Dieter Kersten - Januar 2008

   
 

Verkehrspolitik

 
     
 

Nachdem ich in der letzten Ausgabe im Editorial Bemerkungen zur Zukunft der DEUTSCHEN BAHN gemacht habe, möchte ich noch einige ins Detail gehende Informationen anbieten und natürlich auch ergänzende politische Bemerkungen machen.

Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL), die den Bahnkunden mit Streik "beglückte", ist 1867 gegründet worden. Sie gilt heute als die älteste Gewerkschaft Deutschlands. Seit März 1950 ist die GDL Mitglied im Deutschen Beamtenbund (DBB). Mit dem Verweis auf unvereinbare tarifpolitische Ziele löste sich die GDL im Juli 2002 aus der Tarifgemeinschaft der Deutschen Bahn, die sie bis dahin mit der gleichfalls zum DBB Beamtenbund und Tarifunion gehörenden GDBA sowie der DGB-Gewerkschaft Transnet bildete. Es ist also nicht so, wie es der Gewerkschaftsvorsitzende Schell in der Öffentlichkeit gelegentlich darstellt, daß die GDL sozusagen das Schmuddelkind der Deutschen Gewerkschaften und des Arbeitgebers Bahn ist. Die GDL hat jahrzehntelang Lohntarife mitverhandelt und hat es zusammen mit den anderen Gewerkschaften versäumt, rechtzeitig Tarifstrukturen zu vereinbaren. Der Arbeitgeberpräsident Kannegießer, nicht unbedingt mein Favorit, hat in der Sendung Anne Will am 18. November 2007 mit Recht darauf hingewiesen, daß es ohne Arbeitsplatzbewertung keine Leistungsgemeinschaft gibt und daß es ohne Leistungsgemeinschaft auch keinen innerbetrieblichen sozialen Frieden geben kann. Die Deutsche Bahn als Arbeitgeber und die Gewerkschaften haben den Übergang von Deutscher Reichsbahn/Deutscher Bundesbahn als beschauliches Beamtenrefugium in ein modernes Dienstleistungsunternehmen glattweg verschlafen. Bei Mehdorn vermute ich Absicht, bei den Gewerkschaften Wohlstandsverschlafenheit. Die Dummheiten ausbaden muß der Bahnkunde und der Steuerzahler.

Interessant ist, daß der Bundesvorsitzende der GDL, Manfred Schell, und sein Stellvertreter Claus Weselsky, Mitglieder der CDU sind. Manfred Schell war sogar kurze Zeit vom Juli 1993 bis November 1994 als Nachrücker Mitglied des Deutschen Bundestages. Er hat damals als einziger CDU-Bundestagsabgeordneter gegen die Bahnreform gestimmt. Schells Mandat endete zur Bundestagswahl 1994 am 10. November 1994. Schell ist freigestellter Bundesbeamter und wird gemäß § 41 (1) Bundesbeamtengesetz nach Vollendung des fünf-undsechzigsten Lebensjahres Ende Februar 2008 in den Ruhestand treten.

Übrigens: Am 24. November 2000 erhielt Manfred Schell das Bundesverdienstkreuz I. Klasse für sein Engagement in der Gewerkschafts- und Bildungsarbeit.

Manfred Schell gehört, äußerst wohlwollend betrachtet, zumindestens zum äußeren Rand der politischen Klasse, wobei "politische Klasse" nicht Klasse ist, sondern eine von mafiösen Strukturen durchzogene Ansammlung von Menschen fast gleicher Interessen, machtbesessen, die schon lange jedes menschlich-politische Gefühl für den Bürger außerhalb ihrer Clique verloren haben. Diese "politische Klasse" pfeift auf eine demokratische Legitimation.
Die Nachrichtenlage über Hartmut Mehdorn ist, verglichen mit der über Manfred Schell, äußerst mager. Mehdorn erhielt 1982 das Bundesverdienstkreuz am Bande. Er ist seit 2001 Offizier, seit 2004 Kommandeur der Französischen Ehrenlegion, wegen seiner Verdienste um die deutsch-französische Freundschaft. Es wird ihm ein rigoroses Vorgehen gegenüber der Belegschaft, aber auch gegenüber Außenstehenden und Kunden, bescheinigt. Er wird als Freund von Gerhard Schröder und neuerdings auch von Angela Merkel bezeichnet. Er ist nicht Inhaber der Deutschen Bahn, auch wenn er sich manchmal so aufführt, sondern er managt für den Inhaber, das Deutsche Volk, die Deutsche Bahn, einen für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands wichtigen Dienstleistungsbetrieb. "Die Bahn .... ist das Pfund, mit dem wir wuchern können", schrieb ich im letzten Editorial.

Tim Engartner beschreibt in der Wochenzeitschrift FREITAG unter der Überschrift Bahn der Lüfte und Ozeane den fortschreitenden Verfall der Bahn, der sich freilich nur denjenigen Bahnkunden erschließt, die nicht nur mit dem ICE die Hauptstrecken befahren. Nicht nur die Schienen befinden sich in einem desolaten Zustand, obwohl seit Jahren der Bund jährlich 200 bis 300 Millionen Euro Steuergeld überweist, sondern auch die kleinen und mittleren Bahnhöfe sind vielfach in einem erbärmlichen Zustand. Die Bahnhofsgebäude werden zum Teil gar nicht mehr "bewirtschaftet"; im Gegenteil, sie werden auf dem Immobilienmarkt verkauft. Kundendienst wird äußerst klein geschrieben. Länder und Kommunen überweisen Millionenbeträge an die Deutsche Bahn, um den Regionalverkehr wenigstens einigermaßen aufrecht zu erhalten.

Tim Engartner schreibt u.a. weiter:
> Gleichzeitig avancierte die DB AG nach dem Amtsantritt von Hartmut Mehdorn im Dezember 1999 - er erfreut sich seither eines Gehaltszuwachses von 410 Prozent - zu einem der größten Lufttransporteure der Welt. Mit dem 2,5 Milliarden Euro teuren Zukauf der Stinnes AG stieg das Unternehmen gar zum umsatzstärksten Straßenspediteur Europas auf. Die zuletzt mehrfach in überregionalen Tages- und Wochenblättern geschaltete Anzeige Früher überquerten wir den Main. Heute auch den Ozean kolportiert die Botschaft eines internen Strategiepapiers, wonach das Unternehmen Zukunft (Eigenwerbung) die Weltmarktführerschaft im Seeverkehr anstrebt. Der Wandel vom reinen Schienen- zum international operierenden Mobilitäts- und Logistikkonzern mit mehr als 1.500 Standorten in 152 Staaten ist in vollem Gange. Sichtbar wird diese Zäsur auch auf den Fahrscheinen - durch den unlängst dem DB-Label hinzugefügten Anglizismus Mobility Networks Logistics. Zu Recht reklamieren Kritiker, daß diese (aus Steuergeldern finanzierte) Expansionsstrategie dem Ziel zuwiderläuft, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Mittlerweile erzielt die DB AG 60 Prozent ihres Umsatzes mit bahnfremden Dienstleistungen. <

Peter Hettlich, Bundestagsabgeordneter und Verkehrsexperte der Grünen antwortet in einem Gespräch mit Dirk Friedrich Schneider in der gleichen Ausgabe der Wochenzeitschrift FREITAG auf die Frage > Was müßte am Bahngesetz, das 1993 reformiert wurde, geändert werden? Der Kardinalfehler war, daß die Bahn als Aktiengesellschaft pseudoprivatisiert wurde. Seither führt der Vorstand das Unternehmen und wird vom Aufsichtsrat kontrolliert, während sich der Bund als Eigentümer selbst entmachtet hat. Dabei wird gern vergessen, daß der Vertreter des Bundes nicht der Verkehrsminister, sondern der Bundestag ist. Es war falsch, den Fernverkehr eigenwirtschaftlich betreiben zu lassen. So legt die Bahn einfach Trassen still, die angeblich unrentabel sind. Der Bund hat beispielsweise die Sachsen-Franken-Magistrale mit einer Milliarde Euro gefördert - doch 2006 zog die Bahn dort den letzten Fernzug ab. < Für den Ausbau der Deutschen Bahn zum "Global Player" hat Herr Mehdorn keinen Auftrag des Deutschen Bundestages.

Es ist mit Sicherheit so, daß der Selbstmord eines wichtigen Teils der Verkehrs-Infrastruktur in Deutschland nur durch eine breite Volksbewegung verhindert werden kann. Den Individualverkehr mit einer Verkehrsleistung von ein bis vier Personen pro Auto und hundert Kilometer Entfernung wird für den Einzelnen in der nächsten Jahren zu teuer werden. Es sind nicht nur die teuren Energien, die das verunmöglichen, sondern es sind auch die steigenden Materialkosten für ein Fahrzeug (der jetzigen Technik). Die Bahn kann spielend Massen von Menschen transportieren, wenn es richtig organisiert ist, mit höchstmöglichen persönlichen Komfort. Da die profitgeilen, mafiösen und globalisierten Manager und Politiker Volksvermögen nicht bewahren und weiterentwickeln können, muß das Volk die Sache wieder in die eigene Hand nehmen.

Der tägliche Landverbrauch in Deutschland beträgt 114 Hektar. Ein Hektar sind 10.000 Quadratmeter. Verantwortlich für den unverantwortlichen Landverbrauch, der ja weitgehend "zubetonieren" heißt, ist der Straßenbau (Autobahnen). Viele Trassen der Bahn sind noch vorhanden und können für den Personen- und Güterverkehr genutzt werden.

Daß es in Europa auch anders geht, kann man an Hand der Erfolge der Schweizer Bahn (SBB) sehen. Unter der Überschrift > Auf das Kerngeschäft konzentriert < berichtet FREITAG ebenfalls am 7. Dezember 2007 > Gemeinwohl - SBB-Kodex. Nach dem Erfolgsrezept für das Schweizer System befragt, verweist Benedikt Weibel, bis Ende 2006 SBB-Generaldirektionspräsident und damit dienstältester Bahnchef Europas, auf die mit viel Kontinuität verfolgten Ziele der Schweizer Bahnen: Nicht Gewinn sei deren Kern-anliegen, sondern optimale Versorgung. Kostengünstiges Wirtschaften habe eine betriebs- und eine volkswirtschaftliche Dimension. Einem möglichen Börsengang erteilt Weibel denn auch eine Absage: "Eine echte Privatisierung eines flächendeckenden Systems öffentlicher Verkehr ist - zumindest unter heutigen Marktbedingungen - eine Illusion. Der Personenverkehr bescherte den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) 2006 ein Jahr der Superlative und der Rekorde: Nie reisten so viele Fahrgäste in ihren Zügen und nie hatte sie so viele Stammkunden. Das Unternehmen verbuchte einen Jahresgewinn von 246 Millionen Franken (150 Millionen Euro). Nachdem 2005 ein neuer Fahrplan eingeführt wurde, der Anschlüsse besser abstimmt, fuhren 13 Prozent mehr Berufspendler mit dem Zug. Während die SBB zugleich im Regionalverkehr deutlich mehr Passagiere beförderte, waren Fernzüge noch zu oft zu wenig ausgelastet. Im Güterverkehr wurde das Geschäftsjahr 2006 mit leichten Verlusten abgeschlossen, die jedoch geringer ausfielen als in den Jahren zuvor. Als wirtschaftlich erfolgreicher gilt das SBB-Tochterunternehmen bei Frachtdienstleistungen im Ausland: In Deutschland beispielsweise erhöhte SBB Cargo 2006 die Verkehrsleistung um 29,5 und in Italien um 16,8 Prozent. Mittlerweile transportiert das Unternehmen fast ein Drittel der Güter außerhalb der Schweiz. Die Auslastung des Bahnnetzes erreichte 2006 mit 152 Millionen Trassenkilometern einen Höchstwert. Neben der SBB nutzen weitere 29 Unternehmen das SBB-Netz. Wie bei den regelmäßigen Referenden in der Schweizerischen Eidgenossenschaft zum Aus- und Neubau von Bahnhofsanlagen deutlich wird, teilt eine deutliche Mehrheit der Schweizer das Urteil ihrer Landsfrau Anne Cuneo, die in einer ihrer viel gelesenen Kurzgeschichten resümiert: "Werden die Bahnhöfe aufgegeben, geht auch ein Teil des Unvorhergesehenen und damit die Lust verloren, zum bloßen Vergnügen zu reisen. Es gibt nichts Traurigeres als einen sterbenden Bahnhof." Mehr als 2.400 Schweizer Firmen gründeten in unmittelbarer Nähe von Gleisanschlußstellen Niederlassungen oder trugen dafür Sorge, daß sie über Anschlüsse direkt mit dem nationalen und europäischen Schienennetz verwoben sind. In den vergangenen zwei Jahren hat die SBB 35 Regionalbahnhöfe komplett erneuert - das heißt, seit 2002 sind damit 225 Bahnhöfe renoviert worden. Bis 2015 will die SBB an 600 Regionalbahnhöfen die Kundeninformationen, die Zugänge zu den Perrons und die Beleuchtung auf einen einheitlichen Stand bringen. Zudem gibt es seit 2006 an 15 Standorten eine SBB- eigene Betriebswehr mit insgesamt 190 Personen, die eine bis dato vorhandene Bahnmiliz aus dem 19. Jahrhundert abgelöst hat. Daß die mehr als acht Milliarden Franken teure, durch das Gotthardmassiv, den Zimmerberg und den Monte Ceneri verlaufende 153,5 Kilometer lange Alpentransitstrecke vollständig vom Staat finanziert wird, beruht auf einer bewußten politischen Entscheidung, die dem Bahnsystem hohe Priorität beimisst. Nach seiner Fertigstellung wird der Gotthard-Basistunnel mit einer Länge von 57 Kilometern die längste Bahnröhre der Welt sein. Sicher scheint auch, daß für die AlpTransit Gotthard AG - zu 100 Prozent eine Tochtergesellschaft der SBB - nach Abschluß des Projektes lukrative Aufträge im Ausland folgen werden. Aufträge, die wiederum Geld in die Kassen des Unternehmens und damit des Schweizer Bundeshaushalts spülen dürften. Vorzugsweise soll es dem Ausbau des Bahnnetzes zugute kommen. <

Ich kann dem Schweizer Volk nur wünschen, daß es dem Globlisierungsdruck standhält. Ein Nachgeben würde bedeuten, daß auch in der Schweiz aus allem Lebensnotwendigen Profit gezogen wird. Ich hoffe auch, daß die Prinzipien direkter Demokratie (die Möglichkeit, unmittelbar am politischen Leben teilzunehmen), erhalten bleibt. Ich kämpfe für eine direkte Demokratie in Deutschland, für eine gegliederte, ständige Volksversammlung durch Nachbarschaften. Wir müssen unser soziales und allgemeinpolitisches Schicksal selbst in die Hand nehmen, meinetwegen neben den Parteien, aber zu deren Kontrolle.

 
     
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