|
Liebe Mitstreiterinnen, liebe Mitstreiter, sehr geehrte Damen und Herren,
wie sehr auch schon vor dem unseligen Krieg in Jugoslawien sich politische
Menschen mit der verlorengegangenen Mitte Deutschlands beschäftigt haben,
zeigt der Beitrag von Adolf Dreesen über Eduard Goldstücker in der Wochenzeitung
FREITAG vom 19. März anläßlich der Verleihung des Lessing - Preises an
den tschechischen Germanisten: Die These von der Kollektivschuld der
Deutschen lehnte er ab - doch seien die Deutschen, sagte er, im Verlauf
ihrer Geschichte von der vermittelnden Rolle, die sie einst erfolgreich
ausgefüllt hätten, abgewichen. Proportional zum Anwachsen ihrer Bedeutung,
die sie gerade dieser Rolle verdanken. Hätten sie ihre historischen Wurzeln
verkümmern lassen, je mehr sie ihren Traum von der nationalen Einheit
verwirklicht hätten und je stärker sie wurden, desto offenkundiger sei
ein Trend zur Monokultur und eine Anfälligkeit für die verschiedensten
Infekte geworden. Worte, die heute wieder einen besonderen Klang haben.
Der Krieg in Jugoslawien beherrscht diese Ausgabe des Kommentar - und
Informationsbriefes. Die öffentliche Darstellung des Krieges stimmt mit
der Wirklichkeit nicht überein. Selbst dann, wenn Teile der anonymen Erklärung
eines Insiders auf Seite 3 ff. mit Vorsicht zu behandeln wäre, gilt das
für die offiziellen Verlautbarungen erst recht.
Ob es gefällt oder nicht: die PDS ist die einzige Antikriegspartei im
Bundestag. Ich erinnere an die Bewilligung der Kriegskredite durch die
SPD 1914; lediglich Karl Liebknecht, damals noch Mitglied der SPD-Fraktion,
stimmte gegen die Aufnahme der Kredite und damit gegen den Krieg. Jetzt
war es wieder ein Kommunist, nämlich der Abgeordnete Gysi, der den Eintritt
Deutschlands in einen Krieg ablehnte, der möglicherweise der Beginn eines
3. Weltkrieges sein kann.
Nur der Vollständigkeit halber muß ich auf das Thema Menschenrechte eingehen.
Zweifellos werden die Menschenrechte im Kosovo massiv verletzt. Was ist
aber mit den 200 000 Serben, die von den Kroaten aus der Krajna vertrieben
wurden und die immer noch in Barackenlagern hausen? Die Menschenrechtler
jedweder Couleur auf der "westlichen" Seite haben diesen Verstoß
gegen die Menschenrechte, der vom katholischen Kroatien mit dem Segen
des Vatikans begangen wurde, weitgehend ignoriert. Eines der Lager ist
übrigens von den NATO - Bombern beschossen worden. Wann kommen Tudjman,
der Papst, Solana, Schröder und Co. vor ein Kriegsverbrechergericht? Die
us-amerikanischen Heilsbringer tun nichts, gar nichts gegen die Verstöße
gegen Menschenrechte in der Türkei (nicht nur gegen Kurden), in Ost-Timor,
Ruanda, Burundi, Nigeria, Kongo, Mexiko, Peru, Israel/Palästina und in
ihrem eigenen Land gegen die Indianer (immer noch).
Aber zurück nach Deutschland. In der Wochenzeitschrift FREITAG vom 16.
April schreibt Stefanie Christmann unter der Überschrift Die SPD richtet
sich im Krieg ein und unter der Unterüberschrift SPD - Sonderparteitag:
Semantische Säuberung der Sprache zu Kriegszwecken - Schröder vertrieb
die Worte aus ihrer Sinnverwurzeleung u.a. : Ein Vierteljahrhundert nach
Hans Jonas Buch Das Prinzip Verantwortung entkernte die SPD das Wort Verantwortung
und machte es zum Fetisch. Freiheit, Selbstbestimmung, ethisches Handeln,
der aufklärerische Impetus - perdu. Weil das Wort Schröder und den Seinen
ein blasses, aber magisches Abstraktum ist, konnten sie den Begriff als
Schmieröl für die Kriegsmaschinerie entdecken und es hineinspritzen in
das Getriebe der Gemüter. Der Kanzler raunte das Wort, beschwor die Verantwortung
mit den Händen, den einknickenden Beinen, mit der ganzen Körperhaltung
- und verriet sie prompt. Verantwortung tatsächlich zu übernehmen, verweigerte
er sich. Mit dem Satz >> Die Belgrader Führung allein hat es in
der Hand, den NATO - Einsatz zu beenden <<, legte er die Verantwortung
für die Beendigung des Krieges ausschließlich in die Hände Milosevics,
entband sich selbst aus der Verantwortung. Er verzichtete auf die Freiheit,
selbst über das eigene Handeln zu entscheiden, machte ein souverän gewordenes
Deutschland zur Marionette eines Kriegsverbrechers und sprach sich selbst
damit gleichzeitig frei von der Verantwortung für und die Mitschuld an
den Leiden der Zivilbevölkerung. In der gleichen Ausgabe von FREITAG
schreibt Mario Scalla unter der Überschrift Private Rudolf und
unter der Unterüberschrift Handkantenschläge: Ein Verlorengeglaubter
spielt Kriegsminister über Herrn Scharping u. a folgendes: Was
er kann, das demonstriert der Verkannte seit Kriegsausbruch, denn aus
einem verschnarchten Sozi kann zwar nichts Gescheites, aber immer noch
ein ordinärer Militarist werden. Vorher bestand sein Verhalten darin,
abzuwiegeln und einzuschläfern, doch auf einmal mischt der Mann jede Talk-Show
auf, indem er nimmermüde wider aller Kritiker schreit und pöbelt. Hätte
er sich in seiner Partei immer so verhalten, wäre er jetzt Bundeskanzler.
Reibungslos adaptiert Scharping die rhetorischen Muster, die ein Zivilist
braucht, wenn er vor den Karren der Militärs gespannt wird. Unverdrossen
erzählt er, wie schwer ihm das alles fällt und daß es keine Alternative
gibt. Nur wenn er nach einem Ausweg befragt wird, verweist er monoton
auf Milosevic als alleinigen Entscheidungsträger und leugnet eigene Handlungsoptionen
(>> Der Schlüssel zur Beendigung der militärischen Aktionen liegt
bei Milosevic <<; jetzt müßte die Begründung folgen, aber es geht
weiter mit >> nirgendwo sonst <<), und es scheint bei ihm
die Furcht durchzuschimmern, für diesen Kriegseinsatz irgendwann einmal
verantwortlich gemacht zu werden. ... Manchmal nimmt Scharping Zuflucht
zu einer Sprache, mit denen Kinder überzeugt werden sollen, so, wenn er
behauptet, >> daß viele, viele Dörfer brennen << und regelmäßig
untermauert er seine Tiraden mit Handkantenschlägen auf der Tischplatte....
Soweit ein kurzer Blick auf das Psychogramm deutscher Politiker.
Ihre berechtigte Frage, was denn nun zu geschehen habe, habe ich am Schluß
des Beitrages auf Seite 2 ff versucht zu beantworten. Wem das zu wenig
ist - was ich durchaus verstehen kann, der sollte sich das Flugblatt von
Bernhard Schaeffer, welches auf einer der Friedensdemonstrationen in Berlin
verteilt wurde, auf Seite 5 ansehen. Der weltweit niedrige Zins schreit
förmlich nach Krieg, und zwar nach einem größeren Krieg als die vielen
lokalen kriegerischen Auseinandersetzungen. Je mehr zerstört wird, desto
mehr muß wieder investiert werden und desto eher steigt der Zins, d.h.
also desto mehr kann das Kapital vermehrt werden. Der Zins wird allemal
von den Bevölkerungen (Steuerzahlern) aufgebracht, die um so williger
zahlen, je mehr Geld sie durch die einsetzende Inflation in der Lohntüte
haben und je mehr Zinsen sie für ihr kleines Sparguthaben bekommen. Dabei
merken sie nicht, daß der Wert ihrer Sparguthaben ständig abnimmt. Eine
neue Geldordnung würde einen Krieg verhindern. Über diese neue Geldordnung
ist in dem Kommentar- und Informationsbrief schon öfter geschrieben worden.
In der Literaturliste finden Sie dazu einiges. Ich kann Sie von Ihrer
Informationspflicht nicht befreien.
Die nächste Ausgabe erscheint erst Ende Juni. Ich bin zu einer Hochzeit
in Nordgriechenland eingeladen. Hoffentlich erreicht uns dort nicht der
Krieg.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Kersten
abgeschlossen 30. April 1999
|
|