Dieter Kersten - Juli / August 2002    
Editorial    
     
 

Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

eigentlich habe ich was ganz anderes bei Erich Kästner gesucht; ich weiß schon nicht mehr was. Gefunden habe ich DIE KANTATE "DE MINORIBUS" in Kästners Taschenbuch Die kleine Freiheit - Chansons und Prosa 1949-1952. Ich biete Ihnen dieses Buch in der Bestelliste an. Angesichts der Bedingungslosen Solidarität unserer kriegsbereiten und demokratie-zerstörenden bzw. -feindlichen Bundesregierung ist es bestimmt gut, wenn ich den Klappentext zitiere: Die ersten Jahre der Bundesrepublik Deutschlands sind geprägt vom sogenannten Wirtschaftswunder. Der Krieg scheint vergessen, die Rüstungsindustrie saniert sich, und es werden neue Kasernen gebaut. Der Wind weht bereits wieder aus einer ganz bestimmten Richtung. Die jüngste Vergangenheit wird verdrängt, und eine gefährliche Vergeßlichkeit greift um sich. Unerbittlich und mit beißendem Zynismus analysiert Erich Kästner in den hier gesammelten Chansons, Glossen und Feuilletons aus den Jahren 1949-1951 die > Entwicklung < der jungen Republik. > Die große Freiheit ist es nicht geworden ... <.

Die KANTATE »;DE MINORIBUS« ist für das Kabarett geschrieben. Sie ist keine "schlechte Nachricht", sondern eine nachdrückliche Mahnung an uns Menschen. Wie sagt die Frauenstimme am Schluß des Textes: War's nur geträumt? Dann laßt uns öfter träumen. Dann wissen Träume mehr von uns als wir.

Laut K…LNER STADTANZEIGER vom 14. Juni 2002 sind 2001 weltweit 839 Milliarden Dollar für die Rüstung ausgegeben worden. Wenn Sie versuchen, im Internet zu recherchieren, dann werden Sie feststellen, daß die Angaben sehr unterschiedlich sind. Die Größenordnung wird aber stimmen. Zu den monetären bzw. wirtschaftlichen Folgen dieser Rüstung äußert sich Leser Norbert Schenkel. Das in diesem Leserbrief erwähnte Buch von Helmut Creutz biete ich in der Buchliste an. Neben der Kapitalvernichtung durch die weltweite Rüstung kommt der weltweite Betrug multinationaler Konzerne hinzu, die mit Hilfe gefälschter Bilanzen den mittelständischen Anleger abzocken. Enron, WorldCom und Xerox mit ihren 15-20 Milliarden Dollar Verlusten nehmen sich neben den 839 Milliarden Rüstungsausgaben nahezu lächerlich aus. Rechnen wir aber alleine die Pleiten nationaler Konzerne bzw. Firmen in Deutschland zusammen, so kommen hier alleine locker 5-10 Milliarden Euros zusammen. Würden wir das Desaster von Land zu Land addieren, und zählen wir noch die Staatsschulden hinzu, dann kommen Summen mit so vielen Nullen zusammen, die kein Erdenbürger begreifen kann. Die Zeit wird langsam reif für neue volkswirtschaftliche bzw. monetäre Lösungen.

dpa meldete vom G-8-Gipfel aus Kanada: "Zum Finanzskandal versprach er (US-Präsident Bush) unnachsichtige Verfolgung der Sünder und ließ seinen Sprecher Ari Fleischer verkünden: > Der Präsident glaubt an die innere Kraft des Kapitalismus, das Leben der Menschen zu verbessern. < Das > in sich gute < System setze Verantwortungsbewußtsein voraus. Wenn > faule Äpfel < den Ruf des Kapitalismus aufs Spiel setzten, fühle Bush sich persönlich beleidigt" .

Dazu einige Sätze aus einem Beitrag von Maria Mies mit der Überschrift Die neuen Kolonien des Westens, den Sie in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 17. Mai nachlesen können: .... 52 der 100 größten …konomien der Welt sind Konzerne, nur 48 sind Länder, und der Reichtum der drei reichsten Männer der Welt, alle aus den USA, ist größer als der von 50 Prozent der ärmsten Länder. .... Für die USA weist eine Studie des Institute of Policy Studies nach, > daß die Top-Manager amerikanischer Konzerne heute im Durchschnitt 419mal mehr verdienen als einfache Arbeiter. Nach Kevin Phillips erhöhten die oberen zehn Prozent der Amerikaner in den achtziger Jahren ihr Einkommen um 16 Prozent. Bei den ärmeren Schichten war es umgekehrt. Je weiter unten auf der sozialen Leiter, um so größer die Einkommenseinbußen. Die zehn Prozent am unteren Ende verloren im selben Zeitraum 15 Prozent ihrer ohnehin dürftigen Einkommen. 1977 war das Einkommen des obersten ein Prozent der Bevölkerung 65mal größer als das der ärmsten zehn Prozent. 1987 war das oberste ein Prozent 115mal reicher.

Der Beitrag des Lesers Dietrich Antelmann auf Seite 4 befindet sich schon seit Januar/Februar d.J. auf meinem Schreibtisch bzw. auf der Festplatte meines PC. Er paßt gut zu Kästner und Kelly.

Für den Beitrag Brüder im Lande > Isratin < auf Seite 5 war in der Juniausgabe kein Platz mehr. Er sollte so etwas wie ein positiver Ausblick aus den Wirren in Israel/Palästina sein. Die jüngste Eskalation in Hebron, die Vernichtung eines wesentlichen Verwaltungszentrums der palästinensischen Selbstverwaltung, demonstriert das Zusammenspiel zwischen Washington und Tel Aviv. Hat doch > Cäsar < Bush auf dem fernen > Capitol < beschlossen, einen Vasallen zu Gunsten eines anderen Vasallen fallen zu lassen. Der Bevorzugte hat nichts Eiligeres zu tun, als den anderen durch die Zerstörung seiner Verwaltung zu vernichten. Ist die Vision Brüder im Lande > Isratin < deshalb hinfällig? Ich behaupte: nein! Visionen sind dazu da, den Frieden im Krieg vorzubereiten; Visionen, von vielen gedacht, können den Krieg stoppen. In der taz vom 15./16. Juni können Sie ein Gespräch mit der palästinensischen Schriftstellerin Sumaya Farhat-Naser lesen. Die Überschrift lautet "Die zivilen Wurzeln sind zerstört". Es geht in diesem Beitrag um Helden und Nichthelden, um Fatalismus und Verzweiflung - "Gewalt in den Familien nimmt zu, Frauen und Kinder sind psychisch krank". Aber auch aus dem vermeintlich selbstbewußten "auserwählten" Israel häufen sich die Nachrichten von Selbstmorden Jugendlicher, und neben der Verweigerung Wehrpflichtiger steht die Verrohung einer "siegreichen" Soldateska, was ebenfalls in das Zivile wirkt.

Mit dem Beitrag > Wir schrecken uns nur selber ab < Die neue US-amerikanische Nuklearstrategie auf Seite 6 setze ich meine Mahnung fort, die Gefahr eines Atomkrieges zu leicht zu nehmen. Der Beitrag in der Juniausgabe > Je simpler ein Abkommen < ist vielleicht zwischen den Beiträgen über Demokratie und Palästina/Israel als ein deutlicher Hinweis auf die Gefahr, in der wir uns befinden, etwas verloren gegangen. Alle Abrüstungsverträge, die bis 1990 zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten geschlossen worden sind, werden von der Bush-Adminstration nicht nur in Frage gestellt, sondern annulliert oder unterlaufen. Nach meiner Meinung ist die Gefahr eines Atomkrieges tendentiell heute größer, als zu der Zeit, als die Friedensbewegung so bewegende Demonstrationen gegen die Mittelstreckenraketen der US-Amerikaner in Europa veranstaltete. Wo ist die Friedensbewegung heute?

Es wird Ihnen auffallen, daß ich bisher zu den Wahlen im September keine Stellung bezogen haben. Sie können aber aus den Beiträgen der letzten Kommentar-und Informationsbriefe heraus viele Fragen an die Kandidaten formulieren, um herauszufinden, ob sie bereit sind, für Frieden und Freiheit einzutreten. Darauf kommt es in dieser Phase deutscher Politik entscheidend an.

Sie hören erst wieder im September von mir. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine gute Zeit.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

abgeschlossen am 12. Juli 2002

 
     
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