Artur Mahraun - März / April 2008

   
 

Der Aufstand der achtbaren Leute

 
     
 

Während eines Menschenalters haben Millionen im Aufstand der Massen Erlösung von drückenden Leiden und die Erfüllung hochstrebender Wünsche gewähnt. Viele haben ihr Leben für diesen Wahn hingegeben.

Die Macht der Tatsachen hat ihn zerstört.

Wo der Aufstand der Massen siegreich war, brachte er weder Erlösung noch Erfüllung. Er brachte nur andere Menschen in herrschende Stellungen und diesen neue Worte und Doktrinen zur Begründung der Herrschaft an sich. Nirgendwo aber hat er das Schicksal des Einzelmenschen in der erwarteten Weise zum Guten gewandelt.

Die Zeit ist reif, Wahrheiten auszusprechen, ohne deren Erkenntnis die Menschen den Ursprung ihrer gegenwärtigen Leiden nicht begreifen können. Wer sie aus Mangel an Mut verschweigen wollte, obwohl er sie in sich trägt, versündigt sich an seinen Zeitgenossen, denn er läßt viele von ihnen wissend in Schuld und Unglück geraten, die anders davor bewahrt werden können. Er handelt wider den Frieden der Menschheit, der ohne eine klare Kenntnis vom Ursprung der Dinge, die ihn bedrohen, niemals Wirklichkeit werden kann.
Die Zeit drängt, denn die Unkenntnis gebietender Mächte von den wahren Ursachen menschlichen Niedergangs und die damit verbundenen Fehlurteile über Schuld und Mitschuld ruft den Trotz der Betroffenen heraus, verhindert den Sieg der Vernunft und fördert den Rückfall in friedlose und gefährliche Gedanken.

Das Zeitalter der Massen neigt sich seinem Ende zu.

Aus einem Ordnungsprinzip, das dem freien Spiel der Kräfte keine ausgleichende Gewalt zur Seite stellte und die Organisation aller menschlichen Gegensätze zum Untergrund seines eigenen Bestandes erhob, ist die Schreckensherrschaft der technischen Machtmittel über den Menschen entstanden.

Organisation und Propaganda wurden zum Werkzeug machtpolitischer und kapitalstarker Minderheiten. Verführte oder besoldete Terrorgruppen verwirrten die öffentliche Meinung und verhinderten den Sieg der Vernunft.

Ein Staat, dessen innere Regeln nur noch durchschaut, wer das Zweite Juristische Staatsexamen in der Tasche hat, kann seine Bürger nicht im Ernst als frei bezeichnen.

Matthias Krauß in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 22. Februar 2008.

Geist und Methode der machtpolitischen Kämpfe haben der Mehrheit aller achtbaren Leute eine würdige und sinnvolle Mitarbeit verlegt und verleidet.
Das Ordnungsprinzip der Vergangenheit hat keine Einrichtung geschaffen, in der sie untereinander Fühlung nehmen können. Zwangsweise aufgespalten in gegensätzliche Organisationen, verwirrt von einer unkontrollierbaren Propaganda, sind sie zu völliger Ohnmacht verdammt, obwohl sie eine unbestreitbare Mehrheit bilden.

Wer sind die achtbaren Leute?

Es sind alle diejenigen, welche sich selbst, ihren Nächsten und die Gesetze einer vernünftigen Ordnung achten.

Die Einsicht von der Unvernunft verfassungsmäßiger Grundsätze, welche die Mitverantwortlichkeit des Volkes den verantwortungsunfähigen Massen übertragen und den achtbaren Einzelmenschen zum ohnmächtigen Objekt willkürlicher Gewalten machten, hat den Protest des Individuums geboren.

Er darf nicht in der Verneinung stecken bleiben. Mit der Erkenntnis, daß selbst der siegreiche Aufstand der Massen keine Besserung bringen kann, weil die Masse niemals Herr ihrer selbst ist, wird die Mitarbeit der achtbaren Leute zur schicksalhaften Notwendigkeit unserer zeitgeschichtlichen Entwicklung.

Ihr fällt die Aufgabe zu, dem wachsenden Protest ein positives Fernziel zu geben. Es muß die Frage der Gegenwart beantworten, unter welchen Voraussetzungen die Mehrheit der achtbaren Einzelmenschen verantwortungsfähig und verantwortungswillig in das politische Allgemeinwesen eingeschaltet werden kann. Bei der Hartnäckigkeit überkommener Grundsätze unterliegt es keinem Zweifel, daß den herrschenden Gewalten die nötigen Reformen abgetrotzt werden müssen. Wenn aber der Aufstand der achtbaren Leute erfolgreich sein soll, muß er in Geist und Methode den Gewohnheiten seiner Träger angepaßt sein.
Der gesunde Menschenverstand muß das Gesetz der Tat bestimmen.

Der gesunde Menschenverstand
Die allgemeine politische Verwirrung und die von ihr herrührende Zerredung aller Begriffe hat selbst die deutsche Sprache in Mitleidenschaft gezogen.

Viele Worte und Begriffsbezeichnungen, die früher jedem deutschen Menschen verständlich waren, müssen heute mit Vorsicht verwendet werden. Mißbraucht von einer gewalttätigen Propaganda bergen sie die Gefahr in sich, die aufgezwungene Bedeutung auszulösen. Man braucht dabei nicht nur an das Wort „Führer" zu denken. Auch die sonst so schöne und klare Begriffsbezeichnung vom „gesunden Menschenverstand" ist zu einem strittigen Gemeinplatz geworden.

Da es nun nicht angängig ist, die Sprache ebenso wie die politischen Systeme zu wechseln, müssen wir unentbehrliche Begriffsbezeichnungen vom Mißklang befreien und gegebenenfalls mit entsprechenden Erklärungen versehen.

Wenn hier vom gesunden Menschenverstand gesprochen wird, so soll damit der Bereich aller Gedanken, Begriffe und Dinge angedeutet werden, die ein verständiger und wohlmeinender Mensch begreifen und beurteilen kann. Alles, was nur durch einen außergewöhnlichen Verstand und durch eine fachliche oder irgendwie besondere Ausbildung begriffen werden kann, gehört nicht ohne weiteres in den Bereich des gesunden Menschenverstandes.

Wenn die Politik zu einer besonderen Wissenschaft erhoben wird, schaltet man damit alle diejenigen von der politischen Mitarbeit aus, die dieser Wissenschaft nicht teilhaftig sind. Bei den herrschenden Methoden steht die Politik im Zeichen der Auseinandersetzung um viele und schwierige Doktrinen. Viele von ihnen sind mehr oder weniger überholt und nur denen verständlich, die ihre Entstehungsgeschichte kennen oder miterlebt haben. Die meisten Menschen, besonders die der jungen Generation, sind aber nicht bereit oder gar nicht in der Lage, sich eine umfassende Kenntnis von der Fülle dieser Doktrinen anzueignen. Hinzu kommt eine grundsätzliche Abneigung, sich mit politischen Dingen zu befassen, die der Vergangenheit angehören. Solange das Wissen um diese Dinge im Vordergrund der politischen Erörterung steht, werden die meisten jüngeren Menschen mit ihrer Anteilnahme zurückhaltend sein.

Was ist Mehrheit? Mehrheit ist Unsinn, Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen. Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat? Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl? Er muß dem Mächtigen, der ihn bezahlt, um Brot und Stiefel seine Stimm’ verkaufen. Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen; der Staat muß untergehen, früh oder spät, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.

Friedrich Schiller

Hinzu kommt noch, daß die Vorliebe zu den schwierigsten Dingen der Politik das Übergewicht der Spezialisten und Fachleute hervorruft. Eine Untersuchung, wie viele von den Mitgliedern eines unserer vielen kleinen und großen Parlamente in der Lage sind, einen Haushaltsplan zu entschlüsseln, würde zweifellos zu überraschenden Ergebnissen führen. Das sei nur ein Beispiel, wie notwendig es ist, die Fülle der politischen Probleme, die mit einem modernen Gemeinwesen und seiner Verwaltung zusammenhängen, nach neuen Gesichtspunkten zu gliedern.

Fest steht auf jeden Fall, daß es bestimmte Probleme gibt, welche von der Allgemeinheit durchaus beurteilt werden können, weil dazu weder Wissenschaft noch Fachwissen notwendig sind. Eine echte demokratische Ordnung muß innerhalb dieser Grenzen die notwendige Plattform für die Mitarbeit und Mitverantwortlichkeit der Allgemeinheit schaffen. Die Gesamtheit der hierhin gehörenden Probleme bildet den Zuständigkeitsbereich des gesunden Menschenverstandes.

Neue Methoden
Im Mittelpunkt der notwendigen Tat steht die Befreiung des Einzelmenschen aus der Gesetzlichkeit der Massen, aus der Atmosphäre der destruktiven politischen Machtkämpfe und der Abhängigkeit von willkürlichen Organisationen.

Demgemäß muß jedes Streben nach entsprechenden Reformen vor Methoden bewahrt sein, die der politische Zustand des Massenzeitalters entwickelt hat. Wollten die Anhänger gesunder Reformideen ihre befreiende Tätigkeit den alten Organisationsbegriffen unterwerfen, so wären sie bald in den gleichen politischen Machtkämpfen verstrickt, denen sie einmal entflohen sind. Ohne es zu wollen, würden sie Parteien werden und von der Allgemeinheit als solche empfunden werden. Wollten sie sich in der gleichen Weise wie die Parteien an die Massen wenden, so wären sie gezwungen, die gleichen Werkzeuge zur Massenbeeinflussung zu benutzen, deren entscheidende Macht sie brechen wollen. Damit würden sie sich bald in derselben Atmosphäre befinden, welche ihnen die politische Mitarbeit verleidet hat.

Dagegen beschreiten sie den Weg zur Entwicklung neuer Methoden, wenn sie aus der verneinenden Haltung des Protestes zur verantwortungsbewußten und gewissenhaften Gestaltung positiver Reformvorschläge übergehen. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit darf nicht in der Organisation der eigenen Kräfte liegen. Sie müssen den erstrebenswerten Zustand der Zukunft so verständlich und klar herausstellen, daß die Anziehungskraft des positiven Zieles die Widerstände überwindet und alle zustimmenden Menschen in der Gemeinsamkeit des Willens untereinander verbindet. Eine solche Gemeinsamkeit ist nur möglich, wo das Ziel von allen Nebensächlichkeiten und volkstrennenden Dingen befreit, nur aus Grundsätzen geformt ist, welche die Allgemeinheit angehen.

Die Gestaltung dieses Zieles darf niemals eine Organisation neuer Ideen sein, sondern sie muß die erlösende Idee der alle umfassenden nationalen Organisation werden.

Die aufklärende Tätigkeit der Anhänger dieser Idee wirbt den einzelnen Volksgenossen nicht in eine neue Organisation oder Partei, sondern in seine ureigenste Organisation, nämlich seine nachbarliche Gemeinde der Zukunft hinein.

Es gibt nur eine Versprechung, die bei dieser Werbetätigkeit abgegeben werden darf und mit gutem Gewissen abgegeben werden kann. Das ist die Verheißung einer Einrichtung, in welcher der Mensch wieder gilt und im unbestrittenen Besitz eines würdigen und ehrlichen Platzes ist.

Das große Mißverständnis
Unsere gewissenhafte Forschung nach dem Ursprung verhängnisvoller Gegensätze unter den Völkern des abendländischen Kulturkreises hat uns zu der Erkenntnis gebracht, daß es innerhalb desselben zwei große Gruppen von Staaten gibt, deren politische Grundsätze durch ihre geschichtliche Entwicklung eine unterschiedliche Gestalt angenommen haben. Während die eine Gruppe der ureuropäischen Begriffe der Gemeindefreiheit in Form oder Geist bis in die neue Zeit gewahrt hat, sind sie der anderen Gruppe von Staaten verlorengegangen. Bei der ersteren Gruppe konnte die demokratische Ordnung der neuen Zeit alle Krisen überwinden. Bei der letzteren hatte sie keinen Bestand und wurde von diktatorischen Regierungssystemen abgelöst. Deutschland ist vom Zusammenbruch dieser demokratischen Ordnung am meisten betroffen und vom Schicksal am meisten gedrängt, sie wieder herzustellen.

Die leidenschaftliche Ablehnung, die allen dahingehenden Bemühungen entgegenschlägt, findet keineswegs ihre Erklärung in der grundsätzlichen Haltung des deutschen Volkes.

Die Deutschen wissen nicht, welche Ideale die anderen Völker bejahen, wenn sie die demokratische Ordnung fordern. Die anderen Völker wissen nicht, was die Deutschen verneinen, wenn sie sich gegen die demokratische Ordnung auflehnen, wie sie ihnen bisher geboten wurde. Ohne die Klärung dieses Mißverständnisses wird keine politische Neuordnung das vorhandene Mißtrauen beseitigen.

Die Völker, denen die Demokratie das Ideal der politischen Ordnung verkörpert, betrachten sie als die wichtigste und sicherste Gewähr des Friedens. Sie fordern die verfassungsrechtliche Einschaltung des Volkswillens in das politische Wesen der Staaten als Gegengewicht gegen die Gewaltherrschaft von Diktatoren und politischen Gruppen.

Weil sie den Frieden wollen, fordern sie die Demokratie.

Die meisten Menschen in diesen Demokratien gründen das Ideal der von ihnen vertretenen politischen Ordnung auf den ethischen Inhalt zweier geschichtlicher Dokumente, gegen die keine nachgeborene demokratische Doktrin, Methode oder Taktik verstoßen darf. Viele Deutsche versagen sich dem demokratischen Ideal der anderen Völker, weil sie zumeist die entscheidenden Dokumente dieser Idealgestaltung nicht kennen. Sie versagten sich der demokratischen Ordnung im eigenen Lande, weil deren Geist und Methode den dokumentierten Idealen zuwiderlaufen.

Zur Klärung dieses verhängnisvollen Mißverständnisses ist es notwendig, daß alle Deutschen die entscheidenden Dokumente kennen, und daß die anderen Völker von den wirklichen Wünschen der Deutschen unterrichtet sind.
Wenn diesen nämlich die demokratische Ordnung im Sinn und Geist dieser Dokumente gebracht wird, werden sie dieselbe mit Freuden aufnehmen. Ihr Widerstand gilt in Wirklichkeit einem scheindemokratischen System, welches die Rechte des Bürgers und Menschen verleugnet und ihn zu einem Objekt von Organisationen und staatlicher Allmacht erniedrigt hat.

Die Dokumente selbst beweisen das Vorhandensein und die Größe des Mißverständnisses zwischen den Deutschen und anderen Völkern.

 
     
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