Martin Rust - Februar 2005    
Scharf hingeschaut - diesmal bei Hartz IV:
Des Kaisers neue Kleider...
 
     
 

Nein, keine Angst, ich will an dieser Stelle nicht das wiedergeben, was ohnehin jeder aufmerksame Medienbeobachter in den letzten Monaten dazu aufnehmen konnte. Behalten wir an dieser Stelle nur eins mal kurz im Hinterkopf: der Charakter von Hartz IV ist ein grundlegender Paradigmenwechsel in den sozialen Sicherungssystemen, denn das Arbeitslosengeld II ist eine reine Fürsorgeleistung, deren Zuteilung von den individuellen Lebensumständen abhängig gemacht wird. Übrigens - meine Oma in den fünfziger Jahren kannte schon den Begriff > Fürsorge <, und in der DDR kannte man ihn auch. Nur wir im Westen lernen ihn jetzt erst kennen. Aber wieso kannte ihn denn meine Oma schon? Ist er vielleicht gar nicht so neu? Werfen wir doch einmal einen erhellenden Blick in die Geschichte .....

Am 01. September 1919 schrieb der General von Lüttwitz - ja, genau der, der später mit dem Kapp-Lüttwitz-Putsch traurige antidemokratische Bekanntheit erlangte - der schrieb also an den Reichswehrminister u.a. >... Die Versuche, das Volk mit Milde und Zureden zur Annahme von Arbeit zu bewegen, sind vergeblich gewesen. Nur Zwang wird das Volk zur Arbeit bringen. Daraus ergeben sich folgende Notwendigkeiten ... Vernünftiger Abbau der Arbeitslosenunterstützung. Der Grundsatz: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, muß wieder wie früher zur Geltung kommen ... (Die) Arbeitslosenunterstützung ....als Stütze der Faulheit ist ... ein Verbrechen.< Und dann das Jahr 1927. Ein Historiker: > Zusammen mit dem System der Tarifverträge stellte das Gesetz (über die Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosenversicherung; d.A.) die Krönung des sozialpolitischen Werkes der Weimarer Republik dar <. Schauen wir uns das Gesetz vom 07. Juli 1927 doch kurz an, lassen die damaligen monetären Zahlenwerte beiseite und geben wir dem Fachhistoriker wieder das Wort. > Das Gesetz ... brachte die volle Durchsetzung des Versicherungsprinzips, aber auch des Rechtsanspruchs. Die lange umstrittene Bedürftigkeitsprüfung fiel weg ... Die Unterstützung wurde 26 Wochen lang gezahlt, konnte aber bei ungewöhnlich schlechten Arbeitsmarkverhältnissen auf 39 Wochen ausgedehnt werden. Wer dann immer noch arbeitslos war, wurde ausgesteuert und blieb auf die Krisenfürsorge angewiesen, die das Reicharbeitsministerium durch Verordnung regelte, wobei die Mittel vom Reich und den Gemeinden aufgebracht wurden und die Bedürftigkeitsprüfung weiterbestand .... Die Arbeitslosenversicherung .... (wurde institutionell getragen) von der Reichanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge (RafAuA), die sich in eine Hauptstelle, 13 Landesarbeitsämter und 363 Arbeitsämter gliederte. Ihre Aufgabe war neben der Arbeitslosenunterstützung auch die Arbeitsvermittlung .....<

Also jetzt mal wirklich: Ich dachte bisher, ich erlebe mit Hartz IV den Rückfall in die fünfziger Jahre, aber bittschön Herr Hartz: Sie und ihre famose Kommission haben ja nur abgeschrieben! Und Herr Schröder und Herr Clement: Kann ich annehmen, Sie haben bei Ihrem bekannten historischen Kenntnis- und Bewußtseinsstand nicht gewußt, daß Sie in ihren öffentlichen Äußerungen (so z. B. Schröder im April 2001: > Es gibt kein Recht auf Faulheit: Wer arbeitsfähig ist, aber einen zumutbaren Job ablehnt, dem kann die Unterstützung gekürzt werden.<) und gesetzlichen Handlungen einerseits auf den General von Lüttwitz und zum andern auf das Jahr 1927 zurückgehen (oder etwa doch?!?)? Fakt ist: ganz prima stehen wir also wieder da in Deutschland, so etwa um 1927 ..... Danke, meine Herren, klasse gemacht. Wer hätte das gedacht?

Nachtrag: Laut "Berliner Morgenpost" vom 10. 01. 2005 fordert der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), ...> die Bezieher von ALG II sollten wie in der Zeitarbeit an Betriebe verliehen werden. Die Unternehmen zahlten im Gegenzug eine individuell vereinbarte Gebühr von drei bis vier Euro an die Arbeitsagentur. Die Arbeitslosen erhielten ihr ALG II plus ein Euro die Stunde, und die Arbeitsagenturen erhielten den Rest, um einen Teil ihrer Zahlungen zu refinanzieren.< (Bisher) lehnen SPD und GRÜNE das ab... Noch Fragen, Hauser? Nein, Kienzle!

Die historischen Zitate wurden entnommen meinem 11.Klasse-Geschichtslehrbuch aus der Reihe Edition Zeitgeschehen: Die Weimarer Republik, hrsg. von Walter Tormin, Hannover 1976 (11. Auflage), S. 107 und S. 159. Wenn Herr Schröder und Herr Clement noch Fragen haben, können sie mich jederzeit anrufen und das Buch bei mir einsehen!

 
     
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