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Liebe Freunde, sehr
geehrte Damen und Herren,
das Gespräch mit den us-amerikanischen Schriftsteller Gore Vidal, welches
ich auf Seite 2 ff. dokumentiere, sollte Anlaß sein, die „europäische
Idee“ zu überprüfen. Wir müssen in den nächsten
Monaten über Europa nachdenken, und zwar in ergebnis- offenen Diskussionen
(Untersuchungen, Besprechungen, Meinungsaustausch, Aussprachen) und Diskursen
(Unterredungen, Gesprächen).
Wenn Gore Vidal Montesquieu zitiert - "Eine Republik ist unvereinbar
mit einem Imperium! Man kann nicht beides haben!" - so gilt
das für einen republikanischen Staatenbund (die wenigen formalen europäischen
Monarchien sind dabei zu vernachlässigen), wie es das bisherige Europa
darzustellen scheint, erst recht, es sei denn, dieser Staatenbund sieht
sich selber als Teil der von den us-amerikanischen Imperialisten beanspruchten
Zivilisation.
Aber haben Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Kriegsminister
Peter Struck die Ergebnisse einer Diskussion bzw. eines Diskurses nicht
schon vorformuliert? Kanzler Schröder verteidigt zusammen mit dem Imperium
USA die Zivilisation gegen „Terroristen“ und der Kriegsminster
die Bundesrepublik Deutschland am Hindukusch. Ohne nachzudenken, wird die
Stellung Europas im imperialen Weltgeflecht festgeschrieben.
Was eigentlich ist dieses EU-Europa? Ein Staatenbund? Ein Wirtschaftsraum?
Ein bürokratisches, steuergeldsaugendes Monster, welches seine „Wichtigkeit“
selbst erzeugt und damit zu einem „Erdrücker“ der wenigen
„Freiheiten“ wird, die sich die Völker Europas im Laufe
der Jahrhunderte erkämpft haben, oder ein Werkzeug der Turbokapitalisten?
Ich denke, Europa, das institutionelle Europa, hat von jedem etwas. Vor
allen Dingen aber ist es ein großer Irrtum - es ist ein illegitimes
Kind des „Kalten Krieges“, und kein Aufbruch der europäischen
Völker zu einer Einheit und einer Vielfalt der Kulturen und Nationen,
wie er 1817 auf der Wartburg und 1832 in Hambach versucht worden ist, wo
der Polnische Adler von der Trikolore und von Schwarzrotgold gerahmt wurde.
Diese beiden Jahreszahlen begründen wahrscheinlich den Irrtum Polens
2003, „die modernen Kreuzritter .... die den Osten des Kontinentes
verwestlichen“ wollen, durch eine Blockade einer europäischen
Verfassung hindern zu können. Diese Textsplitter stammen aus der Überschrift
eines Beitrages von Wolfgang Ullmann in der Wochenzeitschrift FREITAG vom
12. Dezember.
Oder ist es gar kein Irrtum? Polen hat, imperial konsequent, die imperialen
Ansprüche der USA unterstützt, indem es den Irak-Krieg ohne UNO-Mandat
nicht nur gebilligt, sondern als Besatzungsmacht im Irak stützt. Das
hat Polen gegen Frankreich und gegen Deutschland „europäisch“
durchgesetzt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Textstelle aus einem Beitrag von Gottfried
Fischborn einfügen, der anläßlich des 200-jährigen
Todestages von Johann Gottfried Herder, des preußischbaltischen protestantischen
Predigers und Philosophen, ebenfalls in FREITAG vom 12. Dezember erschienen
ist: > Auf Herders produktiv aneignendes Verhältnis zu den Slawen
(wie zu den Balten), das freilich von einer rousseauistischen Verklärung
der Frühzeit nicht frei ist, wird man gewiss anläßlich der
bevorstehenden EU-Erweiterung zurückkommen. Es ist in diesen Völkern
seit dem 19. Jahrhundert registriert und in den nationalen Emanzipationsbetrebungen
dankbar aufgenommen worden. Seinen Höhepunkt fand es in dem berühmten
sechzehnten, dem so genannten „Slawenkapitel“ der Ideen
zur Philosophie der Geschichte der Menschheit: „ So werdet
auch ihr so tief versunkene, einst fleißige und glückliche Völker
endlich einmal von eurem langen, trägen Schlaf ermuntert, von euren
Sklavenketten befreiet, eure schönen Gegenden ... als Eigenthum nutzen
und eure alten Feste des ruhigen Fleißes und des Handels auf ihnen
feiern dürfen.“ <.
Die äußerst wichtige Frage, weshalb das deutsch-polnische Verhältnis
nicht genau so gut ist, wie das deutsch-französische, kann ich leider
nicht beantworten. Die notwendige Beantwortung dieser Frage scheint mir
aber einer der Medizinen für das kranke Europa zu sein.
Ich bin, de Gaulle folgend, für ein Europa der Vaterländer, darüberhinaus
für eine europäische Freihandelszone und die Rückgabe europäischer
Verantwortlichkeiten an die einzelnen europäischen Regierungen. Das
würde heißen, daß fast der ganze europäische, bürokratische
Apparat aufgelöst werden muß. „Einigungsarbeit“ muß
von Neuem und von unten mit frischen Ideen stattfinden. Nur der Kalte Krieg
hat die Mißgeburt Westeuropa zustande gebracht.
Der Verzicht auf das Europa des Kalten Krieges und der Bürokratie sollte
die politische Zusammenarbeit in Gesamteuropa beflügeln, weil sie
auf keine pseudo - ideologische Gegnerschaft gegründet ist, sondern
auf die gemeinsame Freiheit des demokratischen Miteinanders. In einem neuen
Europa muß die direkte Demokratie der Schlüssel zum gesellschaftlichen
Frieden sein.
Wir brauchen kein Europäisches Imperium. Imperien sind immer Skavenhalterstaaten:
die Sklaven der Zivilisationen us-amerikanischer Prägung sind die Menschen
der 2. und 3. Welt. Wir sollten da nicht mitmachen.
Europa, auch Polen, als eines der Kernstücke Europas, muß um
des Weltfriedens willen strikte militärische Neutralität in den
Welthändeln der USA einhalten. Zum Schluß bringe ich ein Zitat
aus einem Beitrag von Dipl.-Päd. Jürgen Rose, Oberstleutnant der
Bundeswehr, in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 19. Dezember 2003: Dieser
Beitrag trägt die Überschrift Den Bruch riskieren
und die Unterüberschrift Eine Frage der künftigen
Weltordnung: Warum Europäer an einem Scheitern der Amerikaner im Irak
interessiert sein sollten.: > Entgegen den Suggestionen unerschütterlicher
Atlantiker liegt eine erfolgreiche Inkorperation der blitzkriegsartig eroberten
Republik Irak in das Imperium Americanum keineswegs im Interesse Europas.
Im Gegenteil, gewichtige Gründe lassen ein möglichst desaströses
Scheitern der imperialen Ambitionen als notwendig erscheinen. Aus Sicht
der EU kann es nur darum gehen, dem Trend zu einer ökonomischen Kolonialisierung
des Planeten mit militärischen Mitteln - und darum geht es im Kern
- unter allen Umständen entgegenzuwirken. Eine erfolgreiche Unterwerfung
des Irak würde einer globalen Hegemonie der USA weiteren Vorschub leisten
und den (Präventiv-) Krieg als völkerrechtskonformes Instrument
der Außenpolitik legimentieren. ... <
Ich danke allen Lesern für die prompte Überweisung des Jahresbezugegebühr
2004 und für die großzügigen Aufrundungen. Solche Spenden
dienen der notwendigen Werbung für die NEUE POLITIK.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Kersten
Abgeschlossen 16. Januar 2004
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