Dieter Kersten - Juli / August 2009

   
 

Wahlen und die Systemkrise

 
     
 

(D.K.) Am 5. Mai 2009 erhielt ich die Wahlbenachrichtigung für die Europawahlen am 7. Juni, ein Blatt Papier, beidseitig mit - vermutlich? - notwendigen Informationen bedruckt. Was mir aber zu meiner Wahlentscheidung fehlte, das war eine Auflistung der Wahlkreiskandidaten und der Parteien. Am Wahltag in der Wahl-“Kabine“ die Entscheidung fällen, wer u.U. gewählt werden kann, das erschien mir undemokratisch dumm.

Ich rief beim zuständigen Berliner Bezirkswahlamt an und bekam folgende Antwort: Nur wenn ich Briefwahl beantrage, bekäme ich Parteien und Kandidaten schwarz auf weiß, ansonsten müßte ich über Internet www.bmi.bund.de (Bundesinnenministerium) „auswählen“. Als folgsamer Staatsbürger „ging ich online“. Ich wurde von einer bunten Webseite empfangen und konnte mich zu Kandidaten und Parteien durchklicken.  Das war’s dann auch.

Ich habe die „Ordnung der Dinge“ auf der Web-Seite auch ohne Erklärung verstanden. Europa kennt keine Wahlkreise in Deutschland, oder, so kann es auch formuliert werden, Deutschland war ein einziger Wahlkreis in Europa. Wir Deutschen hatten alle die gleichen Parteien und Kandidaten zur Auswahl.
Die Obrigkeit geht davon aus, daß alle Bürger Internet-Zugang haben und ohne Erklärung die fehlenden Informationen aufrufen können und verstehen. Das wird so nicht sein. Dieses Verfahren ist deshalb bürgerfeindlich und damit „dummes Zeug“. Ich schließe daraus, daß der Bürokratie und den „staatstragenden“ Parteien Demokratie schnuppe ist.

So sind auch Wahlbeteiligung und Wahlergebnisse zu beurteilen. Die Wahlbeteiligung von 43,3 % in Deutschland signalisiert das Unbehagen der Bürger über das, was (Parteien-) Demokratie genannt wird. Es ist für den Bürger - mit Recht - unverständlich, daß wichtige Entscheidungen über sein Leben fern von seinem Wohnort in Brüssel/Straßburg getroffen werden. So ist die Wahlbeteiligung auch ein Stück Protest (Hilflosigkeit). Es gibt auch keine (staatstragende-europatragende) Partei, die irgendwelche neuen, demokratischen, Ideen der Fremdbestimmung durch die Verbürokratisierung des Lebens entgegensetzen kann.

Demokratie hat fast nichts mit den Parteien zu tun, aber sehr viel mit dem einzelnen (politisch aktiven)  Bürger. Ein selbstbewußter Bürger ist den Parteien nur lästig.

Ich fand nirgendwo eine detaillierte (prozentuale) Darstellung des Wahlergebnisses aller an der Europawahl in Deutschland beteiligten Parteien, also auch die der so genannten „Splitterparteien“. Übrigens: Besser ein „scharfer Splitter“ sein als ein „christliches“, „liberales“ oder „sozialistisches“ „Brett vor dem Kopf“ haben.

Insbesondere für die Wahlen auf Gemeinde- und Kreisebene finden sich in den Parteien oft keine Kandidatinnen und Kandidaten mehr. Die mühevolle und zum Teil diskriminierende „Ochsentour“ durch die Parteigremien, die Mittelmäßigkeit des intellektuellen Anspruches und die immer geringer werdenden politischen Gestaltungsmöglichkeiten treibt die Elite (und die jungen Menschen) aus dem öffentlichen Raum. Elite ist sowieso pfui, Mittelmäßigkeit ist Gesetz. Da schließt sich der Kreis zur gegenwärtigen (Geld-)Krise, die nicht nur eine ökonomische (volkswirtschaftliche) Krise ist, sondern eine Systemkrise.

Die Globalisierung der Wirtschaft ist gescheitert, weil sie nur dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen worden ist. Irgendwelche weltfremden Politiker, Wissenschaftler und Bürokraten waren der Meinung, der Weltmarkt werde in Mehrheit von selbstlosen Managern bestimmt.  Das Gegenteil war und ist üblich.

Globalisierung ist nur möglich, wenn von Land zu Land, in mühevoller politisch-diplomatischer Kleinarbeit die Beziehungen zwischen der 1., der 2. und der 3. Welt ganz individuell justiert werden.

Hinzu kommt, daß mehr denn je in der 1. Welt, in unserer Welt, in der „deutschen“ Welt, eine Kulturrevolution stattfinden muß. Wir müssen uns klar sein, daß soziale Gerechtigkeit auf dieser Erde nur möglich ist, wenn viele Menschen in der 1. Welt sich zu Gunsten der Menschen in der 2. u. 3. Welt   Verzicht einüben.

Nur so ist Weltfrieden möglich! Nur so kann sich das Menschengeschlecht auf dieser Erde wohlfühlen, was aber, bitte sehr, etwas ganz anderes ist als „Wohlstand“. Das sei insbesondere auch der Pfarrerstochter und pseudochristlichen Kanzlerin Merkel ins Stammbuch geschrieben!

Stattdessen gibt es eine Verschrottungsprämie für Autos, die den Bürger heiß auf (verschwenderischen) Verbrauch macht. Warum nicht auch eine Verschrottungsprämie für Möbel und oder gar für  Menschen. Daß die Kosten für Verschrottung vom Bürger getragen (bezahlt) werden müssen, ja, daß uns das ganze kulturelle Gebäude von Zivilisation zusammenbrechen kann, daran werden wie immer „die Anderen“ schuldig sein.

Im übrigen wird uns die Verschrottungsprämie schon im nächsten Jahr auf die Füße fallen, wenn die Nachfrage nach fabrikneuen Autos sinkt. Dann wird die Mehrwertsteuer u.a. deshalb erhöht werden, weil noch mehr Subventionen an die Autobauer gezahlt werden.

Die beispiellose Gier nach Gewinn hat die Menschen (uns alle?)  in diesem Land korrumpiert. Meine Mutter, mein Vater und etwas später ich selber, wir hatten in Berlin (West) eine gemeinsame Firma, einen Sanitären Großhandel, einerseits in einem schwierigen politischen Umfeld, andererseits unter einer politischen und wirtschaftlichen Dunstglocke, die uns einige Vorteile brachte. Wir haben hart gearbeitet; einen 8-Stunden-Tag gab es (meistens) nicht, und eine 6-Tage-Woche, später 5 Tage, nur mit Mühen. Es gab damals, in all den Jahren nach 1932 und 1945 bis zum 31. Dezember 1989 (an diesem Tag gaben wir den Großhandel aus persönlich-familiären Gründen auf), eine Reihe von Kollegen, die Konkurs anmelden mußten. Meistens waren es diejenigen, die als Erste das Auto mit dem Stern fuhren und die bei (Veranstaltungen) Messen in der Bundesrepublik und im Ausland in den Fünf-Sterne-Hotels abstiegen. Sie gaben an, wie wir in Berlin sagen, „wie drei Loren Affen“. Sie hielten alle nichts von der Kerstenschen Ideologie, ja, sie verlachten sie sogar: Vor einer Gewinnentnahme immer an die Rücklagen für schlechtere Zeiten denken!

Die Familie Kersten hat im übrigen nicht schlecht gelebt! Von diesen Rücklagen wird immer noch ein Teil des  Kommentar- und Informationsbrief finanziert! Die Firma wurde übrigens 1932, in einer wirtschaftlich schlechten Zeit, gegründet.

Ich denke an diese Geschichte, wenn ich das Schmierentheater um Karstadt, Quelle, Hertie u.a. mitansehen muß. Die Firmen wurden von den Investoren bis auf’s Blut ausgesaugt. Es existieren keine Rücklagen, da die Gewinne rückstandslos verteilt wurden. Keiner war und ist für diese Geschäftspolitiken verantwortlich, auch nicht die Gewerkschaften. Vielleicht wäre es notwendig gewesen, einmal für Finanzrücklagen in den Firmen zu streiken anstatt für Lohnerhöhungen.

Ich bin gegen eine wirtschaftliche Hilfe für Karstadt, Quelle und Co. aus dem Steuersäckel. Noch nicht einmal das Gejammer der Mitarbeiter stimmt mich traurig.

Ich bin für ein Gesetz, welches steuerneutral dafür sorgt, daß Rücklagen in jeder Firma gebildet werden müssen, auch wenn die Banken Zeter und Mordio schreien. Je mehr Rücklagen die Firmen haben, desto weniger Bankkredite werden die Firmen in Anspruch nehmen müssen.

VERDI und die Belegschaft von Hertie protestieren mit dem Slogan „Rettet die Innenstädte“ gegen die Schließung der Hertie-Kaufhäuser.

Seit dreißig Jahren oder mehr galten die Bürger, die angesichts der Einkaufszentren vor den Toren der Städte und dem wirtschaftlichen Sterben der Innenstädte gegen diese soziale Unvernunft protestieren, als rückwärtsgewandte Toren. Kein Liter Treibstoff der täglichen Kundenströme (und manchmal auch die direkte Zerstörung von Natur) war dieser Phalanx von Politikern, unkündbaren Staatsbeschäftigten, verbeamteten Institutsprofesssoren (als Gutachter z.B.), von Wirtschaftslobbyisten und Managern zu teuer, um diese Fehlleitungen von Kundenströmen, manchmal sogar gegen die Kundenproteste, durchzusetzen. Unendlich viel Steuergeld ist  in die Taschen der Planer, Erbauer und Nutzer dieser Einkaufszentren geflossen.

Die traditionellen Innenstädte wurden immer leerer. Die traditionellen Bäcker, Fleischer, Lebensmittelhändler und Konfektionsläden verschwanden aus den kleinen Städten und Dörfern.

Die gleichen Leute, die über Jahrzehnte dieses asoziale, im Kern kriminelle „Geschäft“ der wirtschaftlichen „Entvölkerung“ betrieben haben, treten heute wieder vor Presse, Rundfunk und Fernsehen, und verkünden, schlau wie sie sind, daß das wirtschaftspolitische Steuer nun herumzureißen sei. Und - das Volk jubelt. Der Moloch Staat frißt nach wie vor unser Steuergeld. Welch ein Wahnsinn!

Ganz zum Schluß, nachdem ich schon alles abgeschlossen hatte, fiel mir auf, daß ich nichts über die  Bundestagswahlen am 27. September 2009 geschrieben haben. Die nächste Nummer der NEUEN POLITIK, die im September erscheint, kommt vielleicht für ein Wahlempfehlungen zu spät. 1. Wenn Sie über einen Internet-Zugang verfügen, gehen Sie bitte auf die Seite www.abgeordnetenwatch.de und befragen Sie Ihren Wahlkreisabgeordneten nach seinen Zielen. 2. Wenn Sie keinen Internetanschluß haben, sollten Sie Ihren Abgeordneten schriftlich befragen, auch wenn das etwas schwieriger werden sollte 3. Gehen Sie zur Wahl. . 4. Wählen Sie möglichst unkonventionell.

 
     
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