Dieter Kersten - Juli / August 2004    
Editorial    
     
 

Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

der so genannte "D-Day" - die Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 (so ist eine Zeichnung im ARGENTINISCHEN TAGEBLATT vom 6. Juni 2004 überschrieben) - hat wegen des 60-jährigen Jahrestages und der Teilnahme von Kanzler Schröder an den "Feierlichkeiten" sehr viel Platz in den Nachrichten gehabt. Ein dpa-Bericht in der oben zitierten Zeitung mit gleichem Datum war überschrieben > "Kreuzzug zur Befreiung Europas": Die Landung in der Normandie <. Wie sich die Worte gleichen !! Der aktuelle Krieg gegen den Irak ist erklärtermaßen auch ein Kreuzzug, diesmal für die Befreiung aller Iraker und Demokratie in allen islamischen Staaten, versteht sich, so wird uns jetzt immer wieder in den Medien erzählt. Die zivilisierte Welt (Bundeskanzler Schröder, einmütig mit US-Präsident Bush) mit erhobenem Zeigefinger: am us - amerikanischen Wesen, selbstredend, denn sie sehen sich als ein auserwähltes Volk, und natürlich auch an (West-!) Europa (als zweitrangiges, auserwähltes Territorium) soll die Welt genesen. 50 Jahre Frieden für Europa sind vorbei, nun sind wieder Kriege angesagt - wenn wir uns nicht basisdemokratisch, direktdemokratisch gegen die Ideenlosigkeit und die Anmaßung der Regierenden wehren.

Und das Kreuz? Das Kreuz wird seit 2000 Jahren mißbraucht, wenn unsere Zeitrechnungen stimmen.

Das Kreuz us-amerikanischer Machart ist mir, 1939 geboren, durch den Kreuzzug nicht näher gebracht worden. Ich fühle mich nicht befreit; eine Kulturlosigkeit ist von einer anderen abgelöst worden, und die kulturelle Werte, die vor 1933 noch bestanden hatten und entwicklungsfähig gewesen wären, sind vernichtet worden, spätestens im Bombenkrieg der "Alliierten" gegen Deutschland und die Deutschen, bei dem sie oftmals die Vernichtung deutscher Kulturzentren der Vernichtung von Industriezentren vorzogen.

Am Rande der Geschichten um den D-Day wurde bekannt, daß die US-Amerikaner auch eine Militärregierung für Frankreich geplant hatten. Dem kam De Gaulle, ungeliebter und unbequemer Verbündeter der "Alliierten", zuvor, indem er noch vor dem D-Day die Besetzung der Verwaltungsposten in den Departements vornahm und somit ein Widerstandspotential gegen die us-amerikanische Anmaßung stärkte. Er setzte durch, als Erster in Paris einzumarschieren und rettete so Frankreich für die Franzosen.

Es paßt genau in das Bild, wenn sich 8 Tage später, am 14. Juni 2004, der ehemalige israelische Ministerpräsident Ehud Barak, diesmal in der Berliner Tageszeitung DER TAGESSPIEGEL in einem Interview zu Wort meldete. Das Interview hat die Überschrift Barak: Die Araber brauchen einen islamischen Martin Luther. Eine erstaunliche Feststellung und wie lieb von Herr Barak, sich um den Islam Gedanken zu machen. Der genaue Wortlaut der Barak-Äußerung aus dem längeren Interview: > Die arabische Welt braucht einen islamischen Martin Luther, der heute seine Thesen an eine Moscheetür nagelt - wie damals in Wittenberg Das könnte Anstoß geben für Reformen. Die meisten arabischen Herrscher wissen, daß Reformen unausweichlich geworden sind. Aber sie wollen dabei nicht vom Westen, von Israel oder dem Rest der Welt bevormundet werden. Demokratisierung sollte für die Araber nicht eine Erfahrung der Demütigung sein, sondern ihr absolut eigenes Projekt. Wenn wir uns zu sehr einmischen, machen wir alles kaputt. < Wem nutzt diese erstaunliche Feststellung? 72 Jahre nach Martin Luthers Tod begann der Dreißigjährige Krieg (1618 - 1648), ein gigantischer europäischer Machtkampf und ein Glaubenskrieg, der ganze Landstriche in Deutschland entvölkerte, das Volk verarmte und kulturelle und soziale Zusammenhänge zerstörte. In unserer Gegenwart: um des Friedens Willen hat sich ein Israeli ungefragt aus einer sicher notwendigen islamischen Kulturdiskussion und Kulturentwicklung herauszuhalten, zumal Ehud Barak in dem Interview von seiner antipalästinensischen Haltung keinen Hehl macht. Fast lustig ist es, daß es Herrn Barak, Israeli und Jude, nicht bekannt zu sein scheint, daß Luther ein Judenhasser großen Ausmaßes war. Es gibt eine Schrift von Luther - "Von den Juden und deren Lügen" - in der alle Vorurteile gegen Juden wortgewaltig zusammengefaßt sind. Die Nazis, deren Machtergreifung u.a. von jüdischen Bankhäusern finanziert wurde, haben sich dieser Luther-Schrift bedient und die lutherischen Kirchen haben das damals selbstverständlich akzeptiert.

Den letzten Absatz des Editorials des Kommentar-und Informationsbriefes vom Juni d.J. habe ich mit dem Sprichwort "Wissen ist Macht" und einem Blick auf die Erwachsenenbildung beendet. In dieser Ausgabe bringe ich auf Seite 2 ff. Einige Beiträge über Jugend und Schule. Dabei kommt mir in den Sinn, wie wichtig wenigstens zwei fernsehfreie Tage in der Woche wären: Bildungstage anstatt Berieselungstage, Spiel-und Gesprächstage zwischen den Generationen.

Ist es ein weiter Schritt, wenn ich von Aufforderungen zu Gewalttaten in Filmen, Videos und Songtexten auf die "politische" Gewalt der Erwachsenen übergehe? Gewalt und Angst, das sind Handwerkzeuge der Herrschenden für die Machausübung. Kurz vor dem Madrider Terroranschlag erschien der Beitrag aus FREITAG; den ich auf Seite 5 ff. dokumentiere. Der Beitrag zeigt sehr eindrucksvoll, was Sie als Urlauber von der spanischen Polizei zu erwarten haben, wenn Sie auch nur durch einen Irrtum in die Fänge der spanischen Obrigkeit geraten. Es zeigt auch, mit welcher Type Mensch Sie da zu tun haben. Die spanische Regierung hat jüngst verkündet, daß sie in den Urlaubsgebieten mehr Polizei einsetzen wird: Viel Spaß also!.

Aber wir Deutschen sind keine Waisenkinder. Im Gegenteil. Mit größtem Perfektionismus wird bei uns die Freiheit eingeschränkt. Auf Seite 7 dokumentiere ich einen Militäreinsatz deutscher Soldaten in Leipzig. Immer wieder treten Parteivertreter auf, insbesondere von der CDU/CSU, die verlangen, daß das Grundgesetz soweit geändert wird, daß ein Einsatz gegen innenpolitische Demonstranten möglich wird. Wir müssen uns in aller Form dagegen wehren. Die deutschen Parteien bzw. deren Macher aller politischen Farben wollen Demokratie abschaffen, weil sie das Volk für dumm halten. Wir, das Volk, das das alles ertragen und bezahlen muß, halten die politische Klasse für einen kriminellen Haufen habgieriger Subjekte. Die Geschichte nennt so etwas Raubritter und Wegelagerer.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer. Sie hören von mir wieder im September.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

Abgeschlossen am 9. Juli 2004

 
     
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