Dieter Kersten - Februar 1995    
Theater: Mann "Hauptmanns Biberpelz"  
     
  Zu einem der zahlreichen Theater in Berlin gehören die Kammerspiele in Berlin-Mitte, im (fast) gleichen baulichen Ensemble gelegen wie das Deutsche Theater. Es gehört zum Deutschen Theater und der gemeinsame Intendant ist Thomas Langhoff, der Sohn von Wolfgang Langhoff, der von 1946 bis 1963 ebenfalls die beiden Theater leitete. Die Kammerspiele liegen in der Stadterweiterung von 1830, in der Friedrich-Wilhelm-Stadt, jenseits der Spree sozusagen, zwischen dem alten Oranienburger Tor und dem Spreebogen. In dem Stadtplan von C.L. v. Oesfeld aus dem Jahre 1789 ist die Charité, das älteste Universitätskrankenhaus in Berlin, schon verzeichnet. Im Schatten dieses riesigen Krankenhauskomplexes befindet sich das Theater Kammerspiele. Es ist 1848 als Konzertsaal entstanden, diente dann als Ballokal "Emberg-Säle" und wurde 1906 das Theater Kammerspiele.
In diesem Theater habe ich am 25. Januar 1995 Hauptmanns Biberpelz, Untertitel: Eine Diebeskomödie gesehen. Ich weiü nicht, liebe Leserin, lieber Leser, wie es Ihnen ergeht: ich habe das Textbuch vorher gelesen und so bei mir gedacht - was soll das eigentlich ... da stiehlt eine Frau Wolff vorsätzlich Holz und einen Biberpelz und führt die ermittelnde Behörde an der Nase herum und wird, was ein so braver Bürger, wie ich es nun einmal bin, völlig empört, noch nicht einmal bestraft. Hinzu kommt der schwer lesbare Dialekt, ein schlesisch-berlinerisches Kauderwelsch, für Auswärtige noch schwerer zu verstehen als für einen gebürtigen Berliner, wie ich es bin. Die Sätze aus dem Nachwort von Hubert Razinger in dem Textbuch aus dem Ullstein-Verlag haben mich auch nicht gerade begeistert: Hauptmann sah tiefer als manche Kritiker, worum es in der Komödie geht: daü in ihrem Erlebens- wie Werdens- und Wesensgrunde Leid überwunden wird und die hohe Komödie so gleichsam eine überwundene Tragödie ist. Gemeint ist jene echte Komödie, deren Ernst mit Frohsinn, deren Frohsinn mit Ernst sich gattet, deren Tiefsinn den Leichtsinn ruft; sie ist ein Ausdruck der geistigen oder seelisch-biologischen Kraft, mit der es dem Menschen gelingt, sich über das Leben zu erheben. Man muü eben Hubert Razinger heiüen, um so einen sprachlichen Unsinn mit Leichtsinn hintersinnig in einem Nachwort zu einer Komödie unterzu- bringen.
Viel besser als der gelesene Text, noch viel besser als all die klugen Worte kluger Interpreten ist das aufgeführte Theaterstück. Ich kann`s nur jedem empfehlen. Alle Schauspielerinnen und Schauspieler haben sehr gut gespielt. Es war eine Augen- und Ohrenweide, das Stück zu sehen und zu hören. Und wie es so ist, dem braven Bürger Kersten störte dann nicht mehr, daü die Mutter Wolffen ohne Strafe davon kam. Den Spott hatten die Obrigkeit und ihre Gehilfen. Und weil die Mimen so gut waren, will ich sie auch alle nennen. Es spielten unter der Regie des Intendanten: Dieter Mann, Kurt Böwe, Axel Wandtke, Benjamin Unger/Maximilian Buttenberg (für das Kind sind zwei Namen genannt), Bernd Stempel, Barbara Schnitzler, Jutta Wachowiak, Horst Lebinsky, Cathlen Gawlich, Stefanie Stappenbeck, Michael Walke, Klaus Piontek, Reimar Joh.. Baur.
Als Hauptmann das Stück 1893 der preuüisch-berliner Zensur einreichte, schrieb diese: Kleinmalerei ohne alle Handlung von Belang, welche in solcher Ausdehnung nur langweilt...Daü das öde Machwerk mehrere Aufführungen erleben dürfte, steht kaum zu erwarten. Eine anstöüige Stelle ist gestrichen. Es handelt sich dabei um einen Satz, der im 3. Akt von der jüngsten Tochter der Mutter Wolffen, der Adelheid, gesprochen wird: Jesus sprach zu seinen Jüngern, wer keen Löffel hat, iüt mit den Fingern. In dem Programmheft schreibt dazu Eva Malch: Die preuüische Polizeibehörde, zu deren Aufgaben es auch gehörte, Beamte ins Theater zu schicken, damit sie die Einhaltung der Zensurverbote kontrollierten, erwies sich also in ihrem politisch motivierten bürokratisch bevormundenden Umgang mit Hauptmanns Werken als der Kritik durchaus würdig, die der Autor in seinem Biberpelz an ihren Vertretern "irgendwo um Berlin" übte.
Ach so, ja, Ort des Geschehens: irgendwo um Berlin; Zeit: Septennatskampf gegen Ende der achtziger Jahre. Der Inhalt des Stückes geht auf persönliche Erlebnisse Hauptmanns im Berliner Vorort Erkner zurück. Was der Septennatskampf ist? Ich muüte im Lexikon nachsehen: ein Zeitraum von sieben Jahren, bes. im Dt. Reich von 1871 die vom Reichstag wiederholt (1874, 1880, 1887) auf Antrag Bismarcks mit Unterstützung der Kartellpolitik beschlossene siebenjährige Geltungsdauer des Militäretats und der Friedenspräsenzstärke des Heeres. Das wiederum hatte was mit der Bismarckschen Sozialistengesetzgebung zu tun, aber da sehen Sie bitte selber nach.
 
     
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