Dieter Kersten - Januar 2002    
Editorial    
     
 

Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

die Einführung des EURO ( € ) führt auch beim Kommentar- und Informationsbrief zu neuen Bezugsgebühren. Der Einzelpreis beträgt ab sofort € 1,90 und der inländische Abonnementpreis € 15,60 (Ausland € 18,00). An dieser Stelle möchte ich allen Abonnenten danken, die schon immer von sich aus bei der Überweisung ihren Bezugspreis großzügig erhöht haben. Diese Geste hat mich ermutigt, aus eigenem Vermögen ständig Abonnentenwerbung zu betreiben. Die Zahl der gewonnenen Leserinnen und Leser liegt weit über dem in der Werbebranche üblichen Durchschnitt. Der Kreis der Leser wächst langsam aber stetig.

Da ich nun schon einmal beim Danken bin, so will ich auch meine stillen, aber aktiven Mitstreiter nicht vergessen: Gretchen Schenke, Gelia Lerche, Ulrich und Bernhard Schaeffer. Diese vier Getreuen stehen mir mit Rat und Tat zur Seite, was für mich in der Sache, aber auch für die Seele wichtig ist. Wer sich in dieser Zeit ständig mit der politischen Entwicklung (Desorientierung) befaßt, muß einen festen Halt in seiner Umgebung haben, damit er nicht aus schierer Verzweiflung das Handtuch wirft. Gretchen Schenke, die Witwe und Mitarbeiterin des Gründers und langjährigen Chefredakteurs des Kommentar-und Informationsbriefes NEUE POLITIK, Wolf Schenke, ist krank, aber dennoch so fit, daß sie mir helfen kann, trotz der Entfernung Hamburg-Berlin. Sie bittet mich, die alten Freunde zu grüßen und denen recht herzlich zu danken, die ihr einen Gruß zukommen ließen. Gretchen Schenke ist eine Parkinson-Kranke und hat Schreibschwierigkeiten, jedem Einzelnen selber schriftlich zu danken. Deshalb dieser öffentliche Weg.

Und nun zur Politik! Ich würde gerne eine positive politische Nachricht in der ersten Ausgabe des Jahres 2002 bringen. Ist es vielleicht die, das immer mehr Menschen in den USA, in Deutschland und anderswo die oligarchische Politik der Parteien und der Wirtschaftsbosse ablehnen? Noch ist nichts, aber auch gar nichts, davon zu spüren.

Leser Norbert Schenkel schickte mir ein Fax mit einem Text aus der Zeitschrift NOVALIS, Ausgabe 3/4 2001 Dieser Text ist vor dem 11. September veröffentlicht worden und trug die Überschrift Gemeinsame Befindlichkeit: Postmodernes Lebensgefühl: Aus den USA liegen gesicherte Daten vor. Seit etwa 10 bis 15 Jahren, so lauten die Ergebnisse einer repräsentativen Studie, ist dort fast unbemerkt eine neue Subkultur am Entstehen (Paul H. Ray, Ph.D., and Sherry Roth Anderson, Ph.D., The Cultural Creatives - how 50 Million People are Changing the World. Harmony Books, New York 2000, ISBN 0-609- 60467-8). Vordergründig gilt die US-Gesellschaft im wesentlichen von zwei Strömungen geprägt. Da sind die "Traditionalisten" mit Werten und Haltungen wie Betonung von Familie und Religion, Mißtrauen gegenüber Veränderungen, Probleme mit der Komplexität der modernen Welt. Ihnen steht auf der anderen Seite die - kulturell dominierende - Gruppe der "Modernisten" gegenüber. Ihre Mitglieder schätzen universelle Normen und Säkularität, geben persönlicher Freiheit und eigener Leistung Vorrang und glauben an rein technische Lösungen. Das politische Links/Rechts-Schema hat demgegenüber seine Gültigkeit verloren bzw. ist der genannten Typisierung untergeordnet. Nun aber, so die Studie, taucht eine Gruppierung mit neuen Einstellungen auf: Die "Kulturell (oder auch Integral) Kreativen". Die Haltung deren Mitglieder ist gekennzeichnet durch Interesse an (spiritueller) Selbstverwirklichung, Wertschätzung von Beziehungen und ökologischer Lebensweise, engagierter Anteilnahme an der Welt. Weitere Merkmale sind Offenheit für fremde Kulturen und neue Ideen sowie für die Transformation der Geschlechterrollen. Aufschlußreich ist auch, was die Kulturell Kreativen ablehnen: Die Intoleranz der religiösen Rechten, den gedankenlosen Hedonismus (Anmerk. D.K.: ethische Lehre der griechischen Philosophie, wonach Glück und Ziel des Menschen im Gefühl der Lust besteht) der kommerziellen Medien und die skrupellose Umweltzerstörung im Namen des Big Business. Die Untersuchung sagt über das Verhältnis der genannten drei Gruppierungen folgendes aus: Traditionalisten 24% (abnehmende Tendenz); Modernisten 47% (abnehmend); Kulturell Kreative 29% (zunehmend). Bemerkenswert ist angesichts dieser Zahlen, daß die Kulturell Kreativen bisher weder gesellschaftlich noch aus der Sicht ihrer eigenen Mitglieder als eigenständige Subkultur wahrgenommen werden. Das heißt, es gibt kaum gemeinsame Medien, Parteien oder kulturelle Ausdrucksformen, in denen sich das transmoderne Lebensgefühl dieses wachsenden Teils der Bevölkerung widerspiegeln würde. Indizien sprechen gleichwohl dafür, daß die neuen Denkweisen und Haltungen mehr oder minder in allen westlichen Ländern zunehmend in Erscheinung treten (siehe z. B. die Elgin Reports, www.awakeingearth.org/reports.html).

Mit dem üblichen Realitätssinn versehen, ist festzustellen, daß diese positive Nachricht durch die Reaktionen der Oligarchien nach dem 11. September arg konterkariert worden ist. Wollen und sollen wir uns das gefallen lassen? Es lohnt sich doch, die Bewegung der Kulturell Kreativen in den Vereinigten Staaten durch eine europäische Bewegung gleicher bzw. ähnlicher Art zu unterstützen. Nur so können wir die kriegsbereiten Oligarchien isolieren. >> Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin <<. Überall in Europa nehmen die Zahlen der Kriegsdienstverweigerer zu.

Zum Schluß noch einige Worte zu der Regierungsbildung (Senatsbildung) des Stadtstaates Berlin. CDU und SPD haben als jahrzehntelange Mehrheitsparteien den wirtschaftlichen und finanzpolitischen Niedergang Berlins zu verantworten. Bündnis 90/Die Grünen waren sozusagen das Sahnehäubchen institutioneller Verantwortungslosigkeit. Die FDP war Mittäter, zumindestens auf Bundesebene. Die PDS ist mitverantwortlich für den "Wasserkopf" in Berlin (Ost). Alle Parteien haben zugelassen, daß die Gewerkschaften zu den heimlichen Herren der Bürokratie wurden. Alle fünf Parteien sind, auf unterschiedliche Art und Weise für die Berliner Misere verantwortlich. Polit-strategisch und von außen betrachtet ist die Übernahme von Regierungsverantwortung durch die PDS nur zu begrüßen. Die PDS hat in Berlin (Ost) die Mehrheit. Nun muß sie ihren Wählern gegenüber beweisen, daß sie die Berliner Misere bewältigen kann. Gregor Gysi, sicher ein intelligenter Mann, muß zeigen, daß er mehr kann als bei Talkshows durch Schlagfertigkeit zu brillieren. Ich bin da etwas skeptisch, obwohl ich weiß, daß gerade Gregor Gysi (PDS, jetzt Wirtschaftssenator = Landes-Wirtschaftsminister) im Gegensatz zu Klaus Wowereit (SPD, jetzt Regierender Bürgermeister = Ministerpräsident des Landes Berlin) bei neuen Ordnungsideen wenigstens zuhört. Berlin könnte zu einem gesellschaftspolitischen Experiemtierfeld werden, wenn die beiden Regierungsparteien sich nach außen öffnen und in aller …ffentlichkeit neue Ideen diskutieren und umsetzen würden.

Mit freundlichen

Grüßen Dieter Kersten

abgeschlossen 21. Januar 2002

 
     
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