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In der Wochenzeitschrift
FREITAG vom 2. Oktober las ich den Bericht von Stefan Dornuf Kunstbausteine
über den Hegel-Kongreü in Utrecht. Es ging auf diesem Kongreü
um Hegels Vorlesungen zur Ästhetik, die posthum, in der Bearbeitung
seines Schülers Hotho, zunächst 1835 herauskamen und die in
der ersten vollständigen Ausgabe auüerhalb einer Edition gesammelter
Werke, nämlich derjenigen des Ost-Berliner Aufbau-Verlags 1955 (besorgt
von Friedrich Bassange, lektoriert von Wolfgang Harich, eingeleitet von
Georg Lukács), immerhin gut tausend Seiten umfassen.
Ich will keine Hegel-Diskussion einleiten, denn dazu bin ich nicht kompetent.
Ich fand nur den Hegel-Satz, mit dem der FREITAG - Beitrag eingeleitet
wurde, nämlich >> Weit entfernt davon, bloüer Schein
zu sein, ist den Erscheinungen der Kunst der gewöhnlichen Wirklichkeit
gegenüber die höhere Realität und das wahrhaftigere Dasein
zuzuschreiben << einen guten Beginn für die Beschreibung
eines Ballettabends am 1. Oktober in der STAATSOPER, Unter den Linden,
in Berlin - Mitte. Ich muü Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser,
noch mit einem kleinen Absatz aus dem Bericht von Stefan Dornuf bekannt
machen: ... Der Einwand, daü Hegels Ästhetik einen nach
wie vor unübertroffenen Maüstab darstelle, ist für die
Gegenwart durchaus passend, mochte aber auüer einem erfrischend
altmodischen Lukácsianer wie Guido Oldrini (Bologna) niemand so
schlankweg behaupten. Dieser rekapitulierte noch einmal Hegels Verdienst,
Kants gnoseologischen Subjektivismus (dem letztlich die sogenannte Rezeptionsästhetik
verpflichtet ist) zugunsten einer historisch-systemantischen Werk- ästhetik
überwunden zu haben, die eine doppelte Frontstellung beziehe: gegen
die Schlegelsche Romantik wie gegen den Winckelmannschen Neoklassizismus.
Wobei zu ergänzen wäre, daü die auf Autonomie pochenden
Kunstschaffenden es in ihrer überwältigenden Mehrzahl mit den
Erben der ersteren Strömung halten und Hegel selber als starren Neoklassizisten
abstempeln - eben weil sie der von Oldrini ironisch (?) apostrophierten
>> Weisheit des Volkes << miütrauen, derzufolge schön
sei, was gefällt. Ich habe die entsetzlich langen und so
wissenschaftlich klingenden Schachtelsätze nur zitiert, um Sie mit
dem letzten Halbsatz zu konfrontieren, der unverständlich wäre,
wenn ich das andere weggelassen hätte.
Die Weisheit des Volkes, der die höhere Realität und das
wahrhaftigere Dasein zuzuschreiben ist? Ich sah und hörte das
Ballett Welten und Gegenwelten in dem nur zu einem Drittel
gefüllten schönen Opernhaus. Es sind drei unterschiedliche musikalische
Themen, die in Tanz umgesetzt werden, jeweils durch eine Pause getrennt.
Mir hat das modernste, nämlich Labyrinth, Buch frei nach
André Gide, choreographiert von Mark Baldwin, mit der Musik von
Hans Werner Henze, am besten gefallen. Ich hatte in der November/Dezember
- Ausgabe 1996 schon einmal Henzes Musik gelobt. Damals war die Vorstellung
auch sehr schlecht besucht. Auch damals schrieb ich, daü, wenn man
Henzes Musik im Radio hört, nur das Abstellen hilft, weil, und das
ist meine Meinung, die Musik nur mit szenischer Darstellung zu ertragen
ist. Zu ertragen? Ich gehe noch weiter: sie, Henzes Musik, ist für
diese Ballettaufführung ein geeignetes Medium, das griechische Thema
Theseus, Ariadne und der Minotaurus dem Publikum zu vermitteln. Das Ballett
der Berliner Staatsoper tanzte mit einer atemberaubenden Präzision.
Vielleicht verstehen Sie jetzt, weshalb ich Hegel zitiert habe. Ballett
ist ja immer ein gekünstelter Tanz für die Obrigkeiten gewesen,
die sich damit von dem plebejischen Volkstanz distanzieren wollten. Der
Volkstanz ist, von Ausnahmen mal abgesehen, in dem üblen Dreieck
zweier Weltkriege, der Vertreibungen und des Fernsehens in das Abseits
gedrängt worden. Wo bleibt die erlösende Freude am Tanz, wenn
man schon nicht selber tanzt?
Der zweite Teil des Abends wurde von William Forsythe choreographiert
und hieü Steptext. Die Musik, Chaconne in d-Moll, stammt
von Johann Sebastian Bach. Abgesehen davon, daü Bachs Musik meiner
Ansicht nach verhunzt wurde, gefiel mir auch die Art und Weise des Tanzes
nicht. Ich kann mein negatives Gefühl leider nicht ausdrücken.
Der dritte Teil des Abends wurde von Peter Martins choreographiert und
hieü Fearful Symmetries. Die Musik stammt von John Adams.
Dieser Teil brachte durch das Tempo auch das Blut der Zuschauer in Wallung.
Farbenfroh und ohne jede Handlung wurde in unterschiedlichen Bildern getanzt,
ich möchte fast schreiben: Volkstanz auf hohem Niveau.
Zum Schluü bleibt dem Chronisten noch anzumerken, daü es die
3. Vorstellung seit der Premiere am 24. September 1998 war.
+ + +
Am 21. Oktober 1998, also mitten in der Woche, hörte ich ein Kammerkonzert
im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte. Es gibt in diesem
Groüen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt einen Kammermusiksaal (400
Plätze; sie waren an diesem Abend alle besetzt) im 3. Stock. Es spielte
das Deutsche Kammerorchester unter der Leitung von Burkhard Glaetzner.
Das Programm hatte die Überschrift Meisterhafte Stil - "Blüten"
und war ein musikalischer Ritt durch die Jahrhunderte. Wolfgang Amadeus
Mozarts Adagio und Fuge c-Moll KV 546 ist ja bekanntlich eine
seiner Auseinandersetzungen mit Bachs Kunst der Fuge. Von mir aus gehört,
war es fast das modernste Stück an diesem Abend. Es folgten Drei
Stücke im alten Stil von Henryk Mikolaj Górecki, einem
1933 bei Katowice geborener Komponisten, von dem ich das erste Mal etwas
gehört habe. Auch der Komponist des nächsten Stückes, Ottorino
Respighi, geboren 1879 in Bologna, gestorben 1936 in Rom, ist mir bis
zu diesem Konzert unbekannt gewesen. Seine Komposition Antiche Arie
e Danze - Suite Nr. 3 geht auf Lautentabulaturen italienischer und
französischer Meister aus dem 16. und 17. Jahrhundert zurück
und verarbeitet auüerdem ein Gitarrenwerk des Komponisten Lodovico
Roncalli aus dem Jahr 1692. Diese Suite hat vier Sätze und ist musikalisch
sehr farbig. Das kann ich durchaus auch von dem ersten Stück nach
der Pause schreiben, welches von Fritz Kreisler (geb. 1875 in Wien und
gest. 1962 in New York) stammt. Sein Konzert für Violine und
Orchester C-dur "Im Stil von Antonio Vivaldi" adaptiert
den "meisterhaften Stil" Vivaldis. Der Violinvirtuose Fritz
Kreisler hat lange verschwiegen, daü dieses Stück und andere
aus seiner Feder stammen, weil die Kritik gleichwertige Stücke mit
seinem Namen verriü. Der Violinvirtuose des Abends und 1. Geiger,
Knut Zimmermann, 36 Jahre alt, war leider nicht ganz so virtuos, wie es
sich ein Musikfreund vorstellen kann. Am bekanntesten mag den Leserinnen
und Lesern Edvard Grieg sein, der berühmte norwegische Komponist
der von 1843 bis 1907 lebte. Sein Stück "Aus Holbergs Zeit"
Suite für Streichorchester G-Dur op. 40 war mit seinen 5 Sätzen
der flotte Abschluü eines schönen Musikabends.
Zum Schluü muü ich noch etwas über den Gendarmenmarkt
und das Schauspielhaus schreiben. Das Schauspielhaus wird heute meistens
Konzerthaus genannt, weil fast nur Konzerte in dem schönen, auf Schinkel
zurückgehenden Bau stattfinden. Zusammen mit den Deutschen und dem
Französischen Dom ergibt es ein einmalig schönes Ensemble. Ich
zitiere aus dem Berlin-Stadtführer des VEB - Tourist - Verlages:
Der Mittelpunkt bildet das Schauspielhaus, eines der schönsten
Bauwerke, das Karl Friedrich Schinkel geschaffen hat (1818/21). Der Baumeister
stand vor der schwierigen Aufgabe, ein neues Theater an der Stelle des
1817 abgebrannten, von Langhans d. Ä. stammenden Nationaltheaters
zu errichten und dabei die Grundmauern und ionischen Säulen des Portikus
zu übernehmen. Wie bei anderen Bauten übertrug Schinkel auch
hier sinnvoll und schöpferisch die Formen griechischer Architektur
auf den Boden seiner Heimat - eine gelungene Synthese, die Theodor Fontane,
Schinkels Bauleistungen überhaupt im Blick, mit den Worten würdigte:
>> Berlin im Inneren trägt den Stempel Schinkels.<< Von
Christian Friedrich Tieck stammen die Reliefs der Giebelfelder und der
Musengestalten auf dem Dach, von Christian Daniel Rauch die Giebel des
Theatersaales, der Apoll mit dem Sonnenwagen. Das Schauspielhaus, im April
1945 stark zerstört, ist nach seinem 1984 abgeschlossenen Wiederaufbau
ein Zentrum der Pflege philharmonischer Musikkultur geworden. Es
wird dann noch berichtet, daü der groüe Konzertsaal zu Schinkels
Zeiten 600 Plätze hatte; nach der Rekonstruktion finden 1900 Besucher
Platz. Es ist aber, ich kann es bezeugen, bei der Neuerrichtung des Gebäudes
darauf geachtet worden, daü der klassizistische Stil Schinkels auch
beim Innenausbau originalgetreu wiedergegeben wird.
Es heiüt dann in dem Stadtführer weiter: Der Deutsche Dom
ist 1701/08 von Martin Grünberg für die reformierte lutherische
Gemeinde als barocker Saalbau errichtet worden. Auf seinen Stufen waren
am 18. März 1848 die Särge der auf den Barrikaden an der Friedrich-,
der Jäger- und der Breiten Straüe Gefallenen aufgebahrt, bevor
sie der Trauerzug zum Friedhof der Märzgefallenen im Friedrichshain
geleitete.... Auch der Deutsche Dom wurde 1945 nahezu völlig zerstört.
Über den Französischen Dom, ebenfalls Opfer des Krieges, lesen
wir u.a. folgendes: Für die Hugenotten-Gemeinde entstand 1701/05
nach Plänen von J.L. Cayrat und A. Quesnay die Französische
Friedrichstadtkirche, der heutige Französische Dom ..... Die Kuppeltürme
vor dem Französischen wie vor dem Deutschen Dom waren nach Entwürfen
von Karl v. Gontard 1780/85 den Bauwerken angefügt worden. In
der Kuppel des Französischen Domes befindet sich ein Restaurant,
welches ich schon zweimal unbedient verlassen habe. Aus diesem Restaurant
lieüe sich ein attraktiver Treffpunkt von Konzertbesuchern und Theatergängern
machen, wenn die Bewirtschaftung freundlich und interessiert wäre.
Als Literatur über den Gendarmenmarkt ist mir das Buch Die Groüen
vom Gendarmenmarkt - Biographie eines Platzes von Peter Auer empfohlen
worden. Ich biete dieses Buch in der Bestelliste an.
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