Dieter Kersten - Mai 2008    
Editorial    
     
 

Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

am 27. April gab es in Berlin einen Volksentscheid über einen Weiterbetrieb des Flughafens Berlin-Tempelhof. Volksentscheid heißt in meinem Verständnis, „über etwas entscheiden“, d.h. nach umfänglicher öffentlicher Diskussion (vorerst) abschließend eine Sachentscheidung fällen. Die Verfassung von Berlin sieht so etwas nicht vor, obwohl der Begriff Volksentscheid verwendet wird. Das Volk von Berlin hat kein Recht auf (Selbst-) „Bestimmung“ = „Entscheid“. Dieses Recht liegt laut Berliner Verfassung, trotz allem öffentlichen („bürgernahen“) Wortgeklingel, beim Senat und Abgeordnetenhaus (Parteien). Der Begriff „Volksentscheid“ wird damit in Verfassung und Öffentlichkeit zum Etikettenschwindel bzw. zu einer grob fahrlässigen Irreführung der Bevölkerung. Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister (Ministerpräsident) von Berlin, hat in seiner unnachahmlichen demokratiefeindlichen Art im Vorfeld der Abstimmung erklärt, daß er sich bei einem Ergebnis „Offenhalten des Flughafens Berlin-Tempelhof“ nicht an einem Entscheid der Bürger von Berlin halten würde. Er befände sich damit „auf dem Boden der Verfassung“.

Der Volksentscheid ist am Quorum (erforderliche Zahl von Wählern) gescheitert. Es haben nur 36,13 Prozent der Berliner an der Abstimmung teilgenommen. Mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten hätten für folgenden Beschluß stimmen müssen: „Der Stadtflughafen Tempelhof ergänzt und entlastet den Verkehrsflughafen Berlin-Brandenburg International (BBI). Der Berliner Senat wird aufgefordert, sofort die Schließungsabsichten aufzugeben und den Widerruf der Betriebsgenehmigung aufzuheben. Tempelhof muß Verkehrsflughafen bleiben!"  Es waren aber schließlich nur 21,7 Prozent.. Die Bürger haben den Etikettenschwindel gemerkt.

In meinen Augen liegen sich in Sachen Flughäfen in und um Berlin politische und wirtschaftliche Interessengruppen in den Haaren. Es geht um die Teilnahme an Steuergeld-Subventionen und Steuergeld-Investitionen, parteipolitische Positionsbestimmungen persönlichster Art und um Machtpolitik im kleinkarierten Berlin-Brandenburger Polit-Sumpf. Der Charakter aller Beteiligten scheint dafür, wie maßgeschneidert.

Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Ich bin gegen das „Offenhalten des Flughafens Berlin-Tempelhof“, aus ganz anderen Gründen als Herr Wowereit & Co. Flugverkehr in der bisherigen Form hat nach meiner Auffassung keine Zukunft. Der Flugverkehr ist Ressourcen-Verschwendung. Der Treibstoff, überwiegend das Kerosin, wird in den nächsten zwanzig bis dreißig Jahren entweder völlig ausgehen  und/oder sehr teuer werden. Nicht nur der Flughafen Tempelhof ist sinnlos geworden.

Die Milliarden-Investition aus Steuergeldern in Schönefeld wird sich auch nicht lohnen. Deshalb hat es auch keine privaten Investoren gegeben. Die Steuergeldmilliarden wären besser in einen Ausbau und eine Modernisierung des Eisenbahn-Schienennetzes und des Bahn-Wagenparks in Deutschland und in Europa und in den Ausbau des Service geflossen.  Das wären Zukunfts-Investitionen. Die alten Bahntrassen sind fast alle noch vorhanden.
Den parteipolitischen und antidemokratischen Heuchlern muß auch deutlich gesagt werden, daß in Schönefeld für den Verkehrsflughafen Berlin-Brandenburg International (BBI) fruchtbares Ackerland zubetoniert wird (-schon worden ist).

Über China, Tibet und die Olympiade habe ich in dieser Ausgabe einige Informationen geliefert  und Betrachtungen angestellt. Vermutlich werden uns alle drei Themen in den nächsten Wochen (und Monaten) beschäftigen. Angesichts des neuen Medien-Großthemas, dem Hunger auf unserer Erde, darf ich nur daran erinnern, daß ausgerechnet der chinesische Bauer nicht nur hungert, sondern ein extrem niedriges Einkommen, auch für stadt-chinesische Verhältnisse, hat. Da hat die volksrepublikanische Staats- und Parteiführung und die chinesische Stadtbevölkerung schon lange und gründlich „ihr Gesicht verloren“ (sich „bis auf die Knochen blamiert“). Die chinesische Revolution unter Maotsetung war eine Bauern-Revolution und keine Revolution des Industrieproletariats der Städte und wenigen Industriezentren. Bauern dieser Erde - vereinigt Euch und bietet der Manipulation der Natur eure Stirn. Auch das wird ein Thema im Kommentar- und Informationsbrief der nächsten Monate sein.

In der Ausgabe November/Dezenber 2007 und im Januar 2008 hatte ich mich mit der Deutschen Bahn sehr eingehend beschäftigt. Sie können die Texte unter www.neuepolitik.com nachlesen. Dabei ist auch Mehdorns Geschäftspolitik nicht sehr gut  weggekommen. Inzwischen hat der „Kuhhandel“ innerhalb der SPD und mit der CDU/CSU innerhalb der Koalition ein insofern merkwürdiges Ergebnis gezeitigt, als daß 24,9 % des Fahrbetriebes „privatisiert“ werden sollen. Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Deutschen Bundestag,  hat prompt diesen Prozentsatz als Einstieg in eine weitergehende Privatisierung bezeichnet. Wolfgang Tiefensee, SPD, seit 2005 Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer im Kabinett Merkel, begann Ende April, die noch lange nicht eingenommenen angeblichen 6-8 Milliarden Euro aus der 24,9 %-Teilprivatisierung öffentlich aufzuteilen. Prompt fiel ihm die Mehdorn-Phalanx in die Arme: nur Mehdorn hätte zu entscheiden, wie das Geld verwendet wird. Um sich weltweit als „Global-Player“ zu präsentieren, seien umfangreiche Auslandsinvestitionen notwendig. Also, der Eigentümer der Deutschen Bahn, der Bürger dieses Staates, wird von dem Verkauf seines Eigentums überhaupt nichts haben, keine Modernisierung des Streckennetzes, keine Modernisierung des Wagenparks. Die politische Klasse, verbandelt mit der Wirtschafts-Oligarchie, wird es zulassen, daß das Eigentum des Volkes veruntreut wird.

Wie Beck die Kurve kriegt lautet eine Überschrift zu dem Thema in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom 15. April. Hauptsache, er wird nicht „aus der Kurve getragen“. Wenn das Argument stimmt, daß die Bahn Investitionsbedarf hat, obwohl sie ja  seit Jahr und Tag z.B. jährlich 200-300 Millionen aus dem Bundeshaushalt für die Modernisierung des Schienennetzes erhält (ohne Nachkontrolle), dann frage ich mich, warum es nicht eine „Bundesanleihe Bahnmodernisierung“ gibt, für „Otto Normalverbraucher“, mit einer marktüblichen Verzinsung und dem Schmankerl einer kostenlosen Bahncard (ab einer festzulegenden Zeichnungssumme) für eine preiswerte Nutzung der Deutschen Bahn, solange der Bürger das Papier hält. Sozialdemokraten kommen auf keinen Fall auf eine solche soziale Lösung des Problems, noch nicht einmal als Diskussionsgrundlage! Sie sind neoliberaler geworden als die CDU/CSU.

Und sie sind postengeil: Norbert Hansen (SPD), der bisherige Chef der Gewerkschaft Transnet wechselt auf „die andere Seite“ und wird Arbeitsdirektor bei einer der Bahngesellschaften. Ein „SPD-Geschmäckle“ besonderer Art.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

(abgeschlossen am  22. Mai 2008)

 
     
  Diesen Artikel als PDF-Datei herunterladen Download  
     
  Alle Artikel liegen als PDF - Datei zum herunterladen vor. Um PDF - Dateien zu lesen, benötigen Sie den "Acrobat Reader". Falls das Programm nicht auf Ihrem PC installiert ist, können Sie es sich hier kostenfrei herunterladen. Hompage_Acrobat