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Liebe Mitstreiterinnen, liebe Mitstreiter, sehr geehrte Damen und Herren,
es ist mir nicht nur eine Herrzensangelegenheit, das deutsch-russische
oder auch das westeuropäisch-russische Verhältnis: eine gute Zusammenarbeit
ist eine Frage von Leben und Tod der in Europa lebenden Menschen. Die
Wochenzeitschrift FREITAG veröffentlichte am 28. Januar einen Beitrag
von Igor F. Maximytschew unter der Überschrift Ätzende Enttäuschung
und unter der Unterüberschrift Rot-Grünes ScherbengerichtÑ Das russischdeutsche
Verhältnis steht zwei Schritte vor dem Bruch und versah diesen Beitrag
mit folgendem Vorwort.: Vor zwei Wochen erschien in der kremlnahen
russischen Tageszeitung Nesawisimaja Gazeta ein Artikel mit dem Titel
>Joschka FischerÑTotengräber der russisch-deutschen Beziehung< .
Der Autor Igor F. MaximytschewÑjahrelang sowjetischer Spitzendiplomat
in Bonn, Berlin und ParisÑ begleitete als sowjetischer Gesandter in Ost-Berlin
1990 die ZweiplusVier-Verhandlungen und ist einer der führenden Deutschlandexperten
Rußlands. Seine ganz und gar undiplomatische Sicht, die in mehreren deutschen
Tageszeitungen auszugsweise zitiert wurde, hat in den außenpolitischen
Zirkeln der Berliner Republik für einigen Wirbel und Unmut gesorgt. Der
Freitag bat Herrn Maximytschew, seine Thesen im Lichte der Moskauer Gespräche
zwischen Präsident Putin und Außenminister Fischer exklusiv für ein deutsches
Auditorium zu formulieren.
Herr Maximytschew weist auf die Verplichtungen hin, die Deutschland seit
den Verhandlungen über die Deutsche Einheit gegenüber Rußland hat und
schreibt u.a. folgendes: Allzu leicht und allzu oft vergißt man in
Deutschland, daß es solche Verpflichtungen gibt und daß sie auch heute
gültig bleiben. Im >> Moskauer Vertrag über die abschließende Regelung
in bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 << (Zwei-plus-Vier-Vertrag)
heißt es wörtlich (Artikel 2): > Die Regierungen der Bundesrepublik
Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre
Erklärungen, daß vom deutschen Boden nur Frieden ausgehen wird. Nach der
Verfassung des vereinten Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind
und in der Absicht unternommen werden, das friedliche Zusammenleben der
Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten,
verfassungswidrig und strafbar. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland
und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, daß das vereinte Deutschland
keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung
mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen < .
In den Augen von Herrn Maximytschew, aber auch nach meiner Auffassung,
hat die deutsche Regierung durch ihre Teilnahme an dem Angriffskrieg auf
den Kosovo (Jugoslawien) gegen diesen Paragraphen 2 des für Deutschland
so entscheidenden Vertrages verstoßen. Wenn zwei Staaten sich vertragen,
aber ein Staat wendet diesem Vertrag ostentativ den Rücken
zu, was wird dann der desavouierte Staat machen? In diesem Fall ist es
Rußland nicht möglich, wieder nach Deutschland in die neuen Bundesländer
einzumarschieren, um seine vorvertraglichen Positionen einzunehmen. Aber
Rußland kann mit der ganzen Wucht seiner eigenen Staatlichkeit, was natürlich
auch zu kritisieren wäre, sich jedem Rat, sich jeder diplomatischen Hilfe,
versagen. Das geht weit über den grausamen Tschetschenien - Krieg hinaus.
Rußlands Erfahrungen, daß die deutsche Regierung des Jahres 1999 und danach
Verträge nicht einhält, hat weitreichende Folgen für die außenpolitischen
Strategie- Entscheidungen der russischen Regierungen, wie sie auch immer
heißen mögen. Die Erfahrungen der russischen Regierung mit Uneinsichtigkeit
der vertragsbrüchigen Deutschen haben bei dem jüngsten Moskauer Besuch
Fischers eine bittere Bestätigung erhalten. Diese schlechten Erfahrungen
wirken sich weit über das Atmosphärische auf die Beziehungen zwischen
Rußland und Deutschland aus. Das hat mehr Langzeitwirkung, als der kurze
außenpolitische Blick von Fischer, Schröder und Co. überhaupt ermitteln
können.
Andere Affären, groß in der deutschen Presse, und vielleicht auch
anderswo, aufgemacht, verlieren sich fast in diesem fundamentalen Fehler.
Ich meine hier auch die Entschädigung der Zwangsarbeiter, die während
des 2. Weltkrieges in Deutschland und den besetzten Gebieten für
die Deutschen haben arbeiten müssen und keinen oder nur geringen
Lohn erhalten haben. Ich verstehe nicht, weshalb die betroffenen deutschen
Firmen, die während des 3. Reiches, aber auch nach dem Krieg, tüchtig
Kasse gemacht haben, nicht schon früher auf die Idee gekommen sind,
daß eine moralische Schuld vorhanden ist, die, mehr oder minder »gerecht«,
eingelöst werden muß. Die deutsche Industrie, zusammen mit den großmäuligen
Gewerkschaften, hätten spätestens Mitte der 50iger Jahre des
vorigen Jahrhunderts eine großzügige Entschädigungsaktion durchführen
müssen, mit der Forderung, daß Akten, die angeblich in Washington
unter Verschluß waren, zur Verfügung gestellt werden. Aber die Wirtschafts-,
Gewerkschafts- und Partei-Führer der damaligen Zeit waren in Mehrzahl
zu sehr in die kriminellen Vorgange vor 1945 verstrickt, daß sie fürchten
mußten, daß in den öffentlichen Diskussionen sie höchst persönlich
in die Mangel genommen werden würden.
1978, also immerhin schon eine Generation nach dem unrühmlichen Abschluß
des 3. Reiches sind Lohngelder ausländischer Zwangsarbeiter, die sich
auf extra eingerichteten Lohnkonten bei der Hamburger Landesbank befanden,
aufgelöst, der Bundesbank überwiesen, und dort als außergewöhnlicher Gewinn
ausgewiesen worden. Keiner der damals beteiligten Banker hat ein Unrechtsbewußtsein
gehabt, ein Zeichen, daß der moralische Verfall des 20. Jahrhunderts auch
in dieser Sache deutlich wirksam war.
Nun ist das Geschrei groß. Ich weiß zwar nicht warum, aber es ist so.
Den Großteil der Milliarden, von den Milliarden, die angeblich von der
Industrie kommen, zahlt der Bürger (Steuerzahler) von heute, weil
die Firmen abschreiben, dadurch ihr Steueraufkommen niedriger ist und
der Staat schließlich das Geld beim »kleiner/n Frau/Mann«
holen wird, weil er, »der Staat«, ja die ach so emp.ndliche
Industrie (und großen Einkommen) nicht schröpfen will. Bis zu einer
Milliarde wandert zu den Anwälten, den ebenfalls späten Kriegsgewinnlern,
die am Schweiß und Blut der Geknechteten verdienen. Die Desinformationen
über die genaue Höhe dieses Betrages ist übrigens sehr
groß.
Verantwortlich sind und bleiben im wesentlichen die Parteien, die Oligarchien,
die Diktaturen der Bürokratien, die nach 1945 das Sagen gehabt haben.
Der Wähler hat aber zumindesten die Parteien gewählt, und wie es sich
zeigt, meistens emotional und unüberlegt, und ist ebenso verantwortlich
Der Verantwortungslosigkeit aber muß ein Ende gesetzt werden und diesem
Ende dient, so hoffe ich es, wieder dieser Kommentar- und Informationsbrief.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Kersten
abgeschlossen 18. Februar 2000 |
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