Dieter Kersten - März / April 1997    
Theater: Camu "Caligula"
Oper: Tschaikowsky "Eugen Onegin"
 
     
 

Was bedeutet das Wort absurd. Wir benutzen es zwar sehr oft, aber kennen wir den Inhalt? Im Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache von Kluge aus dem Jahr 1995 steht folgendes: absurd widersinnig (< 17. Jh.) entlehnt aus dem Lateinischen absurdas (eigentlich 'miütönend') , das zu einem lautmalerischen Lateinischen susurrus "Zischen" gestellt wird. Früher vor allem üblich in der Sprache von Philosophie und Logik (vgl. ad absurdum führen), Abstraktum: Absurdität.
Am 11. Februar 1997 sah ich im DEUTSCHEN THEATER in Berlin - Mitte Caligula, ein absurdes Theaterstück von Albert Camus, deutsch von Uli Aumüller, Fassung des Deutschen Theaters Berlin. Die Lexika melden übereinstimmend, daü Caligula ein grausamer römischer Kaiser war, der zwischen 37 und 41 unserer Zeitrechnung widersinnig herrschte, weil er seine späte Grausamkeit mit anfänglichen sozialen Handlungen gegenüber dem Volk verband. Camus war 25 Jahre alt, als er das Stück 1938 schrieb; die Indianer auf dem Kontinent Amerika waren fast alle getötet, der Höhepunkt des stalinistischen Menschenmordens war bereits überschritten, das des hitlerischen Menschenmordens kam noch. Es ist der Machtmiübrauch, der im Mittelpunkt des Dramas steht und das absurde Handeln von Herrschern und seinen Gehilfen. Kostüme und Bühnenbild deckten folgerichtig 2000 Jahre ab.
In der Brockhaus-Enzyklopädie von 1967- 1972 steht u.a. über Camus: Das Absurde ist für Camus Ausgangspunkt. Er stellt zunächst die Unerträglichkeit der Welt dar, empfindet die Notwendigkeit einer Revolte, die ursprünglich gegen die Daseins-Absurdität an sich, dann auch gegen Despotismus, gegen alle Form von Gewaltanwendung (Todesstrafe) gerichtet ist, und sieht eine dritte Etappe, die er im Zeichen der menschlichen Solidarität aufgefaüt wissen möchte.
Es war an einem Dienstag, als ich das Stück sah. Die Plätze im Zuschauerraum waren zu höchstens einem Drittel besetzt. Die schauspielerischen und technischen Leistungen waren vorzüglich. Leider finde ich keinen anderen Ausdruck: ich selber fühlte mich wie "erschlagen", schon in der Pause, aber mehr noch am Schluü des Stückes. Caligula von Camus ist eine schwere Kost.
Die Premiere der Inszenierung im Deutschen Theater fand am 10. November 1996 statt. Albert Camus wurde am 7. November 1913 in Mondovi (Algerien) geboren und starb bei einem Autounfall am 4. Januar 1960 in Frankreich. Er erhielt 1957 den Nobelpreis für Literatur.

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Ausschnitt aus Tatjanas Brief

Wenn ich den Armen Brot bescherte,
Und wenn ich im Gebet begehrte,
Daü meine Seele fände Ruh?
Und warst grad eben hier im Zimmer
Nicht Du das liebe Bild, der Schimmer,
Der, aus dem Dunkel aufgetaucht,
Zu meinem Kissen sanft sich neigte?
Warst Du's nicht, der mir Trost erzeigte
Und Lieb' und Hoffnung zugehaucht?
Wer bist Du? Engel, der mich hütet?
Versucher, der Verderben brütet?
Mach mich von meinem Zweifel frei.
Vielleicht ist gar nichts dran an allem,
Ist's nur naive Schwärmerei,
Und anders ist das Los gefallen?
Wie dem auch sei! Mein Schicksal will
Ich Dir ab heute anvertrauen;
Vor Dir vergieü ich Tränen still,
Laü mich auf Deinen Schutz nur bauen ...
Bedenke: hier bin ich allein,
Kein Mensch ist da, der mich verstünde,
Mein Geist verwelkt und muü in Schweigen sterben!
Ich harre Dein: mit einem Blicke
Laü Hoffnung neu ins Herz mir ziehn,
Wenn aber Vorwurf ich verdien,
Reiü meinen schweren Traum in Stücke!

Ich muüte meine momentane, spontane Unwissenheit eingestehen: in der Pause entfuhr es mir - Tschaikowsky muü ein Komponist dieses Jahrhunderts gewesen sein. Die Musik unterscheidet sich zu sehr von Wagner und Verdi. Ein Blick in das Programmheft belehrte mich: Peter I. Tschaikowsky ist ein Sohn das 19. Jahrhunderts gewesen; er lebte von 1842- 1893. Über ihn steht im Programmheft: Peter I. Tschaikowsky ist der erste akademisch ausgebildete russische Komponist. Anders als die meisten Vorgänger und Zeitgenossen in seiner Heimat, betrieb er die Musik nicht aus Liebhaberei, sondern hauptberuflich. Er schrieb Werke für alle Gattungen, doch 12 Opern und drei Ballette zeugen von einer besonderen Affinität zur Bühne. Neben Eugen Onegin und Pique Dame, die neben den sechs Sinfonien seine meistgespielten Werke darstellen, verdienen vor allen die Opern Der Opritschnik (1874), Die Jungfrau von Orleans (1881, nach Schiller) und Mazeppa (1884, noch einmal nach Puschkin) Beachtung. Die Umstände seines Todes (er starb an Cholera, nachdem er nicht abgekochtes Wasser aus der versuchten Newa getrunken hatte), sind trotz zahlreicher mehr oder weniger schlüssig erscheinender Theorien bis heute nicht eindeutig geklärt.
Ich sah und hörte am Freitag, den 21. Februar 1997 in der Deutschen Oper in Berlin - Charlottenburg Eugen Onegin, in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln, als 8. Aufführung seit der Premiere am 28. September 1996, in der Inszenierung des Hausherrn Götz Friedrich, unter der musikalischen Leitung von Dmitrij Kitajenko. Der Text ist von Alexander S. Puschkin übernommen, jedoch von Peter I. Tschaikowsky bearbeitet. Der Untertitel lautet: Lyrische Szenen in 7 Bildern. Es ist ein typisch russisches Thema: die heile Welt des "russischen" 19. Jahrhunderts, die Welt des Adels und des zahlenmäüig geringen aufstrebenden russischen Bürgertums, gesehen mit den phantasievollen Augen russischer Schriftsteller und Komponisten: In diesem Eugen Onegin fehlen die gesellschaftspolitischen Bezüge völlig, sieht man davon ab, daü das Wort Ehre und das blutige Duell um diesen Begriff in seiner Darstellung Gesellschaftskritik sein kann. Puschkin selbst ist ja in einem Duell um die Ehre im Alter von 38 Jahren ums Leben gekommen. Es gab, nicht nur in Ruüland, im vorigen Jahrhundert eine merkwürdige Todessehnsucht. Auch der Todestrunk Tschaikowskys im Alter von 51 Jahren aus der verseuchten Newa hat vermutlich etwas mit der Todessehnsucht zu tun.
Eugen Onegin ist 1877 komponiert und 1879 in Moskau uraufgeführt worden. Was ich selbst empfunden habe und was ich dann später nachlas, daü ist die Zwölftonalität des Stückes. Ich kann mich mit dieser Musikform nicht anfreunden. Entschädigt wird man durch die zahlreichen musik - lyrischen Szenen. Wie Sie aus dem Textauschnitt ersehen, ist die sprachliche Inhalt ansich lyrisch, aber es wird in russisch gesungen und ich kann kein Russisch.
Es ist eine Oper, welche das gesamte Ensemble fordert: Sängerinnen und Sänger, das Ballett, den Chor, die Statisten und natürlich das vorzügliche Orchester. Das knappe, aber vorzügliche Bühnenbild und die Kostüme schuf Andreas Reinhardt. Die Vorstellung war gut besucht; es blieb kein Platz leer.

 
     
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