Dieter Kersten - Februar 2008

   
 

Eine notwendige Erinnerung

 
     
 

In der Schweizer Wochenzeitschrift Zeit-Fragen, Nr. 5 vom 29. Januar schreibt Jürgen Elsässer, auch FREITAG-Mitarbeiter,  über das gleiche Thema. Vielleicht sollten wir mit Hilfe von Herrn Elsässer unser Geschichts-Kurzzeitgedächtnis aufpeppen: > Wie sehr Südosteuropa nach wie vor Zündfunke für einen internationalen Großkonflikt sein könnte, zeigte sich zuletzt in den Tagen nach dem 10. Juni 1999. Eigentlich war die jugoslawische Armee nach 78 Tagen Nato-Bombardierung schon zum Rückzug aus dem Kosovo bereit, das entsprechende Militärabkommen zwischen Belgrad und dem Nordatlantikpakt war ebenso unterschrieben wie die UN-Resolution 1244. Doch während die Truppen von Präsident Slobodan Milosevic abrückten, stießen völlig unerwartet russische Einheiten aus Bosnien nach Pristina vor. Auf ihren Panzern hatten die Soldaten die Aufschrift SFOR, die sie als Teil der UN-mandatierten Stabilisierungstruppe im Nachbarstaat auswies, hastig zu KFOR umgepinselt. KFOR, das war die gerade erst beschlossene Besatzungsstreitmacht für Kosovo. Der russische Präsident Boris Jelzin hatte zugestimmt, daß sie unter dem Oberbefehl der Nato gebildet wurde - doch seine Generäle wollten wenigstens dafür sorgen, daß Rußland einen strategischen Brückenkopf erhielt. Der ehemalige deutsche Außenminister Joseph Fischer berichtet in seinen Memoiren, wie dramatisch die Situation war: «Die wenigen russischen Fallschirmjäger konnten die Nato nach deren Einmarsch in den Kosovo nicht wirklich herausfordern, dazu war ihre Zahl zu gering und ihre Bewaffnung zu leicht. Die Besetzung des Flughafens konnte gleichwohl nichts anderes heißen, als daß sie aus Russland eintreffende Verstärkung aus der Luft erwarteten, und daraus konnte sich sehr schnell eine sehr gefährliche direkte Konfrontation mit den USA und der Nato entwickeln. [...] Die Situation wurde noch gefährlicher, als die Nachricht bestätigt wurde, daß die russische Regierung um Überflugrechte für Antonow-Truppentransporter bei den Regierungen in Ungarn, Rumänien und Bulgarien nachgesucht hatte. Es bestand die Absicht, 10 000 Soldaten auf dem Luftweg nach Kosovo oder auch nach Bosnien zu verlegen, um von dort über den Landweg nach Kosovo zu gelangen. Die Ukraine hatte die Überflugrechte bereits erteilt, aber die anderen Regierungen blieben unerschütterlich bei ihrem Nein. Was aber, wenn die russischen Maschinen dennoch fliegen würden? Würden die USA und die Nato sie dann an der Landung hindern? Oder an der Entladung am Boden? Oder die Flugzeuge gar in der Luft abschießen? Hier zeichnete sich die Möglichkeit eines Dramas mit unabsehbaren Folgen ab.»

Parallel zum Nervenkrieg um die russischen Flugzeuge spitzte sich die Krise am Flughafen Pristina zu. Die schnell nachrückenden Truppen des britischen KFOR-Kontingents hatten die Kanonen auf die renitenten Besetzer des Flugplatzes gerichtet, Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark gab die Order zum Sturmangriff- da bewahrte ein Mann seine Kaltblütigkeit und verweigerte den Befehl. Michael Jackson, der britische Oberkommandeur der KFOR, brüllte den US-Amerikaner am Telefon an: «Ich werde doch für Sie nicht den dritten Weltkrieg riskieren.»

Wie der Westen Präsident Jelzin dazu brachte, die Antonow-Truppentransporter zu stoppen, ist nicht bekannt. Das Gefecht um den Flughafen Pristina wurde jedenfalls nur verhindert, weil Jackson standhaft blieb. Clark nahm den Ungehorsam hin, eigentlich hätte er den Befehlsverweigerer von der Militärpolizei festnehmen lassen müssen. Ein deutscher General hat das im nachhinein kritisiert. «Das schwächliche Zurückweichen von Briten und Amerikanern war sicher die falsche Antwort in einer Situation, die niemals zu einem ernsten Konflikt zwischen der Nato und Rußland geführt hätte», schrieb Klaus Naumann, damals Vorsitzender des Nato-Militärausschusses und damit höchster europäischer Offizier im Bündnis. <

 
     
  Diesen Artikel als PDF-Datei herunterladen Download  
     
  Alle Artikel liegen als PDF - Datei zum herunterladen vor. Um PDF - Dateien zu lesen, benötigen Sie den "Acrobat Reader". Falls das Programm nicht auf Ihrem PC installiert ist, können Sie es sich hier kostenfrei herunterladen. Hompage_Acrobat