Dieter Kersten - Juli 1995    
Oper: von Flotow "Martha oder Der Markt zu Richmond"
Kunstaktion: Reichstags - Verhüllung
Kabarett: "Seid umschlungen Milliarden"
Oper: Verdi "La Traviata"
 
     
 

"Martha oder Der Markt zu Richmond" ist eine romantische Oper von Friedrich von Flotow, eine sehr romantische Oper, fast schon zu romantisch. Deshalb hat Winfried Bauernfeind, der die Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin (Charlottenburger Oper) besorgte, versucht, das Libretto von Friedrich Wilhelm Riese zu modernisieren, etwas, was auch wieder mal fast in's Auge ging. Die Oper bietet einige musikalische Ohrwürmer, die auch mich erfreut haben. Wenn das aber der einzige Grund ist, eine alte, vom Sujet her, verstaubte Oper auf die moderne Bühne bringen, dann ist das Unsinn. Was man natürlich auch heute noch machen kann: eine solche Oper so zu bringen, wie sie in ihrer Zeit gedacht war. Im Programmheft wird eine Rezension aus dem Jahre 1932 von W. Fiedler in der DEUTSCHEN ALLGEMEINEN ZEITUNG nachgedruckt, die die Überschrift trug Die entstaubte "Martha". Es scheint also ein altes Problem mit dem Staub zu sein.
Ich habe die Vorstellung am 16. Juni 1995 gesehen. Es war die 9. Aufführung seit der Premiere am 11. März 1995. Das Programmheft will suggerieren, daü es sich um eine sozialkritische Oper handelt. Ich habe den Eindruck, daü das an den Haaren herbeigezogen ist. Trotzdem sind die Texte interessant.
Flotow ist ein mecklemburger Junker gewesen, ein Gutsbesitzer, der von 1812 bis 1883 gelebt hat. "Martha" ist 1847 in Wien uraufgeführt worden. Caruso hat sich später für die Oper eingesetzt und sie international berühmt gemacht.

+ + +

Wenn Sie diesen Text lesen, dann ist die Reichstags - Verhüllung durch das Ehepaar Christo und der Rummel darum beendet. Mich hat diese Aktion schon im Vorfeld kalt gelassen. Solange dem Steuerzahler durch eine solche private Aktion keine Kosten entstehen - na bitte - wenn's unbedingt sein muü ...... Ich gehöre auch zu den 12 Millionen Menschen, die sich die Verhüllung angesehen haben. Ich kann durchaus ein Mensch sein, der sich sowohl positiv wie negativ überschwenglich äuüert. Hier hatte mich die Gleichgültigkeit gepackt. Die Frage. ob die Christo-Verhüllung Kunst ist oder nicht, habe ich mir und anderen gestellt. Die Äuüerungen, die ich eingefangen habe, waren durchaus vielschichtig bzw. vieldeutig. Es ist, und darauf sollten wir uns einigen, "Aktion - Kunst", ähnlich der "Aktions - Kunst" des verstorbenen Künstlers Beuys. Von kultureller Bedeutung ist die Reichtagsverhüllung schon. Sie gewinnt diese Bedeutung aus der Reaktion auf Menschen, die den Reichstag zum nationalen Symbol stilisieren wollen. Es erscheint mir schon wichtig, den Menschen durch die Verhüllung zu zeigen, daü nationale Symbole dieser Art ganz augenfällig verschwinden können, wenn sie nicht durch Leben, durch Inhalte, gefüllt werden. Das Gebäude DER REICHSTAG hat ja nie den demokratischen oder auch nationalen Inhalt gehabt, der da hineingeheimst wird. Das Gebäude DER REICHSTAG wird auch nicht inhaltsschwerer werden, wenn der Bundestag dort einzieht, auch wenn die unheimlich kluge Frau Süssmuth meinte sagen zu müssen, daü das Gebäude DER REICHSTAG nun DER BUNDESTAG heiüen müsse. Ich hoffe, daü die Berliner sich diese Bezeichnung erst angewöhnen, wenn demokratische Kultur in die Institution Bundestag eingezogen ist.

+ + +

Bevor sich mir Christos Verhüllung ansah, war ich im Kabarett DIE STACHELSCHWEINE im Europa - Center an der Kaiser - Wilhelm - Gedächtniskirche. Thema: Seid umschlungen Milliarden. DIE STACHELSCHWEINE sind 40 Jahre alt und das merkt man ihnen an. Hinzu kam, daü Wolfgang Gruner, die unverwechselbar berliner Kodderschnauze, zur Kur war und ersetzt wurde durch Uwe Paulsen Es ist unmöglich, Gruner zu imitieren; Text hin, Text her, es wäre besser gewesen, Herr Paulsen hätte seinen eigenen Stil auf die Bühne gebracht, soweit er einen hat. Natürlich gab es viele Passagen zum Lachen, weil ja auch andere Mitwirkende sich unverwechselbar spielten, aber es ist doch auffällig, daü diesem Kabarett die Reibungsflächen fehlen.

+ + +

Am 6. Juli 1995 habe ich in der STAATSOPER, Unter den Linden, in Berlin - Mitte LA TRAVIATA, Libretto von Francesco Maria Piave, Musik von Guiseppe Verdi, gesehen und gehört. Die Inszenierung besorgte Klaus Dieter Kirst; es war die 59. Vorstellung seit der Premiere am 14. Februar 1995. Es war eine Aufführung mit vorzüglichen Sängerinnen und Sänger, überlegt und schwungvoll inszeniert. Gratulation auch den Bühnenbildnern und ebenso vorzüglich begleitet von einem guten Orchester.. Auch der Text des Programmheftes ist gut, so gut, daü ich mich bemühen werde, die Erlaubnis zum Abdruck des Haupttextes zu bekommen, der von Manfred Haedler verfaüt wurde. Leider muü ich aber ein Wehrmutstropfen in den süffigen Wein tun: die Zusatztexte von Verdi und seiner Zeitgenossen bzw. seiner Lebensgefährtin sind so dünn gedruckt, daü ich eine Lupe zum Lesen brauchte.
La Traviata - "die Verirrte" ist eine Gegenwartsoper gewesen. Alexander Dumas hat in seinem Roman DIE KARMELIENDAME eine wahre Begebenheit verarbeitet, in der er selbst sogar verwickelt war. Dieser Roman war die Grundlage für ein Theaterstück und dann wiederum die Grundlage für das Libretto für LA TRAVIATA. Die Oper wurde im März 1853 in Venedig uraufgeführt und war ein Miüerfolg. Nach den Berichten war der Miüerfolg auf die Besetzung der Rollen zurückzuführen, gegen die sich Verdi vergeblich gewehrt hatte.
Anschlieüend führte mich die Sommernacht auf den Gendarmenmarkt, diesem unverwechselbaren Gebäudeensemble in Berlin - Mitte. Auf diesem Platz fand ein Operrettenkonzert unter offenen Himmel statt, in einer unbeschreiblichen Atmosphäre. Ich muüte an die bürgerliche Revolution von 1848 denken, an die März - Gefallenen, die auf diesen Platz aufgebahrt waren und an E.T.A. Hoffmann, den leider viel zu wenig bekannten deutschen Schriftsteller, der im vorigen Jahrhundert in unserer Stadt lebte und der ein damals bekanntes Weinlokal an diesem Platz gerne besuchte. Empfehlen kann ich nach solchen gelungenen Abenden das Wein - Restaurant in Turm des Französischen Domes. Ein guter Cotes du Rhone Rosé beendete den Abend.

 
     
  Diesen Artikel als PDF-Datei herunterladen Download  
     
  Alle Artikel liegen als PDF - Datei zum herunterladen vor. Um PDF - Dateien zu lesen, benötigen Sie den "Acrobat Reader". Falls das Programm nicht auf Ihrem PC installiert ist, können Sie es sich hier kostenfrei herunterladen. Hompage_Acrobat