Dieter Kersten - März / April 1999    
Editorial    
     
 

Liebe Mitstreiterinnen, liebe Mitstreiter, sehr geehrte Damen und Herren,

die Wochenzeitschrift FREITAG druckte am 12. Februar ein Interview aus AUFBAU, der einzigsten deutschsprachigen Zeitschrift in den Vereinigten Staaten nach, in dem sich Havard-Professor Alan Dershowitz über die Demontage Bill Clintons äußerte. Die Dokumentation in FREITAG trägt die Überschrift Sexual McCarthyism: es geht um Kenneth Starrs Rückgriff auf die fünfziger Jahre. In diesem Interview erscheinen mir besonders zwei Sätze interessant zu sein: Ich glaube, daß in den USA, im Nahen Osten und in vielen anderen Teilen der Welt die Gefahr fundamentalistischer religiöser Regimes droht. In Europa dagegen nicht - Europa ist der am wenigsten religiöse Kontinent. Wenn religiöse Dogmen us-amerikanische Außen- und Innenpolitik bestimmen, dann werden sie Kopisten in aller Welt finden. Wir sollten uns vor Augen führen, welche katastrophalen Folgen es haben muß, wenn z.B. Menschenrechtspolitik aus einem dogmatischen religiösen Impuls heraus betrieben wird. Diese Menschenrechtspolitik ist dann nichts anderes als ein Missionarismus, der die Völker ihrer Kulturen berauben will. Fundamentalistischen religiösen Regimes fällt es leicht, ihre ökonomischen Interessen hinter theologischen Floskeln zu verstecken. Vielleicht ist das der Grund, weshalb sich die chinesische Regierung so bockbeinig in Sachen Menschenrechte ˆ la Albright verhält. Wir sollten wachsam sein und diese Variante von Politik im Auge behalten.

Inwieweit die Gouverneurin des US-Bundesstaats Arizona, Jane Hull, aus einem dogmatischen religiösen Impuls handelt, wenn sie amtlich Menschen töten läßt, weiß ich nicht. Es heißt, daß die Todesstrafe in Arizona sehr populär ist. Irgendein Pfaffe muß doch dieser "christlichen" Gesellschaft und dieser Gouverneurin mal sagen, daß ein Gebot Gottes lautet : Du sollst nicht töten. Was für eine Arroganz, sich darüber hinweg zu setzen!! Weder internationale Abkommen, noch Appelle der Deutschen Bundesregierung und ein Beschluß des Internationalen Gerichtshofes finden irgendwelche Beachtung. Welch eine Aufregung aber, wenn die Mehrheit der Deutschen mit Recht Front gegen die Scientology Sekte macht. Das wird in Teilen der us-amerikanischen …ffentlichkeit mit der Judenverfolgung des 3. Reiches verglichen.

Die Verletzung von Völkerrecht, mit oder ohne einen fundamentalistischen religiösen Impuls, ist auch Teil der us-amerikanischen Außenpolitik: die Flugverbotszonen über dem Irak sind willkürlich, durch keinen irgendwie gearteten internationalen Beschluß abdeckt. Die US-Regierung handelt nach Gutsherrenart.

Religiöser Fundamentalismus, so wird gesagt, ist die Folge sozialer Probleme. Mag sein, aber er ist auch Folge einer Abwesenheit von Bildung. Ebenfalls in FREITAG, auch am 12. Februar, auf der Seite Kultur berichtet Dietmar Hochmuth über eine deutsche Filmpräsentation in San Francisco und schreibt u.a.: Wer sich über die mangelnde, ja eher rückläufige Verbreitung deutscher Kultur in den USA immer wieder wundert, muß sich beim Abwinken nicht einmal schwertun, wenn er außer acht läßt, auf welch kulturelles Umfeld jeder Versuch des viel zitierten >> across the borders << (Anm.D.K.: "Grenzüberschreitungen") in einem Land fällt, wo deutsche Literatur in der Schule einfach nicht vorkommt, nicht einmal in der Highshool, nicht einmal Goethe. So hat der gutgemeinte alte Markenname des deutschen Kulturinstituts hier für Nichtgermanisten von vornherein einen bizarr selbstreferentiellen Klang, ja wirkt die Schreibweise >> oe << sogar adaptiert - heißt er auf deutsch nicht doch >> Göthe <<? Was der deutschen Kultur widerfährt, daß trifft auch die anderen Kulturen dieser Erde. Während in Deutschland us-amerikanische Ereignisse ihre …ffentlichkeit durch Presse, Rundfunk und Fernsehen finden, behandeln uns die US-Amerikaner mit Nichtachtung.

Scheinbarer Themenwechsel? Wie sehr noch die Reste von deutscher Kultur Bollwerk sein können, zeigen die fehlgeschlagenen Bemühungen eines Leo Kirch, die Deutschen zu einem Abonnement - Fernsehen zu überreden. Das führte in eine Abo-Pleite. Nun finden Beteiligungs - Gespräche mit den Medienzaren Murdoch, Berlusconi und Al Waleed statt, die die Reste deutscher Kultur zugunsten eines großen Geschäftes elemenieren wollen. Was auf uns zukommt, das beschreibt Gert Hautsch in FREITAG vom 5. Februar unter der Überschrift Die Ratten erobern das sinkende Schiff u.a. so: Medienpolitik orientiert sich in Deutschland vorrangig an wirtschaftlichen Interessen (Standort, Arbeitsplätze). Presse - und Informationsfreiheit werden für das Feuilleton und Festschriften reserviert. Von Politikern (egal ob CDU/CSU/FDP oder SPD/Grüne) darf man nicht erwarten, daß sie gegen die finsteren Pläne Front machen. Und in den deutschen Medien wird der wahrscheinliche Einstieg von Murdoch und Berlusconi bei Kirch mit einer Mischung aus Schadenfreude und Mitleid begleitet. Unkommentiert bleibt das eigentliche Problem: die verheerenden Folgen für die Medienkultur. - Murdoch, Berlusconi und Al Waleed stehen für eine Medienpolitik, die ausschließlich an Macht und Profit orientiert ist. Sie akzeptieren kein Hindernis - am wenigsten Belegschaften und Gewerkschaften - und sind bereit, ihre Medien offen für politische und persönliche Kampagnen einzuspannen. Letzteres gilt am stärksten für Berlusconi, der seine Medienmacht mit rechtsradikalen politischen Zielen verbindet. Gewiß besteht kein Anlaß, die deutschen Medienkonzerne in Schutz zu nehmen. ...... Aber das, was Murdoch beim Londoner Druckerstreik 1986 an Brutalität gezeigt hat (er feuerte fast die gesamte Belegschaft und stellte Hilfskräfte ein), wie er seine Zeitungen zu hemmungslosen Kampagnen benutzt, oder auch Berlusconis Mißbrauch der Medien wären hierzulande eine neu Dimension. Al Waleed ist übrigens ein saudi-arabischer Prinz, was angesichts unserer islamischen Mitbürger besonders pikant ist.

Jeder Politikansatz reduziert sich auf Arbeitsplätze. Die Presse - und Informationsfreiheit wird zugunsten von Arbeitsplätzen aufgegeben, die Gesundheit zugunsten von Atomkraftwerken und Genmanipulation (auch: Biotechnologie), der Friede zugunsten von Rüstungsproduktion. In KAMPAGNE AKTUELL, Nr. 3-4/98, November 1998 beschreibt Wolfgang Menzel die Situation folgendermaßen: Heute beschäftigt die DASA weit über 10 000 - zum Teil hochqualifizierte und gut bezahlte - Mitarbeiter, die ausschließlich in der Entwicklung und Produktion der Waffen für künftige Kriege arbeiten. Kriege, die anderswo als in Europa stattfinden werden. Und um die Absatz- und Exportchancen ihrer Kriegswaffen zu verbessern, treibt die DASA die Gründung eines künftigen, rein privatwirtschaftlichen Europäischen Luftfahrt - und Verteidigungskonzerns EADC (European Aerospace and Defense Corporation) weiter voran. Sollten diese ehrgeizigen Pläne für eine ausschließlich marktorientierte und keinerlei direkter politischer Einflußnahme mehr unterworfenes europäisches Rüstungsmonopol Wirklichkeit werden, dann drohen uns Kriege, die aus betriebswirtschaftlichen Gründen geführt werden, um die Konkurrenzsituation und die Profite von Daimler/Crysler und Konsorten zu verbessern.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

abgeschlossen 12. März 1999

 
     
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