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Meine Eltern besaüen
eine Schellack - Schallplatte aus der Vorkriegszeit, die in meiner Kinder-
/Jugendzeit des öfteren gespielt wurde, ja, die ich selber gelegentlich
auflegte, weil mir die Musik gewaltig und schön erschien. Es war
DIE MACHT DES SCHICKSALS (ital. Originaltitel LA FORZA DEL DESTINO) von
Guiseppe Verdi. Die Schallplatte muü noch existieren und liegt neben
vielen anderen Dingen auf dem Dachboden. Leider fehlt mir die Zeit, nachzusehen,
wer dirigiert und gesungen hat. Es hat immerhin ca. 45 Jahre gedauert,
daü ich die Oper in der DEUTSCHEN OPER BERLIN am 2. Juni 1995 sah
und hörte
Ich habe Grund genug, an dieser Stelle tief Atem zu holen, um noch einmal
hervorzuheben, daü ich kein Fachmann in Sachen Oper und Theater
bin. Was ich hier niederschreibe, sind Betrachtungen eines Menschen, der
sich sehr für dieses Metier interessiert, aber - leider keine Zeit
hat, tiefer einzusteigen. Bevor ich in die Oper bzw. in das Theater gehe,
lese ich immer in den Opern - bzw. Theaterführern, die schon einige
Jahrzehnte alt sind. Ich stelle verstärkt fest, daü der Schwerpunkt
in den Inhaltsangaben nicht mit der Realität der aktuellen Aufführungen
übereinstimmen. Das gilt auch für DIE MACHT DES SCHICKSALS:
bekannt ist, daü Verdi ein italienischer Patriot war, daü
er in vielen seiner Werke die sozialen Zustände geiüelte -
aber - war er z.Bsp. ein Antimilitarist? Welche Rolle spielte die Kirche
bei Verdi?
Während ich die Zeilen schreibe, fällt mir ein, daü meine
Mutter in ihrer Bibliothek ein Textheft gehabt hat. Tatsächlich,
ein Reclam - Heftchen aus dem Jahre 1951 ist vorhanden. Und deutlicher,
als in den anderen Publikationen lese ich, daü bei der Welt-Uraufführung
am 10. November 1862 in St. Petersburg der Zar für die Chöre
die Sängerkapellen seiner Garderegimenter zur Verfügung gestellt
hatte, was sicher nicht geschehen wäre, wenn sichtbar eine antimilitaristische
Färbung vorhanden gewesen wäre.
Andererseits - in der Brockhaus - Enzyklopädie von 1961 steht u.a.
über die Persönlichkeit von G. Verdi: Rustikale Herrschaftlichkeit,
realistische Skepsis, ausgeprägter Gerechtigkeitssinn kennzeichneten
seinen Charakter. Selbst von strenger Lebensführung, war er gewinnend
gütig und uneigennützig wohltätig, dabei frei von sentimentalem
Mitleid.
Die Aufführung, die ich sah, war die 27. seit der Premiere am 2.
Oktober 1982. Es ist eine Inszenierung von Hans Neuenfels. Das 1. Bild
- in diesem Fall identisch mit dem 1. Aufzug alter Lesart - spielt merkwürdig
verfremdet auf einer Guckkastenbühne und unterscheidet sich damit
entschieden von der weiteren Aufführung, die den ganzen Bühnenraum
ausnutzt. Krieg und Kirche werden weitgehend parodistisch dargestellt
und es wird der Eindruck erweckt, daü Verdi antimilitaristisch und
antiklerikal war. Die musikalische Leitung hatte Niksa Bareza. Musik und
Stimmen waren hervorragend. Die Oper war nicht ausverkauft; etwa ein Viertel
der Sitze blieben leer. Das Programmheft ist, was Informationen betrifft,
mehr als dürftig. So muü ich auch dem Reclam - Heftchen entnehmen:
Die deutsche Uraufführung fand am 12. Oktober 1878 in Berlin im Kroll'schen
Theater statt. Und nun wieder die Neuzeit: Dieses Theater gibt es nicht
mehr. Es stand bis zu seiner Zerstörung im 2. Weltkrieg etwa dort,
wo jetzt das Haus der Kulturen der Welt steht, welches als Kongreühalle
erbaut worden ist und von den Berlinern als "Schwangere Auster"
genannt wird.
+ + +
Am 8. Juni 1995 habe ich in KAMMERSPIELE Molières Komödie
TARTÜFFE gesehen. Abgesehen mal von dem Unterschied zwischen Musiktheater
und Sprechtheater: Verdi ist ein Kind des 19. Jahrhunderts und uns noch
sehr nahe; Molière ist ein Kind des 17. Jahrhunderts. Die ersten
3 Akte wurden am 22. Mai 1664 in Versailles uraufgeführt, das komplette
Stück am 29. November 1664 im Schloü Raincy bei Paris. Das
Strickmuster - bigotter Betrüger bringt eine ehrbare bürgerliche
Familie in Schwierigkeiten - paüt nicht mehr in unsere Zeit. Und
deshalb ist es auch so, daü alle Tricks des Regisseurs Amselm Weber
nicht ausreichten, das Stück auch nur annähernd glaubhaft in
unsere Zeit zu bringen. Wenn man heutzutage ein solches Stück wieder
auf die Bretter bringen will, dann wäre es sicher besser, es so zu
spielen, wie es in den vergangenen Jahrhunderten gespielt worden ist.
Keiner der Schauspieler konnte seine Rolle glaubhaft spielen. Mir ist
auch unverständlich, weshalb die Schauspieler so schreien muüten.
Dabei sind es gute Schauspieler, die hier für eine schlechte Idee
miübraucht wurden. Der Zuschauerraum war auch nur zu einem Drittel
besetzt. Das Programm - Heft gibt über das Stück selbst und
seinen Dichter gar keine Informationen, bringt jedoch einiges zum Zeitgeist
des 17. Jahrhunderts. Ein sehr interessanter Text von Voltaire fiel dabei
leider der Gestaltung des Heftes zum Opfer: die Schrift ist so klein,
daü ich nur mühsam den Text entziffern konnte. Das ist absoluter
Humbug.
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