Martin Rust - März / April 2006    
 
Ein langer, harter Winter ...  
     
 

...und er dauert noch an, als der Autor diese Zeilen schreibt. Der eine oder andere aus der geneigten Leserschaft mag sich vielleicht gefragt haben, wo meine Texte bleiben. Allerpersönlichste Gründe haben verhindert, daß ich in den vergangenen Ausgaben den einen oder anderen Artikel beisteuern konnte - meine Mutter wurde krank und ist schließlich verstorben. Dieses war mein erster wirklicher Kontakt mit dem Tode und ich hatte das Privileg und das Glück, praktisch die ganze Zeit bis zum Ende bei ihr sein zu können. Somit war ich im Berliner gesellschaftlichen Leben - von der Berlinale über Diplomatenempfänge - bis hin zu durchaus interessanten Panels und Diskussionen nicht präsent und machte stattdessen Erfahrungen, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde.

Nun wäre ich nicht der scharfe Beobachter, der ich bin, wenn mir entlang des Weges mit meiner Mutter bei der Vielschichtigkeit des Erlebten nicht das eine oder andere aufgefallen wäre, was einer allgemeineren nachdenklichen Betrachtung wert wäre. Da ist zunächst die Frage, ab wann wir eigentlich der Vergessenheit vieler Mitmenschen anheim fallen. Dies gilt nicht nur für Berlin, in der die Fähigkeit zur Präsenz besonders notwendig zu sein scheint. Aber auch in Klein- und Mittelstädten - ist es da nicht genauso? Mehrmals wöchentlich sich im Supermarkt auf ein Schwätzchen einlassen zu können? Sonntags Stammgast in der Kirche zu sein und anschließend mit anderen noch zu einem Gespräch zusammen zu stehen und Neuigkeiten auszutauschen? Jahrelang gezeigte Verhaltensweisen ... - aber auf einmal wird man nicht mehr gesehen .... nach einem Unfall, einer Krankheit ist man ans Haus gefesselt. Überraschenderweise sind es gar nicht mal die Jüngeren, bei denen man dann aus dem Blickfeld geraten könnte, sondern die anderen Gleichaltrigen, also Älteren. Behindert durch eigene Gebrechen und Probleme können oder wollen sie sich "überflüssige", vermeidbare Wege ersparen und schaffen es nicht mehr, außerhalb der "Termine" anderes zu tun. Daraus folgt eigentlich für Senioren, solange wie möglich einen Bekanntenkreis aufzubauen und zu erhalten, in dem auch jüngere Menschen einen festen Stammplatz haben. Denn sie sind meistens mobiler und bereiter.

Zwei weitere Aspekte verdienen es nach meiner Erfahrung, besonders herausgehoben zu werden. Der eine ist die oft thematisierte Patientenverfügung, d.h. die im voraus unterschriebene Selbstbestimmungserklärung über die Vorgehensweise der Ärzte, wenn der Unterzeichnete nicht mehr ansprechbar ist und keine voraussehbare Aussicht auf die Führung eines selbstbestimmten Lebens mehr vorhanden ist. Drei Dinge möchte ich dem Leser hier näher bringen:

- Als Betreuer sollte unbedingt eine Person bestimmt werden, die nach Rücksprache im Zweifelsfall auch wirklich bereit ist, als Interessenvertreter des Patienten gegenüber Ärzten, Gerichten usw. zu wirken und daß heißt auch, im Zweifelsfall willens zu sein, über "Leben" und "Tod" zu entscheiden. Diese Möglichkeit existiert nur ein einziges Mal.

- Die Patientenverfügung sollte möglichst von einem Notar aufgesetzt werden. Eigenhändig verfasste Anordnungen, aber auch so mancher im Handel erhältliche Vordruck sind meist unvollkommen und erfassen nicht denkbare medizinisch-rechtliche Konstellationen. Pauschale Erklärungen reichen überhaupt nicht aus. Die Patientenverfügung sollte nicht älter als zwei Jahre sein.

- Eine Patientenverfügung ist juristisch nur ein dringlicher Appell an die Ärzte. Sie stellt keine zwingende Handlungsanweisung dar. Besonders in kirchlichen Krankenhäusern ist es möglich, auf Ärzte zu treffen, die sich weigern, eine solche Verfügung umzusetzen. Im strengen Sinne dürfen es manche möglicherweise gar nicht, falls nämlich daraus ein Gegensatz zu ihrem Dienst- und Arbeitsvertrag mit dem kirchlichen Träger des Krankenhauses eintreten könnte. Der Autor will das hier nicht verurteilen; sicherlich ist eine Patientenverfügung kein Dokument, mit dem leichtfertig umgegangen werden darf. Dennoch ist es hilfreich, wenn Patient und Betreuer sich über eventuell auftauchende Schwierigkeiten noch möglichst vor einem Krankenhausaufenthalt bewußt sind. Falls ein Arzt sich weigert, muß ein Gericht eingeschaltet werden. Die damit verbundene zusätzliche seelische Belastung kann gar nicht hoch genug angesetzt werden.

Der andere Aspekt, der mit Leben und Tod zu tun hat, den der Autor als etwas Wertvolles kennen gelernt hat und deshalb vorstellen möchte, ist der Hospizgedanke. Hospize werden gemeinhin als "Sterbehäuser" bezeichnet, doch nicht viele haben ein Hospiz einmal von innen gesehen. Hospize sind Häuser, in denen z. B. Lungenkrebskranke, die Chemotherapien verweigert haben, lachend bei Kaffee und Kuchen sitzen und Zigaretten rauchen können. Hospize sind Häuser, bei denen man Menschen zur Anerkennung eines 100%-Schwerbehindertenausweises gratuliert und sie sich freuen, weil damit die endgültige Finanzierung ihres Aufenthaltes durch den Versicherungsträger gewährleistet ist. Hospize sind Häuser, bei denen es eine stimmungsvolle wöchentliche Abschiedsfeier gibt für diejenigen, die innerhalb der letzten sieben Tage ausgezogen sind! Verkehrte Welt? Absurd? Gar nicht. Hospize sind Häuser eines umsorgten und glücklichen Lebensendes und das ist mehr, als die meisten Menschen heutzutage für sich selbst erwarten dürfen. Und deshalb wird dort gelacht. Wer sich dafür interessiert - im Internet gibt es jede Menge Links zu diesem Thema. Hospize benötigen vermehrte öffentliche und private Unterstützung.

Auch dieser lange, harte Winter wird einmal zu Ende gehen. Wir nähern uns Ostern, das von seinen Ursprüngen her das Frühlingsfest war - die Osterfeuer mit der Austreibung der bösen dunklen Wintergeister in Norddeutschland und im Spreewald erinnern noch daran - und im Christentum als Fest der Wiederauferstehung des Lebens gilt. Wenn Sie diese Zeilen lesen - vielleicht denken Sie einmal daran....

(D.K.) Ich hatte bereits vor einiger Zeit in einem anderen Zusammenhang die Broschüre Vorsorgevollmacht der Patientenverfügung; Eine ethisch-kritische Betrachtung von Paolo Bavastro, Verlag : Verein f. Anthropos. Heilwesen ca. 24 Seiten; 2001 angeboten. Sie finden die Broschüre in der beiliegenden Bestelliste.

 
     
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