Dieter Kersten - Juni 2000    
Oper: Verdi "Aida"
Theater: McNally "Die Lissabonner Traviata"
Oper: Mozart "Die Hochzeit des Figaro"
 
     
 

Wie kein anderer Komponist ist Giuseppe Verdi (1813 - 1901) ein Tondichter der Freiheit gewesen. Freiheit bedeutet für Verdi die Freiheit Italiens von Fremdherrschaft, aber auch Freiheit des Volkes im Stil der Französischen Revolution - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Verdis Opern dienten diesem Freiheitsstreben und der Emanzipation. Der Komponist hat dabei nicht nur italienische Themen verwendet. Verdi unterscheidet sich darin von Richard Wagner (1813 - 1883). Wagner hatte in seinen Hauptwerken, den Opern des Ringes der Nibelungen, nicht die Emanzipation Deutschlands und des deutschem Volkes von undefinierbaren geschichtlichen Wurzeln vor. Im Gegenteil, er verband seine Musikkultur mit der schon damals vorhandenen Deutschtümelei, ohne in der Lage zu sein, sie von den kulturellen und politischen Sumpfblüten zu befreien. Verdi ist im Vergleich zu Wagner bis heute frischer geblieben.
Am Mittwoch, den 9. Februar sah und hörte ich in der Staatsoper Berlin, Unter den Linden, Verdis Oper AIDA. Diese Oper war eine Auftragsarbeit, bestellt für die Suez - Kanal - Einweihung 1870 von Ismael Pascha, dem Vizekönig (Khedive) von Ägypten. Die Premiere fand erst ein Jahr später in Kairo statt.
In dem Stück geht es um die Liebe des ägyptischen Heerführers Radames zu der Sklavin Aida, die die Tochter des feindlichen äthiopischen Königs ist. "Patria" - das Vaterland, ist Thema des Chores der äthiopischen Gefangenen. Um das Vaterland geht es im Konflikt zwischen Vater und Tochter; in der Dramatik des Geschehens gewinnt die ganz persönliche Liebe von Radames und Aida erst, nachdem Radames zum Verräter an seinem Volk und Herrscher, den Ägyptern, geworden ist. Die Liebenden werden - Radames zur Strafe - lebendig begraben.
Die Inszenierung ist anfangs verwirrend. Sie beginnt nicht im Saal des Königspalastes zu Nemphis, sondern in einem Museum mit einem Publikum, wie es vielleicht Ende des 19. Jahrhunderts gekleidet war. Die Figuren in den Vitrinen machen sich selbständig, wobei Radames fast ständig die Kleidung eines europäischen Afrikabesuchers des 19. Jahrhunderts trägt, mit Stiefeln und modifiziertem Tropenhelm. Der König (Pharao) trägt ein Phantasie - Kostüm aus zwei goldfarbenen umgestülpten Trichtern; was das bedeuten soll, habe ich nicht verstanden. Wenn die Inszenierung in einem Museum beginnt, muü sie dort auch enden. Aida und Radames verschwinden in einen riesigen Mumienkasten. Der Tropenhelm geht dabei verloren.
Wenn eine Oper des 19. Jahrhunderts um jeden Preis, nur um dem Publikum was Neues zu bieten, modernisiert wird, dann kommen manchmal seltsame Einfälle auf die Bühne. Nur an der kräftigen, ausgezeichneten und der Dramatik entsprechenden Musik wird nichts geändert - gottseidank. Die Chöre, bei Verdi meistens ein kräftiges Ausrufungszeichen der Handlung, waren meiner Meinung nach schwächer als sonst. Vielleicht ist es auch dem verhältnismäüig kleinen Opernhaus anzulasten. Sängerinnen und Sänger waren vorzüglich, das Orchester ebenfalls. Das Parkett war gut besucht, die beiden Ränge vielleicht zur Hälfte.
Ich saü 1. Rang links 5. Reihe. Ein schlechter Platz. Vom Hören her (Akustik) hatte ich keine Probleme - aber das Sehen war schlecht. Die Bühne ist weder in der Breite noch in der Tiefe von dieser Reihe aus zu sehen (zu erfassen). Die deutsche Übersetzung der Gesangstitel, die jetzt dankeswerterweise über der Bühne auf eine kleinen L einwand erscheint, kann kaum von diesem Platz aus gelesen werden. Wenn Sie also in diese Oper gehen, dann achten Sie darauf, daü Sie möglichst Karten im Parkett, oder die Ränge Mitte, bei den Seitenrängen nur die 1. Reihe, bekommen. So schön das Haus an der Straüe Unter den Linden ist, so hat es auch seine Macken.

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Am 9. März sah ich im Berliner RENAISSANCE - THEATER Die Lissabonner Traviata, ein Theaterstück von Terrence McNally. Was geboten wurde ist gefälliges Boulevardtheater. Spöttisch vermerke ich, daü es für eine deutsche Spielstätte von Bedeutung zu sein scheint, daü ein us - amerikanischer Autor am Broadway gespielt worden ist, und - die Spitze überhaupt - auch noch schwul ist. Damit sind die Eckpfeiler öffentlicher Akzeptanz in Deutschland eigentlich schon beschrieben. Wer da widerspricht, ist ein hoffnungsloser Spieüer und - sogar - "ein Rechter".
Der Handlungsablauf ist so simpel wie dramatisch: schwule Paare haben die gleichen Probleme wie heterosexuelle Paare, sie streiten sich, schlagen sich, lieben sich und in diesem Fall - ja - da gibt es sogar einen Toten. So kann es in den besten Familien passieren, und wer es sich von auüen ansieht, kann lachen oder weinen; dem Publikum ist der blödeste Witz recht, um zu lachen, und der schlimmste Tod wichtig, um den Atem anzuhalten und sich selber als besonders moralisch vorzukommen.
Eine besondere Note erhält das Stück Die Lissabonner Traviata in der Hommage auf Maria Callas. Die schwulen Pärchen laufen zur Höchstform auf, wenn sie die wirklich einmalige Sopran - Stimme der Ausnahme - Künstlerin Maria Callas hören. Das ist ein Gefühl, welches ich sogar nachvollziehen kann. Wenn ich diese Stimme im Radio höre, dann erzeugt sie bei mir ein groües Gefühl der Begeisterung und Ehrfurcht vor einer naturgegebenen Begabung und eines menschlichen Könnens.
Mir ist der Autor Terrence McNally bisher nicht begegnet. Laut Programmheft ist er 1939 geboren, und, das gehört ja zum Klappern, ungeheuer erfolgreich.
Die vier Schauspieler Jörg Holm, Gerd Warneling, Stefan Reck und Clemens Schick waren vorzüglich. Die Plätze waren, mitten in der Woche, zu zweidrittel besetzt.

Kein Mensch hat von Natur das Recht empfangen, andere zu regieren. Die Freiheit ist ein Geschenk des Himmels, und jedes Individuum hat das Recht, sie ebenso zu gebrauchen wie den Verstand. Wenn die Natur irgendwelche Autorität schuf, so ist dies die elterliche. Aber auch die Macht der Eltern hat ihre Grenzen, und sie hört im natürlichen Zustand von dem Augenblick an auf, sobald die Kinder in der Lage sind, sich selbst zu leiten. Jede andere Autorität ist anderen Ursprungs. Wenn man es recht betrachtet, so kehrt man immer wieder zu zwei Urquellen zurück: entweder zur Kraft oder Gewalt desjenigen, der sich der Autorität bemächtigte, oder zur Zustimmung derjenigen, die durch einen vorausgesetzten oder tatsächlichen Vertrag sich der Obrigkeit oder demjenigen, dem sie die Autorität übertrugen, unterstellten.
Die Macht, die auf Gewalt beruht, ist nichts anderes als Usurpation. Sie dauert nicht länger als der Zwang desjenigen, der befiehlt, den Sieg über diejenigen davonträgt, die gehorchen. In dem Augenblick, wo die letzteren die Oberhand gewinnen und das Joch abschütteln, tun sie es mit demselben Recht, derselben Gerechtigkeit wie derjenige, der ihnen Autorität aufzwang. Das gleiche Gesetz, welches die Autorität erzeugte, zerstört sie auch; das ist das stärkste Gesetz!
Denis Diderot, französischer Schriftsteller (1713 - 1784)

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Es wird vielleicht so manchen Kulturbeflissenen befremden, wenn ich schreibe, daü die Opera buffa, Die Hochzeit des Figaro, Text nach Beaumarchais von Lorenzo da Ponte, ins Deutsche übertragen von Walter Felsenstein, Musik von Wolfgang Amadeus Mozart ein exzellentes europäisch - politisches Bühnenstück ist. Über den französischen Schriftsteller Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, geboren 1732 und gestorben 1799 steht in Knaurs Lexikon der Weltliteratur u.a. folgendes: Bleibenden Ruhm haben ihm .. Der Barbier von Sevilla und Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit eingebracht, in denen ein Bedienter die Hauptrolle spielt. Die Stücke sind reich an Witz und ziehen die Adelsgesellschaft in satirisch intellektueller Weise ins Lächerliche. Obwohl sie sofort für sechs Jahre von der Zensur verboten wurden, trugen sie dazu bei, daü die gärende politische Situation dieser Zeit sich schlieülich in der Revolution entlud.
Die gärende politische Situation
Ende des 18. Jahrhunderts war nicht nur in Paris zu spüren. Vielleicht war es sogar so, daü die Machthaber viel sensibler waren, als das gemeine Volk. Kaiser Josef II, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, geboren 1741 und gestorben 1790, verbot 1785 in Wien die Aufführung des von Schikaneder bearbeiteten Lustspiels von Beaumarchais. Trotzdem beauftragte Monate später Mozart Lorenzo da Ponte mit der Abfassung eines Librettos für eine Oper mit dem gleichen Stoff..
Über Da Ponte, geboren 1749 in Ceneda/Vittorio Veneto und gestorben 1838 in New York seht in Knaurs Lexikon der Weltliteratur u.a. folgenden: Italienischer Opernliberettist, wegen seines anstöüigen Lebenswandels und seiner Spottgedichte wurde er 1779 aus Venedig verbannt.
So verbanden sich zwei "Aufrührer" mit dem Komponisten Mozart und daraus entstand dann die Opera buffa Die Hochzeit des Figaro, ein Stück voller Aktion, Spannung und musikalischer Intensivität. Die Uraufführung in Wien fand am 1. Mai 1786 satt und es heiüt, daü Josef II. die Aufführung nur gestattete, weil ihm die aufklärerischen Tendenzen des Werkes nur zu gut in seine innenpolitischen Pläne paüten. Auf Veranlassung des Kaisers wurde das Stück dann aber wieder sehr schnell vom Spielplan in Wien gestrichen.
Ich sah die Oper Die Hochzeit des Figaro am 4. April d.J. in der Komischen Oper zu Berlin in einer Inszenierung von Harry Kupfer. Die Premiere dieser Inszenierung fand am 12. Dezember 1986 satt und ich sah die 145. Aufführung. Es ist eine flotte, musikalisch wie auch schauspielerisch ereignisreiche Aufführung, der ich noch viele Abende wünsche. Allen Beteiligten gilt gleiches Lob. Die Vorstellung war gut besucht, obwohl der Dienstag für Berufstätige nicht gerade der günstigste Termin ist; es sind immerhin einschlieülich der Pause dreieinhalb Stunden, die Frau und Mann in der Oper verbringen.

 
     
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