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Liebe
Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,
seit Tagen schwirrt mir der Satz > Die Parteien
verspielen ihr Dasein und ihre Daseinsberechtigung < im Kopf
herum. Es war Hermann Schwann, rebellischer FDP-Bundestagsabgeordneter
der 50er Jahre und ein politisch-väterlicher Freund von mir, der
im August 1976 in der Zeitschrift für Lebensschutz - Das
Gewissen einen umfangreichen Artikel veröffentlicht hatte,
der diese Überschrift trug und in dem es um die Amtshaftung der Bundestagsabgeordneten
in Sachen Atomenergie ging. Hermann Schwann warf den Abgeordneten grobfahrlässiges
Verhalten bei ihrer Zustimmung zu diversen Gesetzen und Verordnungen zur
Einführung der gesundheitsbedrohenden Atomkraftwerke vor. Fünf
Jahre vorher hatte ich zusammen mit den damaligen Mitstreitern in dem
Berliner Wahlprogramm der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher
(AUD) ebenfalls die Amtshaftung der Politiker, aber auch aller im Öffentlichen
Dienst tätigen Menschen verlangt.
Auch jetzt ist festzustellen, daß "die Politik"
und ihre Macher weiterhin ohne Haftung für die Folgen ihres Handelns
tätig sind. Ich dokumentiere auf Seite zwei die Rede des Abgeordneten
Werner Schulz, noch Bündnis 90/Die Grünen. Werner Schulz war
der einzige Bundestagsabgeordnete, der sich in "die Bütt"
(an das Rednerpult des Bundestages) mit einem fulminanten Widerspruch
gegen die "Vertrauensfrage" gewagt hat. Hut ab! Ich hoffe, er
hört nicht auf die Schalmeienrufe der CDU/CSU, ausgerechnet dort
Mitglied zu werden, bei den historischen Antidemokraten der alten BRD.
Kommen Sie, verehrter Herr Schulz, in die außerparlamentarische
Opposition und bauen Sie mit uns eine neue Demokratie auf!
Vierzehn Tage vor dem 1. Juli, am 17. Juni, einem historischen
Datum, auch an einem Freitag (wie der 1. Juli) und in der Wochenzeitschrift
FREITAG hat Christian Gampert unter der Überschrift >
Demokratie von oben < und unter der Unterüberschrift
> Affentänze: Gerhard Schröder und die Endspiele
der Sozialdemokratie < mit der politischen Unkultur in Deutschland
abgerechnet. So etwas kann man schon gar nicht mehr unter der Rubrik Politik
veröffentlichen; es berührt vor allen Dingen unsere Kultur des
Zusammenlebens. Auf der Seite elf in der Wochenzeitschrift FREITAG, auf
einer der Kulturseiten, ist inmitten des Beitrages von Christian Gampert
ein Foto zu sehen, auf dem ein Demonstrant ein Plakat mit einer Fotomontage
hochhält: Schröder als Wilhelm II. mit dem Spruch: >
Gerhartz Krönung: Ich führe euch spärlichen Zeiten entgegen!
<.
Bevor ich aus dem Artikel zitiere, will ich innehalten,
um zum wiederholten Mal festzustellen, daß die parteiistische Demokratie,
nämlich diese Demokratie von oben von einer Demokratie
von unten, einem nachbarschaftlich gegliederten Staat, ersetzt
werden muß. Der Parteienstaat ist ein populistischer Staat, in dem
Politiker so geformt werden, wie sie uns im Alltag begegnen: eitel, oberflächlich,
ideenarm und herrschsüchtig, ja, vielleicht sogar des öfteren
menschenverachtend.
Neben einer Demokratie von unten ist ein neues Geld-
und Wirtschaftswesen notwendig, es darf keine Bodenspekulation
mehr geben, ein Freies Schulwesen muß uns aus dem
Bildungsnotstand führen, die Beamtenprivilegien
müssen abgeschafft werden. Wie wäre es z.B., wenn Eindrittel
des Geldes, welches für den Straßenbau eingesetzt wird, dem
Zukunftsprojekt Bildung zukommen würde? Das Auto ist, so, wie es
zur Zeit konzipiert wird und auf den Straßen herumfährt, kein
Zukunftsprojekt.
Nun aber Zitate aus dem FREITAG-Artikel Demokratie
von oben: > Noch ist unklar, unter welchem Label die momentanen
Zuckungen der Sozialdemokratie in die Geschichte eingehen werden: als
seltsame Seifenoper, als absurdes Theater oder einfach als Satyrspiel,
Posse und Kasperlestück. Zu einem richtigen Schurkendrama Kohlscher
Dimension (Die Parteienfinanzierung) reicht es nicht; zu einem glitschigen
Lügenmärchen über die angeblich verlorene parlamentarische
Mehrheit allemal ... Versetzen wir uns in die Lage eines normalen halblinken
SPD-Bundestagsabgeordneten: alles hat er mitgemacht, jeden Nonsens mitgetragen,
vom Kosovo-Krieg über die Homo-Ehe bis zu Gesundheitsreform, Hartz
IV und Agenda 2010. Und jetzt soll er, der seinem Herrn sieben Jahre treu
gedient, gegen die eigene Überzeugung immer mit der Fraktion gestimmt
hat, auf Anweisung von oben dem Chef das Vertrauen verweigern. Wie
mag es um die Selbstachtung dieser Personen bestellt sein? Der
ärmste Schlucker, der voller Demut immer noch auf einen 1-Euro-Job
hofft, damit sich demnächst auch ihm ein Arbeitsplatz auftue, hat
wahrscheinlich mehr Selbstbewußtsein als diese disponible Bundestags-Masse.
Gestern Kanzler-Wahlverein, heute Kanzler-Abwahlverein, wie´s gerade
beliebt. ... Daß Schröder nicht warten will, sondern lieber
Poker spielt, hat mehrere Gründe. Er hat keine Lust mehr, will aber
nicht einfach zurücktreten, sondern erpressen. Er liebt die große
Pose, das Melodram. Er will entweder den tragischen, den theatralischen
Abgang - als Held einer nicht zu Ende gebrachten Reform abtreten, auf
daß man ihn nicht an seinen eigenen Kriterien messe, nämlich
der Arbeitslosenzahl. Oder aber die minimale Chance nutzen, eine Mehrheit
für Hartz IV zu bekommen - mit der alten Sozen-Daumenschraube: Unter
der CDU wird´s noch schlimmer! Vor allem aber will er zeigen, daß
in Deutschland Politik von oben gemacht wird. Man fragt nicht mehr die
Partei, der man verantwortlich ist und deren Wahlprogramm man angeblich
vertritt, man entscheidet allein im Kämmerlein, mit Adjutant Münte.
Man setzt Fakten. < Der eine Satz ist von mir fett geschrieben worden.
Die nächste Ausgabe des Kommentar- und Informationsbriefes
NEUE POLITIK erscheint erst wieder im September und zwar nach dem anvisierten
Termin für die Bundestagswahl. Bedauerlicherweise habe ich nicht
eine einzige beantwortete Liste der Fragen bekommen, die ich Ihnen für
die Befragung der Bundestagswahlkandidaten zur Verfügung gestellt
habe. Ich bin nach wie vor daran interessiert, auch dann, wenn Sie mir
die Antworten erst nach der Bundestagswahl zuschicken. Eine Wahlempfehlung
für eine der "staatstragenden Parteien" einschließlich
der "neuen Linken" gebe ich nicht! Für mich ist keine der
Parteien wählbar, die die Chancen haben, in den Bundestag zu kommen.
In diesem Satz steckt schon einer der möglichen Hinweise: wählen
Sie eine so genannte Splitterpartei. der zweite Hinweis ist der, ungültig
zu wählen: Sie gehen also zur Wahl, aber Sie streichen den Wahlzettel
durch. Der dritte Hinweis würde sich ergeben, wenn ein Wahlkreiskandidat
Ihre Fragen so positiv beantwortet, daß Sie ihm Ihr Vertrauen schenken
wollen. Dem Wahlstreikaufruf von Mehr Demokratie e.V.
kann ich nicht folgen, obwohl ich diese Gruppe sehr schätze. Es widerstrebt
mir, gar nichts zu tun.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Kersten
( abgeschlossen 15. Juli 2005)
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