Dieter Kersten - November / Dezember 2004    
Wir sind das Volk!  
     
 

Wir sind das Volk , diese vier Wörter, der Slogan von 1989, zuerst skandiert auf den Demonstrationen in Leipzig, wurde von vielen Menschen in der ehemaligen DDR als die Aufforderung verstanden, an politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Es entstanden die Runden Tische, die bzw. deren Teilnehmer für kurze Zeit die Geschicke bzw. die Zukunft der DDR meinten mitbestimmen zu können. Aber es kam, was kommen mußte: der Slogan Wir sind das Volk änderte sich in Wir sind ein Volk und der vermeintliche "Kanzler der Einheit" Helmut Kohl konnte ohne Skrupel "blühende Landschaften" in der dann schon fast ehemaligen DDR ankündigen. Das Volk, welches zu Anfang so selbstbewußt auftrat, war zu einem beliebigen Ein Volk geworden, und die "blühenden Landschaften" erwiesen sich als Fata Morgana. Ein Volk hatte die für kurze Zeit erworbene Verantwortung für sich selbst wieder an skrupellose Lobbyisten abgegeben, und fuhr, anstatt die eigene Zukunft zu gestalten, lieber in den Süden in Urlaub, mit einem frisch gekauften Auto. Man hat ja einen Anspruch darauf. Der Katzenjammer mußte kommen, er war von Ein Volk hausgemacht.

Jetzt, wo diese skrupellosen Lobbyisten ihre Zeit gekommen sehen, den Sozialstaat, gewachsen in der subtropischen Wärme des Kalten Krieges, zu roden, sind die Menschen auch auf die Straße gegangen und haben wieder gerufen Wir sind das Volk und sie haben nicht gemerkt, daß sie damit eine Selbstverpflichtung eingehen, über diese Demonstrationen hinweg für die eigene Selbstbestimmung zu sorgen. Was nun passiert, ist fast noch schlimmer als die Aufgabe der Runden Tische - nämlich gar nichts. Statt eine neue politische Ordnung zu fordern, die die Lobbyisten, die Parteivertreter, kontrolliert, zieht sich Das Volk in die immer noch eigenen vier Wände zurück und kuscht.

Dabei gibt es durchaus Möglichkeiten, sich "kampfes"mutig einzubringen: Wir haben ein Genossenschaftsgesetz, welches Mitbestimmung möglich macht, wir haben faktisch ein Mitwirkungsrecht bzw. eine Mitwirkungspflicht von (mutigen!!??) Eltern schulpflichtiger Kinder in der Schule, wir haben in manchen Gemeinden ein (Bürger-)Deputiertenrecht, welches natürlich kritisch durchgesetzt werden muß und wir haben die Mitbestimmungsrechte in der Wirtschaft.

Diese Beispiele lassen sich fortsetzen. Keiner wehrt sich wirklich, weder bei Opel, noch bei VW, auch nicht bei Daimler-Chrysler, bei der Deutschen Post oder der Deutschen Bahn. Wirklich wehren, d.h. ja, nicht lamentieren und schreien, sondern sich informieren und sachlich in "direkter Demokratie" mitgestalten. Von jedem Einzelnen ist intensive politische Arbeit gefordert. Wir sind das Volk - das sollte das Drehbuch für politische Nachbarschaften (Diskussions-und Beschlußforen = "Runde Tische" für ca. 500 beieinanderwohnende Wahlberechtigte) sein, in denen das Volk sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Regierungen und Verwaltungen sind entweder nicht in der Lage, die sozialpolitischen Probleme zu lösen oder sie sind in dem selbstverschuldeten Wust von Akten, Gesetzen, Bestimmungen und Verordnungen, und nicht zu vergessen, dem Lobbyistentum, so verheddert, daß sie handlungsunfähig sind.

Wir sind das Volk heißt auch, Freiheit durch Selbstbestimmung gewinnen.

Wehrt Euch! In den Ausgaben September und Oktober des Kommentar-und Informationsbriefes habe ich mich mit der nicht vorhandenen Demokratie in Deutschland, der Sozialpolitik und mit der "Dienstleistungswüste Deutschland" auseinandergesetzt. Mir ist vorgeworfen worden, daß ich die "kleinen Leute" für Dinge verantwortlich mache, die vom mittleren und obersten Management zu verantworten sind. Aber wenn Wir sind das Volk einen Sinn haben soll, dann muß von unten der Protest kommen, Widerstand muß geleistet werden, gegen Gewerkschafts - und Unternehmer-Funktionäre.

Natürlich sind mittleres und Vorstands-Management die Hauptschuldigen an der Misere von Opel und Karstadt/Quelle, um nur diese beiden Firmen zu nennen. Zusammen mit allen Politikern und auch allen Mitgliedern der so genannten "staatstragenden" Parteien hat das Wirtschaftsmanagment, flankiert von einer teilweise skrupellos agierenden "veröffentlichten" Meinung der Medien, in den letzten 55 Jahren der Bundesrepublik alt und neu, diesen wirtschaftlichen Zustand herbeigeführt, mit dem wir es heute zu tun haben.

Die Globalisierung der Wirtschaft ist von der wirtschaftlichen und politischen Oligarchie herbeigeführt worden, sie ist so gewollt. Die Demontage des Sozialstaates, der mit Sicherheit sehr unausgewogen war und die Arbeitenden auch sehr belastet hat, ist auf diese zügellose Globalisierung zurückzuführen. Der Profit der Geldbesitzer steht im Mittelpunkt. Deshalb bleibt die Belastung der Arbeitenden erhalten und die sozial Schwachen werden ausgegrenzt.

Die Gewerkschaften haben eifrig daran mitgewirkt. Keiner darf vergessen, daß sie bei allen großen Firmen mit im Aufsichtsrat und zum Teil auch als Arbeitsdirektoren in den Vorständen sitzen. Bei allen Managementfehlern - die Gewerkschaftsfunktionäre waren dabei. Ich will die Mitbestimmung in den Betrieben nicht herunterspielen. Sie ist oftmals wichtig und nötig. Zum Problem wird sie, wenn Gewerkschaftsfunktionäre meinen, diese Mitbestimmung sei abhängig von einer "gleichen Augenhöhe", und wenn sie unter der "gleichen Augenhöhe" das Profilierungsbedürfnis verspüren, sagen wir mal, einen gleich großen Swimmingpool in ihrem Garten haben zu müssen, wie ein Vorstandsvorsitzender. Ich meine das nicht gegenständlich, sondern im übertragenen Sinn. Die Gewerkschaften wären angesehene und hilfreiche Organisationen, wenn in ihnen Wirtschafts - und Demokratie-Modelle diskutiert und entwickelt werden würden. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß wir regionale Währungen brauchen, umlaufgesichertes Geld, welches die Leistung des Bürgers in der Region in Wirtschaftskraft umsetzt. Ich bin weiter der Auffassung, daß wir möglichst viel direkte Demokratie bedürfen, um die Menschen in die lebensnotwendigen Entscheidungen einzubinden. Natürlich wird es ein politisches, nachbarschaftliches Ringen geben, wenn es um die Definition von lebensnotwendigen Entscheidungen geht. Wir sind das Volk!

 
     
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