem Posten als Militärattaché in Berlin enthoben werden. Das Ministerium hat Sie nämlich als Chef der zweiten Abteilung des Departements bestimmt." Ich hatte dies - nebenbei - von der Außenwache schon erfahren. Die Außenwache wußte es, der Unterzeichnete wußte noch nichts davon. Ich antwortete ihm: "Herr General, ich finde das etwas merkwürdig. Sie haben aus meiner Berichterstattung gesehen, daß ich gut unterrichtet bin, und der Entschluß, mich unter diesen Umständen wegzuholen, befremdet mich. Aber wenn der Minister das wünscht, habe ich mich natürlich den Befehlen zu fügen." Wir haben dann noch verschiedenes anderes durchgesprochen, und am Schluß der Unterhaltung habe ich General Reynders gefragt, ob er mir eventuell Antwort geben wolle auf meinen vorerwähnten Brief. Ich habe ungefähr so gesagt: "Herr General, ich habe Ihnen am 5. Dezember einen Brief geschrieben, in dem ich mich beschwerte über die Handlungsweise des Nachrichtendienstes und in dem ich anfragte, ob man mir Glauben schenke. Wollen Sie mir vielleicht jetzt darauf antworten oder wollen Sie das lieber schriftlich tun?" General Reynders wurde darauf sehr böse und schrei: "Verdammt, das Geklatsche von Ihnen und Ihrer Verbindung, ich glaube kein Wort davon. Sie geben mir allerlei Daten usw., was soll ich damit?" Darauf ich: "Herr General, Sie sind Oberbefehlshaber der Land- und Seestreitkräfte, Sie haben gewiß auch andere Kanäle, mit denen Sie meine Nachrichten prüfen können. Aber nachdem Sie so etwas sagen, weiß ich, wie die Sache liegt und bin froh, daß ich von meinem Attachéposten in Berlin enthoben wurde." Darauf ging ich.

Am folgenden Tag war ich bei Minister Dijxhoorn und habe ihm erst einmal gesagt, daß mich der ganze Fall sehr befremde. Darauf sagte Minister Dijxhoorn zu mir: "Ja, ich kann Ihnen sagen, wie es genau liegt. Ich wurde vor kurzem von General Reynders antelefoniert, und da sagte er mir: "Ich kann mit dem Sas, dem Militärattaché in Berlin, nicht arbeiten und ich will ihn ersetzen. Ich habe General Reynders geantwortet, daß ich das merkwürdig fände und daß ich viel auf Ihre Nachrichten gäbe und daß ich Sie auf jeden Fall an einer Stelle wünsche, die Sie nicht nach unten zieht. Ich habe ihm also mitgeteilt, daß ich Sie in diesem Fall zum Chef der zweiten Abteilung des Departements bestimmen würde. General Reynders erwiderte: "Das ist gut, Exzellenz, ich kann also darauf rechnen und ich kann ihn ersetzen lassen? Worauf ich (Dijxhoorn) gesagt habe: "Wenn Sie das unbedingt wollen, können Sie ihn ersetzen lassen." Das alles hat sich also abgespielt vor dem Besuch, den ich General Reynders machte.

Ich bin zwischen Weihnachten und Neujahr nach Berlin zurückgefahren, weil Oster mir gesagt hatte, daß am 26. und 27. eine wichtige Besprechung sei. Aus Berlin zurückgekommen, meldete ich mich von neuem mit einer Mitteilung für General Reynders. Dieser empfing mich und fragte, was denn eigentlich los sei und was das Resultat sei. Darauf ich: "Herr General, es wundert mich sehr, daß Sie das fragen. Letztes Mal sagten Sie ‘das Geschwätze von Ihnen und Ihrer Verbindung und all die Daten - was tue ich damit?’ Damals legten sie gar keinen Wert darauf, aber da Sie es nun offenbar wissen möchten, will ich es Ihnen sagen: etwa der 14. Januar." Dabei hatte ich ein Entlassungsschreiben in der Hand. Ich fuhr fort: "Herr General, sie haben mir das letzte Mal mitgeteilt, daß ich von meinem Posten enthoben werden sollte in Berlin, weil der Minister mich zum Chef der zweiten Abteilung in Den Haag wünsche. Ich weiß nun, wie die Sache liegt und habe hier einen Brief, den ich bitte, zugleich zu lesen." in diesem Brief hatte ich um meiner Ehre willen selbst um Entlassung gebeten.

Durch Vermittlung von General Reynders und des Ministers bat ich bei der Königin um Entlassung von meinem Posten auf Grund der vorberichteten Verhältnisse. Die Sache schlummerte zuerst einmal.

Um mich kurz zu fassen: Danach passierte die Geschichte mit der Landung des deutschen Flugzeugs in Belgien, am 10. Januar 1940. Das war die zweite Krisis, die ich mitgeteilt habe. Meine Bittschrift wurde sofort an die Königin weitergegeben, aber der Umstand, daß General Reynders am 9. Februar seinen Kommandos enthoben wurde, hat die Entlassung gestoppt, denn ich erhielt daraufhin einen Brief von Minister Dijxhoorn, worin er mir schrieb: "In der Meinung, daß durch den Weggang von General Reynders die Hindernisse für mein Verbleiben als Militärattaché wahrscheinlich wegfallen würden", daß er Wert auf meine Nachrichten aus Berlin lege und mich bat, ihn wissen zu lassen, ob ich auf meinem Posten bleiben wolle. Daraufhin habe ich mein Gesuch um Entlassung als Militärattaché in Berlin zurückgezogen.

Nun komme ich zu den Ereignissen des April. Ich bin ungefähr am 18. März zum letzten Male in Holland gewesen. Inzwischen war General Winkelmann Oberbefehlshaber geworden. Ich habe dann mit General Winkelmann gesprochen und habe ihn auch auf die Person einer Nachrichtenquelle aufmerksam gemacht und zwar in dem Sinne, daß ich erneut dem General eine Beschreibung seiner Persönlichkeit gab, wobei General Winkelmann mir sagte, daß er den Nachrichtenmann eigentlich für einen erbärmlichen Kerl halte. Ich antwortete ihm darauf, daß ich ihn für einen Charakter hielte, wie ich ihn bisher noch nicht getroffen hätte, und daß dieser Mann so tollkühn und so mutig wäre, wie niemand anders, umringt von Gestapo, sich mit seinen Leuten gegen Hitler aufzulehnen. Ferner, daß der General bedenken müsse, daß der Unterschied zwischen seiner und meiner Auffassung nicht zu Unstimmigkeiten führen dürfe in der Beurteilung der Frage des Wertes der Nachrichten, und daß ich dafür einstehe, daß die Nachrichten 100%ig zutreffend wären. Das war das letzte Mal, daß ich General Winkelmann damals gesehen habe. Dann kamen die Apriltage. Mittwoch nachmittag, 3. April, erhielt ich von Oster die Mitteilung bezüglich der Invasion in Dänemark und Norwegen, gleichzeitig mit der großen Wahrscheinlichkeit einer solchen im Westen. Als ich diese Nachricht bekam, war es fünf Uhr nachmittags. Der Gesandte war im Augenblick nicht zugegen, und so konnte ich keinen Zahlencode durchgeben, da alle Codeberichte vom Gesandten ausgingen und nicht von mir. Ich mußte also in diesem Augenblick einen anderen Code benutzen, den ich mit dem damaligen Kapitän Kruls hatte. Es war eine Absprache, die wir getroffen hatten, wobei wir ein Diner ankündigten, das für einen Monat später verabredet wurde. Ich habe also Kruls angerufen und ihm gesagt: "Ich komme in Kurzem nach Holland, und dann will ich gerne mit Dir essen, und zwar am 9. Mai." Danach, am folgenden Tag, habe ich den Dänischen Marineattaché Kjolson und den norwegischen Kanzler, den Gesandtschaftsrat Stang gewarnt. Was Dänemark anging, so sind die Nachrichten weitergegeben worden. Nach Norwegen ist die Nachricht nicht durchgegangen, da Stang ein Quisling war und er völlig auf deutscher Seite stand.. Meine Nachricht über Holland wurde anfangs gut aufgenommen. Wenn ich mich recht erinnere, wurden Urlauber zurückgerufen am 9. April. Man hat verschiedene Maßnahmen getroffen, und ich war glücklich, daß man der Warnung Gehör gegeben hatte. Inzwischen ereignete sich noch etwas Bemerkenswertes. Wir hatten auch andere gewarnt, nämlich niederländischedeutsche Offiziere, die sich in Deutschland befanden, über die Grenze gingen und nachher zurückkamen. Wir haben später eine eigenartige Reaktion des Außenministers erlebt, denn er hat uns mehr oder minder verwiesen, daß wir die Offiziere gewarnt hatten. Das war an sich eine merkwürdige Reaktion. Man weiß natürlich von vornherein nie, ob etwas rechtzeitig ist oder nicht. Aber es hat doch nun wirklich keinen Sinn, holländische Offiziere den Deutschen in die Hände fallen zu lassen. Ich teile dies nur mit, weil immer noch ein gewisser Zweifel, eine Art Mißtrauen herrschte. Man hat auch einmal gesagt oder geschrieben, daß bei uns in Berlin der Pessimismus von den Wänden liefe.

Der Vorsitzende: Hatten Sie völlige Mitarbeit durch den Gesandten in Berlin?

A.: In der Tat. Ja, ich kann das nur mit Lob erwähnen, Herr Vorsitzender. Was mich aber persönlich anbetrifft und was mir sehr unangenehm gewesen ist, ist, daß ich später, während ich doch wahrscheinlich der einzige meiner Kollegen in Berlin gewesen bin, der über Invasion in Norwegen und Dänemark unterrichtet war, einen Rüffel vom Oberbefehlshaber bekam in Form eines Briefes, etwa folgendermaßen:

"Wenn ich auch die Bedeutung Ihres seinerzeitlichen Telefonberichtes an Kapitän Kruls anerkenne, so muß ich doch bemerken, daß der Bericht nicht völlig mit dem tatsächlichen Verlauf der Dinge übereinstimmte. Es wurden dadurch Maßnahmen und Vorkehrungen getroffen, die sonst unterblieben wären. Ich bitte also, sich in Zukunft genau an den verabredeten Codetext zu halten." Der Haken saß darin, daß ich in der Codeabsprache mit Kapitän Kruls wohl auf die sehr große Wahrscheinlichkeit einer Invasion in Holland hatte hinweisen können, ich konnte aber nichts sagen von Dänemark und Norwegen, denn das ist in einer solchen getarnten Verabredung für ein Diner natürlich nicht unterzubringen. Deswegen schrieb ich an den Oberbefehlshaber in diesem Sinne, setzte nochmals alles auseinander und wies darauf hin, daß ich der einzige Militärattaché war, der davon wußte und daß meine Kollegen einstimmig dies als eine "einzigartige Leistung" bezeichnet hatten. Am Schluß des Briefes schrieb ich: "Herr General, ich hätte gehofft, daß Sie mir einen anderen Brief schreiben werden."

Am Freitag, den 3. Mai, erhielt ich zuerst wieder Mitteilung von Oster bezüglich der Möglichkeit einer Invasion in Holland. Gemeinschaftlich haben wir beschlossen, noch etwas zuzuwarten, denn Oster sagte zu mir: "Du hast so viel Schwierigkeiten in Holland gehabt, sie glauben es ja doch nicht. Wir wollen erst noch etwas warten und sehen, was weiter passiert." Das war Freitag mittags.

Samstag kam ein Telegramm aus Den Haag vom Außenminister mit der Mitteilung, daß der Vatikan gewarnt habe vor der Möglichkeit einer Invasion in Holland, ferner wollte man wissen, was dem Militärattaché darüber bekannt wäre. Der Gesandte funkte darauf zurück, daß die Meldung des Vatikans durchaus bestätigt würde durch einen Bericht, die der Militärattaché inzwischen erhalten habe und daß ein Invasion in der Mitte der folgenden Woche vorgesehen wäre.

Sonntag, am 5. Mai, wurde ich antelefoniert - ich saß in meinem Hotel - durch den griechischen Militärattaché, und zwar hing das zusammen mit verschiedenen Meldungen in deutschen Zeitungen, wonach im Mittelmeer eine Spannung bestehen sollte. Der Marineattaché hatte seine sämtlichen Kollegen aufgesucht und dabei auch den japanischen Marineattaché gesprochen, Admiral ... (ich habe im Augenblick den Namen vergessen), wobei dieser Admiral gesagt hatte, daß von einer Spannung im Mittelmeer keine Rede sei, aber in einigen Tagen geht es im Westen los." Der griechische Marineattaché fügte hinzu, er wisse, daß eine griechische Frau ein Verhältnis mit einem Major des Polizeibataillons in Berlin habe, der eine Art Mobilmachungsbefehl erhalten habe, sich an einem bestimmten Tag an einem bestimmten Ort in den Niederlanden einzufinden. Dasselbe war der Fall vor der Invasion in Polen. Es war also ein Hinweis darauf, daß die Invasion im Westen bevorstand.

Montag erhielten wir verschiedene Meldungen, die darauf schließen ließen, daß die Invasion nahe bevorstand, aber gleichzeitig kam von der belgischen Seite die Mitteilung, daß es noch nicht ganz sicher wäre; man sei deutscherseits emsig mit der Ausfertigung eines Aktenstückes beschäftigt, das aber noch nicht fertig sei, also die Möglichkeit eines Aufschubs von einigen Tagen noch bestände. Auch das wurde wieder in einem Codetelegramm Montag abends mitgeteilt mit der weiteren Mitteilung, daß soviel bekannt, die Invasion am Mittwoch, den 8. Mai, stattfinden sollte. Unter Papieren, die im Flugzeug von General Student - der deutsche General der mit dem Flugzeug abgeschossen wurde - gefunden wurden, befand sich ein Zeitplan; hinter dem Tag D für den Angriff findet man mit der Hand geschrieben: 8. Mai. Inzwischen geschah Dienstag etwas, das wahrscheinlich Grund zum Aufschub gab. Dienstag morgens erhielt die Gesandtschaft einen Antrag auf vier Visa für Deutsche, die in großer Eile nach Holland müßten, und als wir uns die Namen ansahen, fanden wir darunter den berühmten Herrn von Kievitz, der Mann, der auch das Ultimatum an Polen überbracht hatte. Das war ja nun ein deutliches Zeichen, daß die Invasion bevorstand. Unsererseits wurde die Sache so behandelt, daß wir den Antrag vorläufig nicht weitergaben mit der Begründung, "das können wir von uns aus auch nicht ohne weiteres erteilen, wir müssen erst die Zustimmung des Außenministers erfragen". So haben wir das gemacht und dann die Angelegenheit noch ein bißchen aufgehalten, sodaß der Mittagszug weg war und die Herren nicht abreisen konnten. Dann stellte sich heraus, daß sie auf dem Tempelhofer Feld ein Flugzeug bereit hatten, um nach Holland zu fliegen. Darauf teilten wir ihnen mit: "Sie können nicht fliegen, das Fliegen über Holland ist verboten, und wenn sie es doch tun, werden Sie abgeschossen. Fahren Sie mit dem Zug am Mittwoch." Diesen Dienstag abend - Dienstag war der Tag der Rückberufung der Urlauber auf Grund der Nachrichten vom Montag abend - das muß ich noch eben dazwischen sagen, haben wir einen Codebericht gegeben, daß die Invasion wahrscheinlich kurze Zeit aufgeschoben sei, in dem Falle aber vor dem Wochenende kommen werde.

Mittwoch war es völlig ruhig, es geschah nichts Besonderes. Jedermann lauerte natürlich auf die Abreise der vier Herren nach Holland, die inzwischen nicht abgereist waren. Hinterher hörte ich von Oster, daß die vier Botschafter in der Reichskanzlei eingeschlossen worden waren, damit über den Fall nichts mehr herauskäme. Die Herren mußten dort warten, aber wahrscheinlich war es doch nicht mehr nötig. Ich glaube nicht, daß Mittwoch noch etwas Besonderes war. Das müßte ich nochmal nachsehen.

Donnerstag mittags hatte ich zum letzten Mal Kontakt mit Oster. Abends um 7 Uhr bin ich zu ihm gegangen. Ich war fast regelmäßig jeden Tag bei ihm. Dabei teilte er mir mit, daß die Geschichte nun wirklich abgelaufen sei, daß die Befehle für die Invasion im Westen gegeben seien und daß Hitler an die Westfront abgefahren sei. Aber er hat mir noch dazu gesagt: " Es besteht immer noch eine Möglichkeit, daß die Sache zurückgestellt wird. Wir haben dies nun schon dreimal mitgemacht. Also laß uns noch ein bißchen warten. Halb zehn ist der kritische Zeitpunkt. Wenn bis halb zehn Uhr keine Gegenbefehle sind, dann ist es endgültig aus." Oster und ich haben dann zusammen in der Stadt gesessen. Es war natürlich mehr oder weniger ein Begräbnismahl, wobei wir alles, was wir getan hatten, nochmals durchgingen. Er hat mir auch noch erzählt, daß nach der Affäre Dänemark eine Untersuchung eingeleitet worden ist, da man entdeckt hatte, daß irgendwo ein Leck war. Man hat zwar eine Untersuchung eingeleitet, aber der Verdacht ist nicht auf den Unterzeichneten gefallen, sondern auf den belgischen Militärattaché, weil er in Verbindung stehen sollte mit katholischen Kreisen des Oberkommandos der Wehrmacht." Also, sagte Oster, haben wir unsere Karten gut gemischt. Bis jetzt sind sie noch nicht dahintergekommen, wie die Sache wirklich liegt." Wir haben also zusammen in der Stadt gesessen, und um halb zehn Uhr bin ich mitgegangen zum Oberkommando der Wehrmacht. Ich habe draußen im Dunkeln gewartet, während Oster nach 20 Minuten zurückkam und sagte: "Mein lieber Freund, nun ist es wirklich aus. Hoffentlich sehen wir uns nach dem Kriege wieder" usw. In diesem Sinne verlief das Gespräch und danach bin ich im Laufschritt zu meiner Gesandtschaft gerannt, wohin ich inzwischen den belgischen Militärattaché bestellt hatte. Er wartete dort, und nachdem ich diese Mitteilung gemacht hatte, jagte er seinerseits nach seiner Gesandtschaft, um die Nachricht weiterzugeben. Ich selbst habe das Telefon abgenommen und das Kriegsministerium in Den Haag verlegt. Das sind natürlich Augenblicke, die man nie mehr vergißt, denn in den 20 Minuten, in denen wir auf das Durchkommen des Gespräches warteten, haben wir Blut und Eiter geschwitzt. 20 Minuten danach kam dann das Gespräch durch, und ich bekam einen Offizier ans Telefon, den ich zum Glück gut kannte, den Leutnant zur See 1. Klasse Post Uitwen, jetzt Kapitän zur See, mit dem ich ein Gespräch folgenden Inhalts hatte: Ich sagte: Post, Sie kennen meine Stimme, nicht wahr? Ich bin Sas in Berlin. Ich habe Ihnen nur eins zu sagen. Morgen früh bei Tagesanbruch: "Ohren steif!" Sie begreifen mich doch? Wollen Sie es eben wiederholen!" Er wiederholte es und sagte zum Schluß: "Also Brief 210 erhalten." Ich wiederholte das und sagte: "Ja, Brief 210 erhalten." Das war eine verschlüsselte Absprache, die wir im letzten Augenblick getroffen hatten. "Brief 200" bedeutete Invasion und die beiden letzten Zeilen sollten den Tag der Invasion angeben. Also in diesem Falle "Brief 210" erhalten. Damit war die Geschichte für diesen Abend noch nicht erledigt, aber meine Nachricht war in jedem Falle weitergegeben. Ungefähr 1,5 Stunden danach rief mich Oberst von de Plassche an . (Oberst von de Plassche war der Chef der Abteilung Nachrichten Ausland). Er rief mich also an und sagte mit mehr oder weniger Zweifel im Ton: "Ich habe so schlechte Nachrichten von Ihnen über die Operation Ihrer Frau. Wie mir das leid tut. Haben Sie denn auch die Ärzte konsultiert?" Worauf ich, der ich mich nun zum zweitenmal auf der offenen Leitung bloßgestellt hatte, wütend wurde und u. a. Sagte: "Ja, ich verstehe nicht, daß Sie mich unter diesen Umständen noch belästigen. Sie wissen es jetzt. Die Operation, daran ist nichts mehr zu ändern. Ich habe mit allen Ärzten gesprochen. Morgen früh bei Tagesanbruch findet sie statt." Dann habe ich den Hörer auf die Gabel geworfen. Ich muß dazu noch folgendes sagen, Herr Vorsitzender, um die Zeiten für die verschiedenen Geschehnisse zu diktieren: Meine erste Telefonnachricht wurde um 10.20 Uhr Berliner Zeit durchgegeben, d.h. 5 Minuten vor 9 Uhr in Den Haag. Über das zweite Telefongespräch mit Oberst van der Plassche bin ich nicht ganz sicher. Es kann 1 Stunde später gewesen sein. 10 Uhr holländische Zeit, es kann auch halb 11 Uhr gewesen sein.

Damit war meine Rolle Als Militärattaché in Berlin ausgespielt. Ich hatte meine Pflicht getan. Ich bin in mein Hotel zurückgekehrt, habe meine Zahnbürste geholt und meinen Pyjama und bin in die Gesandtschaft schlafen gegangen, denn der Gesandte wollte nicht, daß ich die Gesandtschaft noch verließ. Am folgenden Morgen um halb sechs Uhr bumste der Gesandte an meine Tür und sagte: "Nun ist es tatsächlich so weit. Ich muß zu Ribbentrop kommen." Er ging zu Ribbentrop, und wir haben das Radio angedreht. Da hörten wir, daß die Invasion in Gang war.

Vielleicht sind mir einige Besonderheiten entgangen, aber es ist doch im allgemeinen das, was ich zu sagen habe. Ich bin von der Kommission aufgefordert worden, einen schriftlichen Bericht zu geben, aber ich habe hier eigentlich alles gesagt, vielleicht etwas gedrängter als wenn ich es schriftlich niedergelegt hätte.

Der Vorsitzende: Wie ist es nun in Berlin weitergegangen?

A.: Ich bin in der Gesandtschaft geblieben. Nach zwei Tagen wurden wir dort alle eingesperrt. Ich hatte in dem Augenblick den größten Teil meines Archivs schon vernichtet und den letzten Teil haben wir, d. h. der Gesandte und die anderen Herren der Gesandtschaft, noch am letzten Abend vor unserer Abreise nach Friedrichshafen durchgesehen, um uns die wichtigsten Dinge einzuprägen. Die wichtigsten Sachen wurden auch noch vernichtet. Deswegen habe ich kein einziges Papier mehr, womit ich die Richtigkeit meiner Aussagen bekräftigen könnte. Nach Ankunft in der Schweiz haben wir aber eine kurze Niederschrift der Dinge, die zwischen dem 3. Und 10. Mai geschahen, angefertigt. Dienstag abends wurden wir mit der ganzen Gesandtschaft weggebracht nach Friedrichshafen, wo wir Mittwoch morgen ankamen, und dort haben wir gewartet, bis die Zustimmung der deutschen Regierung eintraf, daß wir über die Schweizer Grenze gehen dürften. Wir sind bei Romannshorn über die Grenze gegangen. Es war am 20. Mai.

Der Vorsitzende: Ist General Oster, den Sie ein paar Mal genannt haben, weiter in Funktion geblieben und ist er später...

A.: Ja, Herr Vorsitzender. Er blieb auf seinem Posten bis 1943. Mein erstes Telefongespräch scheint nicht so sehr aufgefallen zu sein. Ich war mir natürlich bewußt, daß die Telefongespräche überhört wurden, und das zweite Telefongespräch von Oberst von de Plasche ist auf jeden Fall aufgenommen worden, das ergibt sich aus dem Buch von Gisevius. Es wurde daraufhin eine Untersuchung eingeleitet, da man erkannt hatte, daß sich ein Verräter in meinem Bekanntenkreis befinden müsse. Dabei ist der Verdacht auf Oster gefallen. Die Ostergruppe hat aber die Untersuchung in die Hände von Untersuchungsrichter Dr. Sack gespielt, der zu dieser Gruppe gehörte. Sie haben die Untersuchung hinschleppen können, und die Gestapo hat niemals mit Sicherheit feststellen können, wie das Verhältnis zwischen Oster und mir nun wirklich lag. Man hat auch später hier in Holland Nachforschungen über diesen Fall angestellt, u. a. verschiedene Offiziere, deren man habhaft werden konnte, aus dem Nachrichtendienst verhört. Ebenso meinen Sekretär, der auch nach Holland zurückgekehrt war. Da aber niemand etwas wußte, konnte die Gestapo auch nichts herausbringen. Man hat mir nur bei einem der Verhöre ein Kompliment gemacht, indem man sagte: "Dieser verdammte holländische Militärattaché war doch der Schlaueste von allen." Dies war ein ziemlich großes Kompliment der Gestapo.

Der Vorsitzende: Ich glaube, daß der Fall wohl völlig aufgeklärt ist. Ich möchte Sie noch einige Einzelheiten fragen. Sie haben z. B. gesagt, daß Sie im September in Polen eine Studienreise gemacht haben. Und Sie haben auch Stellungen besucht, die die Polen innehatten. Ist es richtig, daß Sie später bei General Reynders darüber Mitteilung gemacht haben und daß Sie einen Vergleich gemacht haben zu der Peel-Raam-Stellung, oder erinnern Sie sich nicht daran?

A.: Daran erinnere ich mich nicht, aber es ist sehr wohl möglich.

Der Vorsitzende: Nach unseren Informationen sollen Sie damals gesagt haben, daß Sie, verglichen mit dem, was bei den Polen bestanden hat, die Peel-Raam-Stellung so stark taxierten, daß Sie wohl eine oder zwei Wochen standhalten würde.

A.: Das kann ich mit der Hand auf dem Herzen nicht sicher sagen, Herr Vorsitzender. Es ist natürlich wohl möglich, daß ich gesagt habe, daß im Vergleich zu dem, was wir in Polen gesehen haben, die Peel-Raam-Stellung besser wäre, weil tatsächlich die Peel-Raam-Stellung befestigungsmäßig auf einem viel höheren Stand lag als die Stellungen, die ich in Polen gesehen habe, aber das kann ich nicht positiv sagen.

Der Vorsitzende: General Reynders hat hier gesagt, daß Sie gesagt haben sollten: "In Anbetracht dessen, was ich gesehen habe, scheint es mir eine Woche bis vierzehn Tage."

A.: Das kann ich nicht sagen, es scheint mir - wenn ich es ehrlich sagen darf - nicht wahrscheinlich. Ich bin selbst mehr oder weniger ...

Der Vorsitzende.: Ein bißchen zu sehr voreingenommen?

A.: Ja, zu sehr voreingenommen. Ich glaube niemals, daß ich es in einer derartigen Form gesagt haben würde. Denn ich bin Chef der Abteilung Operation gewesen und mehr oder weniger Mitplaner der Peel-Raam-Stellung. Das ist eine Stellung, die durch den Unterzeichneten und andere Stabsoffiziere im Jahre 1938 ausgekundschaftet wurde, und also kenne ich sie. Aber letzten Endes hängt der Wert einer Stellung nicht so sehr ab von dem toten Material, sondern vom lebenden Material. Ich war auch früher als Chef der Abteilung Operation gut unterrichtet, was man an Truppen dafür bestimmen konnte. Daß ich also da die Worte "zehn bis vierzehn Tage" gebraucht haben soll, erscheint mir sehr unwahrscheinlich, Herr Vorsitzender!

Der Vorsitzende.: Dann möchte ich noch fragen, ob in Berlin bei der Gesandtschaft ein versiegelter Umschlag deponiert gewesen ist.

A.: Nein, das war er nicht. Wenigstens nicht unter meiner Verwaltung. Ob er sonst dagewesen ist, weiß ich nicht, dann muß ihn der Gesandte gehabt haben, aber unter meiner Verwaltung war er nicht.

Der Vorsitzende: Haben Sie nichts darüber gehört?

A.: Nein. Sie meinen doch denselben Umschlag, wie er in Brüssel, London usw. bezüglich einer etwaigen Zusammenarbeit deponiert gewesen ist.

Der Vorsitzende: Ja.

A.: Wenn ich mich recht entsinne, hat Oberst Römer mir vor nicht langer Zeit gesagt, daß man den Plan hatte, so etwas auch in Berlin zu machen, aber es ist nicht so weit gekommen. Ich möchte fast mit 100-%iger Sicherheit sagen, daß der Umschlag nie in Berlin gewesen ist.

Der Vorsitzende: Ist Ihnen etwas bekannt über den Schritt, den der deutsche General Zech beim Auswärtigen Amt getan hat? Haben Sie davon Kenntnis erhalten?

A.: Nein, Sie meinen den Morgen des 10. Mai?

Der Vorsitzende: Nein, Entschuldigung. Im November vielleicht oder jedenfalls viel früher und zwar hing das zusammen mit der Möglichkeit, eventuell durch Süd-Limburg zu marschieren, ohne daß eingegriffen würde.

A.: Davon habe ich nie gehört.

Der Vorsitzende: Dann habe ich noch eine Frage, die ich Ihnen stellen möchte, weil Sie gerade auf diesem Gebiet besonders gut unterrichtet sind. Können Sie sich vorstellen, daß eine nicht frühere Verkündigung des Belagerungszustandes hier im Lande sehr ungünstig gewirkt haben könnte hinsichtlich Landesverrat und Spionage?

A.: Das kann ich mir sehr gut vorstellen, Herr Vorsitzender, wirklich.

Der Vorsitzende: Sie hielten es für ein Unglück, daß die Verkündigung des Belagerungszustandes nicht eher stattgefunden hat?

A.: Ich bin ein Mann, der sich viel mit dem Studium des Kriegs- und Belagerungszustandes beschäftigt hat. Ich bin ein Spezialist auf diesem Gebiet und ich hätte mir gedacht, daß der Belagerungszustand viel eher hätte verkündigt werden müssen, schon im Zusammenhang mit der Vorbereitung zur Mobilmachung. Ich war Militärattaché in Berlin und konnte es nicht so beurteilen, aber militärisch gesehen hatte der Belagerungszustand meiner Meinung nach viel eher ausgesprochen werden müssen als es in Wirklichkeit der Fall war.

Der Vorsitzende: Sie sagen, daß Sie das studiert haben. Hätten Sie sich früher einen Zustand denken können, wobei der Belagerungszustand tatsächlich formell im September verhängt worden wäre, aber wobei in Wirklichkeit die Befugnisse der militärischen Gewalt des Oberbefehlshabers sehr beschränkt waren durch ein Gentleman-Agreement? Finden Sie das eine merkwürdige Situation, oder ...?

A.: Ich möchte sagen, die Bestimmungen des Kriegszustandes sind in sich selbst schon sehr beschränkt, also spreche ich nicht einmal über Kriegszustand, weil der Oberbefehlshaber in diesem Fall unter wirklich militärischen Umständen viel zu beschränkte Befugnisse hat.

Der Vorsitzende: Sie finden es schon zu wenig?

A.: Ja, ich finde die Befugnisse viel zu gering.

Der Vorsitzende: Aber gesetzt den Fall, daß der Kriegszustand verhängt wird, was sagen Sie denn dazu, daß er obendrein noch mehr oder weniger ausgelöst wird?

A.: Er war absolut ausgelöst. Es war eigentlich nichts mehr übrig geblieben.

Der Vorsitzende: Und das halten Sie nicht für richtig?

A.: Vollkommen falsch. Ich muß seinen Erklärungen der Vollständigkeit halber noch etwas hinzufügen. Ich habe nämlich zwei Schreiben, die ich seinerzeit bekam, der Kommission vorlegen wollen, Herr Vorsitzender. Zur Zeit sind sie in Washington. Einer ist ein Brief des damaligen Generals Fabius, des Chefs des Nachrichtendienstes, und betrifft das Buch von Gisevius "Bis zum bitteren Ende", wobei er mir ein Kompliment über meine Berichterstattung machte. Und in diesem Brief steht der sehr eigentümliche Satz: "Es bleibt sehr schade" - so schreibt General Fabius an mich -, "daß Ihre Nachrichten durch die Schuld von Land- und Seestreitkräften nicht mit dem nötigen Kommentar weitergegeben wurden." Das ist an sich etwas Merkwürdiges. Und der zweite eigenartige Vorfall ist, daß in einer Tageszeitung vom März des vorigen Jahres eine Veröffentlichung stand, die entstanden ist aus einem Gespräch auf "de Witte" zwischen einigen Herren, und das durch den Herrn Fabius, Jan Fabius, einem Journalisten von "Het Dagblad" veröffentlicht wurde. In dieser Veröffentlichung steht u. a., daß ich etwa vierzehn Tage vor der Invasion mitgeteilt hätte, daß eine Panzerdivision bereit stünde, um über Hertogenbosch - de Landstraat nach Rotterdam zu rücken. Das habe ich tatsächlich mitgeteilt, d. h., ich habe natürlich nur die großen Linien gegeben. Die Panzerdivision lag im Raume Rheine-Münster-Osnabrück. Ich habe in diesem Brief darauf hingewiesen, daß, wenn die Panzerdivision in Bewegung gesetzt würde nach Süden, dann der letzte Augenblick für die Invasion gekommen sei. Nach der Veröffentlichung in "Het Dagblad" von März erhielt ich einen Brief von General Winkelmann, der mir mitteilte, daß der Bericht - der natürlich sehr wichtig war - ihn nie erreicht habe, worauf ich dem General zurückschrieb, daß ich die Aufmarschroute sofort mitgeteilt hätte, wobei ich mindestens vier Zeugen hätte, die wüßten, daß er im Allgemeinen Hauptquartier angekommen sei. Offenbar ist er bei irgendjemandem auf dem Tisch liegen geblieben.

Der Vorsitzende: Können Sie sagen, bei wem er liegen geblieben ist?

A.: Ich will lieber keine Namen nennen, weil ich natürlich nicht nachgehen kann, wer es war. Aber er muß irgendwo liegengeblieben sein.

Der Vorsitzende: Glauben Sie, daß das Absicht gewesen ist?

A.: Nein, das nicht. Aber vielleicht Nachlässigkeit, oder daß man z. B. dachte, der Unterzeichnete sei doch mehr oder weniger verrückt oder so was ähnliches.

Der Vorsitzende: Können Sie die vier Zeugen nennen?

A.: Das sind: Kapitän Kruls, der gegenwärtige Generalleutnant Kruls, Oberst Römer, Der Major Kok, Der Oberst, Dr. Somer.

Herr Algera: ich möchte Ihnen gerne noch zwei Fragen stellen. Erstens: Minister Dijxhoorn hat hier erklärt, daß sie wußten, daß General Reynders verschiedenen Offizieren verboten hatte, die Königin und die Regierung zu informieren. Wissen Sie davon etwas? Die zweite Frage ist, ob Sie uns etwas mitteilen können über das Schicksal von General Oster.

A.: Die erste Frage: Ich habe wohl einmal darüber sprechen hören. General Reynders hat es mir nur in dem Fall verboten, den ich Ihnen berichtet habe, wobei er mir verbot, mit dem damaligen Minister Dijxhoorn zu sprechen und mit Minister van Kleffens.

Herr Algera: so wissen Sie also nichts von anderen Offizieren?

A.: Nein, aber dies ist mir persönlich passiert.

Der Vorsitzende: Und die andere Frage? Was wissen Sie vom Schicksal des General Oster?

A.: General Oster ist erdrosselt worden am 9. April 1945, also einen Monat vor Kriegsende. Zugleich mit Admiral Canaris und einigen anderen.

Der Vorsitzende: Nachdem er im Gefängnis gesessen hatte?

A.: Ja, er hat die ganze Nacht in der Albrechtstraße gesessen.

Der Vorsitzende: Wegen dieser Sache oder aus einem anderen Grund?

A.: Nein, Herr Vorsitzender. Das ist anläßlich meines Falles und noch einiger anderer Fälle das ganze Komplott, das sich gegen Hitler entwickelt hat und dessen treibende Kraft Oster gewesen ist. Man hat ihn wohl einmal den "managing director" des Komplotts gegen Hitler genannt. Es sind nach Mai 1940 noch mehr Indiskretionen passiert, und der Verdacht ist stets mehr auf Oster gefallen. Zum Schluß war es derart, daß er 1943 verhaftet wurde und man ihn in eine Untersuchung verwickelt hat, aber doch eigentlich nichts Positives gegen ihn vorbringen konnte. Man hat ihn unter Bewachung der Gestapo aufs Land verschickt. Er hat dann bei dem Anschlag auf Hitler nicht mehr mitgetan, und das ist sehr schade gewesen, denn er war der weitaus Tüchtigste von allen, und es wäre ihm sicher nicht passiert, daß dieser Anschlag mißglückte, wie es dann der Fall war. Er saß irgendwo auf dem Land, ich weiß nicht wo, unter Aufsicht der Gestapo, und als am 20. Juli 1944 das Komplott ausgeführt wurde, gab es irgendeine Mitteilung, ein Telegramm, glaube ich, das von Berlin nach Dresden geschickt wurde, wodurch der kommandierende General dort die Anweisung erhielt, daß er seinen Posten niederlegen solle, und daß dieser von General Oster übernommen würde. Das finden Sie auch in "Bis zum bitteren Ende". Damit war die Sache Oster besiegelt, ganz abgesehen davon, was schon früher gegen ihn vorlag. Man hat ihn in der Albrechtstraße eingesperrt. Ich habe noch Kopien von den Briefen, die er dann an seine Frau geschrieben hat, insgesamt sehr dramatisch. Zum Schluß ist er dann in irgendeinem Lager in Deutschland langsam erdrosselt worden; es dauert acht Stunden, ehe man tot ist.

Der Vorsitzende: Haben Sie sonst noch etwas mitzuteilen?

A.: Nein, Herr Vorsitzender.

Der Vorsitzende.: Dann danke ich Ihnen sehr für Ihre Mitteilungen.

G. J. SAS: Riujs be Reerenbrouk, Vorsitzender

Algera
Korthals
Duisterwinkel, Gerichtsschreiber
 
     
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