Dieter Kersten - November / Dezember 1997    
Editorial    
     
 

Liebe Mitstreiterinnen, liebe Mitstreiter, sehr geehrte Damen und Herren,

ein alter Leser der NEUEN POLITIK, Dr. Jobst von Wehren, schreibt mir u.a.: Die Meinung des privaten Dieter K., Berlin, ist sehr wertvoll. Man kann entweder nur pro oder contra sein!! So einfach, lieber Herr von Wehren, sind das Leben und die Politik nicht. Unendlich viele Gespräche, Abwägungen und Detailbetrachtungen sind nötig, um in wichtigen Dingen zu Beurteilungen zu kommen. Der Brief enthält auch die Frage Warum schreiben Sie nicht Ihre klare Meinung über den Euro ??? Habe ich, lieber Herr von Wehren: ich habe eine Volksabstimmung gefordert und ich habe mich deutlich gegen den Euro ausgesprochen. Ich fürchte jedoch, daß die Proteste zu spät kommen und daß diese Proteste zu emotional sind. Das gleiche gilt für die Rechtschreibereform; jahrelang sind der Euro und die Rechtschreibereform diskutiert worden, jahrelang sind die Vorbereitungen für die Einführungen in aller Öffentlichkeit erfolgt und - in dem Moment, wo es passiert, erhebt sich ein großes Geschrei.

Dr. Jobst von Wehren fragt mich auch Was schreibt und sagt D.K., Berlin, privat und persönlich über Herrn Schröder, Hannover? Wie wird er in Berlin beurteilt? Ist Herr Schröder für Deutschland der richtige Mann? Nichts, auch gar nichts halte ich von Herrn Schröder, Hannover. Ich muß doch einen Menschen, der den Wählern erzählt, daß er Verantwortung übernehmen will, danach beurteilen, ob er Antwort darauf geben kann (wenigstens den Versuch einer Antwort), wie die Gemeinschaft das Hauptproblem unserer Zeit, die Massenarbeitslosigkeit, beheben kann. Statt dessen bearbeitet Herr Schröder ein Scheinthema, die Verbrechensbekämpfung und die einseitig de.nierte Öffentliche Sicherheit. Ich z.B. fühle mich durch den ständig zunehmenden und rüder werdenden Autoverkehr weit mehr in meiner Sicherheit, Gesundheit und Freiheit bedroht, als durch das, was landauf, landab als Kriminalität bezeichnet wird. Herr Schröder ist doch, wie Herr Lafontaine, Herr Kohl, Herr Gerhardt, Herr Gysi, Herr Fischer und Herr Waigel, ein Garant für mehr Tote hier und mehr Ungerechtigkeit und für die Verhinderung von Alternativen jedweder Art.

Es geht um Alternativen. Sehr erfreulich ist die Diskussion in der Partei Bündnis 90/Die Grünen über Bundeswehr und NATO. Ich wiederhole hier meinen Standpunkt: Abschaffung der Bundeswehr, Schaffung eines gut ausgerüsteten technischen Hilfswerkes, welches international da tätig werden kann, wo die Waffen schweigen, Austritt aus der NATO, und solange noch eine Abkehr vom Euro möglich ist, die Umwandlung der EU in eine bürokratenlose Europäische Freihandelszone. Militärfreiheit heißt natürlich: Verzicht auf jede Art von Waffenproduktion einschließlich der Zulieferung; Militärfreiheit heißt natürlich aktive Neutralität, d.h. Frieden schaffen ohne Waffen.

Auch aus diesem Grund freue ich mich sehr, daß der Friedens-Nobelpreis der Internationale Kampagne gegen Landminen verliehen worden ist. In einem Beitrag von Elisa Winkelmann in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 17. Oktober 1997 steht: Durchschnittlich alle 20 Minuten explodiert irgendwo eine Landmine, meist in Gegenden, wo der Krieg vorbei ist oder Waffenstillstand herrscht. Seit 1975 wurden mehr als eine Million Menschen auf diese Weise getötet oder verstümmelt. Selbst der deutsche Außenminister Kinkel erklärte, zuletzt von mir am 2.November 1997 im Rundfunk gehört, seine Bereitschaft, weltweit für die Abschaffung der Landminen einzutreten. Er behauptete, daß in Deutschland keine Landminen mehr gefertigt werden und daß die Bundeswehr ihre Bestände vernichten werde.

Ich sage es klar und deutlich: ich bin dafür, daß in Deutschland geborene Kinder von in Deutschland arbeitenden Ausländern die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch bekommen und daß sich diese Kinder mit 18 Jahren entscheiden müssen, welche sie behalten wollen: die ihrer Eltern oder die deutsche Staatsangehörigkeit. Wir sind es ganz schlicht und einfach den Kindern schuldig, daß wir sie nicht ausgrenzen sondern integrieren sollten. Die Deutschen zeugen zu wenig Kinder und sind, vielleicht sogar in ihrer Mehrheit, kinderfeindlich.

In diesen Tagen beherrscht das irakische Thema die Medien. Abgesehen davon, daß ich von Saddam Hussein nicht viel halte, fürchte ich, daß die US-Amerikaner, denen ich zutiefst mißtraue, von irgend etwas anderem ablenken wollen, was sich in dieser Region abspielen könnte. Es ist ja einiges im Gange: die türkische Armee ist wieder in den Nordirak eingedrungen und hat verkündet, dort bleiben zu wollen. Der Iran ist den US-Amerikanern gegenüber nach wie vor unbotmäßig und blockiert zudem mögliche Ölandelswege von Aserbaidschan und anderswo. Die autokratischen Regime in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Saudi-Arabien stehen innenpolitisch immer mehr auf tönernen Füßen. Die Lage um Israel herum ist alles andere als erfreulich bzw. friedenserhaltend. Es ist erstaunlich, wie schnell sich die Opposition im Kongreß der Vereinigten Staaten hinter Herrn Clinton gestellt hat, nur weil Herr Hussein etwas Theaterdonner inszeniert.

Während die UN-Inspektoren unter lautem Getöse den Irak verlassen, kehren die EUBotschafter geschlossen, aber in zwei Schüben, in den Iran zurück. Möglich, daß Beides nichts miteinander zu tun hat, gleichzeitig aber haben die US-Amerikaner einen zweiten Flugzeugträger in den Persischen Golf verlegt. Angesichts des feinnervigen Beziehungsgeflechtes im Nahen Osten sind das bemerkenswerte Entwicklungen mit politischen Folgen, die ich noch nicht abschätzen kann.

Den Text Frau Süssmuth und die AIDS -Mafia ist schon etwas älter, und dennoch aktuell. Frau Süssmuth hat sich anläßlich einer Operngala in Berlin zugunsten der AIDS - Opfer Ende Oktober 1997 wieder einmal sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Es kommt mir darauf an, wenigstens im kleinen Maßstab eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. Ich denke, daß ist angesichts der veröffentlichten Einheitsmeinung sowieso eine der notwendigen Aufgaben des Kommentar - und Informationsbriefes.

Da der Kommentar- und Informationsbrief neunmal im Jahr erscheint, ist diese Doppelnummer die letzte Ausgabe in diesem Jahr. Ich danke Ihnen, den Leserinnen und Lesern, für Ihre Treue und hoffe, daß ich einiges aus dem Gewirr von Nachrichten durch die Informationen und die Kommentare erhellt habe. Die Beiträge zur politischen Neuordnung kommen deshalb etwas zu kurz, weil sie mehr Platz brauchen, als mir in den monatlichen Ausgaben zur Verfügung steht. Deshalb bitte ich Sie, auf das Buchangebot acht zu geben.

Ich wünsche Ihnen ein FROHES WEIHNACHTSFEST, ein glückliches und gesundes Jahr 1998 und ich wünsche uns allen Frieden.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

abgeschlossen am 14. November 1997

 
     
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