Dieter Kersten - Januar 1998    
Kabarett: "Das haben wir nicht verdient"  
     
  Zu DDR - Zeiten war das Kabarett DIE DISTEL eine ständig ausverkaufte, höchst intelligente Institution, die theatralische Kontrapunkte in einer zutiefst kleinbürgerlichen Gesellschaft lieferte. Themen waren damals leichter zu finden als heute, aber was noch wichtiger war, die Themen konnten besser in Sprache umgesetzt werden. Sicher, da gab es die Zensur, aber gerade diese Zensur zwang Texteschreiber und Interpreten zu einer sehr feinfühligen Umsetzung, deren knisternde Inhalte das Publikum wenigstens für 90 Minuten zu - fast - Weltbürgern machte.
Aber heute? Ich war eingeladen, am 18. Oktober 1997 eine Vorstellung des altberühmten Kabaretts zu besuchen. Titel des etwa einen Monat alten Programms: Das haben wir nicht verdient. Es fing an mit dem Geld und der Wirtschaft, es wurde, hoppla, einiges kritisches über den Warencharakter des Geldes gesagt und dann ...... Es sickerte und sickerte in eine ganz plumpe antipolnische Anmache über, die, ja vielleicht, typisch deutsch oder typische DDR - deutsch ist und dann ..... lange Zeit Geplänkel .... und zum Schluü einiges über die Bonner in Berlin mit einigen guten Pointen, ganz weniges zum Ablachen. Das war`s. Dabei lieü sich die Geschichte mit dem Geld gut an und ich spaüte zu meinen Gastgebern, daü wir uns doch anbieten könnten, das Thema weiterzuführen, Schreiber und Interpreten zu beraten.
In dem Stadtführer Berlin, 4. Auflage 1988 im VEB - Tourist - Verlag steht über Die Distel: Das politisch - satirische Kabarett spieüt in seinen Programmen mit Witz und Humor den Fortschritt hemmende Erscheinungen, Denk - und Verhaltensweisen auf. Eine typisch DDR - sozialistische Formulierung.
Freundlicherweise schickte mir die DISTEL auf meine Bitte am 30. Oktober 1997 ihre Geschichte. Ich habe mich darüber sehr gefreut, denn es ist leider nicht üblich, immer eine Antwort auf solche Bitten zu bekommen. Ich gebe den Text so wieder, wie ich ihn bekommen habe: "Hurra, Humor ist eingeplant" - mit diesem Programm begann die Distel "auf Wunsch breitester Bevölkerungskreise" durch Magistratsbeschluü am 2. Oktober 1953 zu blühen. Mit ihrer Gründung sollte im Osten Berlins ein politisches Gegengewicht zu INSULANER´n und STACHELSCHWEINEN in West-Berlin geschaffen werden. Ihr Gründer und Direktor Erich Brehm aber zielte auf´s "Janze" und so wurde die DISTEL bald zu einer bekannten und beliebten gesamtberliner Adresse. Mehrmals wollten sich die Regierenden der DDR dieses kritische Kabarett nicht mehr bieten lassen. Direktoren wurden neu berufen und muüten gehen. 1965 drohte Walter Ulbricht auf dem bekannten 11. Plenum : "... sie brauchen sich nicht zu wundern, wenn eines Tages ein Gewitter niedergeht über die betreffenden (...) sie dürfen doch nicht denken, daü wir uns weiter als Partei- und Arbeiterfunktionäre von jedem beliebigen Schreiber anspucken lassen. In Moskau gibt's ja auch kein Kabarett." - Die Beliebtheit beim Publikum, die Kompromiübereitschaft der Direktoren, Autoren und des Ensembles bewahrte die DISTEL immer wieder vor dem Aus.
1976 wurde eine 2. Spielstätte eröffnet und das Ensemble wesentlich vergröüert (63 Mitarbeiter). Dadurch wurden Bestrebungen, ein zweites Berufskabarett zu gründen, abgewürgt. Szenen, die das Publikum nie erlebte, füllen ganze Aktenordner. 1988 durfte ein ganzes Programm "Keine Mündigkeit vorschützen" nicht zur Aufführung kommen. Das nächste Programm konnte nicht mehr verboten werden und die DISTEL ging "Mit dem Kopf durch die Wende". Am 01.08.1991 wurde die DISTEL in eine private GmbH überführt und arbeitet seitdem mit 20 Mitarbeitern ohne staatliche Subventionen.
Frau Dr. Gisela Oechselhaeuser wurde 1990 zur Intendantin berufen. Sie löste Otto Stack ab, der 22 Jahre als dienstältester Kabarettdirektor in den Ruhestand ging.
Drei Programme stehen immer auf dem Spielplan und jährlich gibt es mindestens eine Neuinszenierung.
Als Stachel am Regierungssitz geht die DISTEL nun wieder aufs janze Berlin und geht auf Tournee durch's janze Deutschland mit politischer Satire - aktuell, Interessant und unterhaltsam.

 
     
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