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Mein Bericht beginnt
diesmal mit dem Straüenumzug, der jedes Jahr zu Pfingsten in Berlin
von der WERKSTATT DER KULTUREN veranstaltet wird und KARNEVAL DER KULTUREN
DER WELT genannt wird. Ich stand am 3. Juni mit Nils und seinem Freund
Philipp am Südstern in Kreuzberg. Etwa 4000 Akteure aus 70 Ländern,
fast alle in Berlin lebend, zogen vorüber. Die Stimmung bei den Zuschauern
und bei den Akteuren war vorzüglich. Die Berliner sind solchen Ereignissen
gegenüber sehr zurückhaltend. Wenn sie klatschen, dann ist es
schon die absolute Höhe emotionaler Zustimmung. Es war ein buntes
Bild, welches vielleicht noch bunter gewesen wäre, wenn die deutschen
Landsmannschaften mit ihren Trachten und ihren kulturellen Besonderheiten
dabei gewesen wären. Aber dazu fehlt uns Deutschen das Selbstbewuütsein,
uns als eine Kulturnation unter Kulturnationen zu verstehen. Entweder
wir schnappen über und sehen uns als den Nabel der Welt oder wir
verkriechen uns, bis wir unsichtbar geworden sind. Ich würde es auch
begrüüen, wenn der KARNEVAL DER KULTUREN DER WELT durch Berlin-Hellersdorf
und/oder Berlin - Marzahn ziehen könnte, damit die > ewig gestrigen
< in unserem Volk endlich mal mitbekommen, wie viel Kultur andere Völker,
die auch anders aussehen, haben. Planen Sie für Pfingsten 2002 Ihren
Besuch in Berlin.
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Am 16. Juni war ich in Redefin. Diesen Ausflug nach Mecklenburg - Vorpommern
habe ich meiner Schwester zu verdanken, die mich zu einem Picknick
- Pferde - Sinfoniekonzert eingeladen hatte. Redefin liegt auf der
B5 zwischen Ludwigslust und Boitzenburg. Das ist ein Teil der alten Transitstrecke
zwischen Berlin und Hamburg aus der Zeit der Teilung Deutschlands. In
Redefin befindet sich ein Landgestüt, welches 1812 durch Herzog Friedrich
Franz I. von Mecklenburg-Schwerin zum Zwecke der Verbesserung der
Pferdezucht gegründet wurde. Pferde hatten bis Anfang des 20.
Jahrhunderts die gleiche wirtschaftliche Bedeutung wie heutzutage die
Autoindustrie. Wir können uns das kaum mehr vorstellen, wir, die
mit 100 Pferdestärken und mehr, meistens nur mit einer Person, durch
eine von geteerten oder betonierten Straüen kaputtgemachte Landschaft
jagen. Kein Fürst konnte sich 100 Pferde fürs Privatvergnügen
leisten.
Das Landgestüt befindet sich noch in der Phase der Rekonstruktion.
Es ist von kulturhistorischer Bedeutung, eine solche Anlage zu erhalten.
Ebenso wichtig ist es, daü Pferderassen erhalten und gepflegt werden.
Gerade in dem Zeitalter der scheinbar unbegrenzten "Technik-Euphorie"
ist der Kontakt des Menschen zu einem seiner treuesten Begleiter durch
die Jahrtausende sehr wichtig.
Am Nachmittag fanden Vorführungen mit Hengsten statt. Ich bin ein
absoluter Laie, aber ich denke, ich mache keinen Fehler, wenn ich schreibe,
es waren rundum sehr edle Tiere, die gezeigt wurden. Um 18 Uhr begann
das Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin (früher RSO
Berlin) unter der Leitung von Kent Nagano. Es wurde die Sinfonie Nr. 8
c-Moll von Anton Bruckner gespielt. Bruckner, ein Zeitgenosse Wagners,
dessen Musik ebenso wuchtig wie aber anders (moderner?) ist, lebte von
1824 bis 1896. Es wird geschildert, daü Bruckner sein Werk, durch
mangelndes Selbstvertrauen, nach Einwendungen und Kritiken sehr oft änderte,
nicht immer zum Vorteil des Werkes. Die gespielte Fassung wurde als die
bezeichnet, die dem Original am nächsten kommt.
Das Konzert fand im Rahmen der Festspiele Mecklenburg - Vorpommern, Adresse:
Graf-Schack-Allee 11, 19053 Schwerin, Tel. 0385-591 85 0, Fax 0385 - 591
85 10, www.festspiele-mv.de ,statt.
Auf der Rückfahrt hielten wir uns kurz in Ludwigslust, auf der Plattenburg
und in Havelberg auf. Über die drei Orte und über die herrliche
Landschaft werde ich später berichten, wenn ich mir diese Orte näher
angesehen habe.
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Freunde nahmen mich am 19. Juni zum 33. Dahlemer Musikabend mit. Diese
Musikabende finden im Japanisch-Deutschen-Zentrum Berlin, Saargemünder
Straüe 2, 14195 Berlin statt. Der Besuch ist kostenfrei. Sie können
ein Programm anfordern.
Über den Ort: Anstelle eines us-amerikanischen Clubs neben dem ursprünglichen
us-amerikanischen Hauptquartier in West-Berlin ist ein sehenswertes Japanisch-Deutsches
Kulturzentrum entstanden.
Der Musikabend wurde vom Flötenquartett der Magdeburgischen Philharmonie
bespielt. Die Hauptperson in diesem Quartett war unumstritten Atsuko Koga,
die derzeitige Solopiccoloflötistin in der Magdeburgischen Philharmonie.
Sie war die einzige Japanerin in dem Quartett. Gespielt wurden Wolfgang
Amadeus Mozart, Gordon Jacob, Paul Ben-Heim, Joseph Haydn und Lex van
Delden. Es wurden insgesamt sechs Stücke geboten, und zwar so, daü
die "Modernen" von den Klassikern eingerahmt waren. Böse
Zungen behaupten ja, daü das deshalb so gemacht wird, damit die
zuhörenden Menschen nicht wegrennen, weil sie die "Modernen"
nicht hören wollen. Auch ich muü ehrlich gestehen, daü
ich mit den "Modernen" nicht sehr viel anzufangen weiü.
Gordon Jacob, Brite, lebte von 1895 bis 1984, Paul Ben-Heim, Deutsch-Israeli,
lebte von 1897 bis 1984, Lex van Delden, Niederländer, lebte von
1919 bis 1988. Über Mozart und Haydn brauche ich wohl keine Worte
zu verlieren.
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Am 21. Juni schlieülich war ich noch einmal (siehe Bericht in der
Ausgabe Juni) im THEATER DES WESTENS und habe mir diesmal das Musical
Schwejk it easy! angesehen und angehört. Der
brave Soldat Schwejk, eine Figur aus der nicht mehr existierenden
tschechisch-böhmisch-österreichisch-deutschen Kultur des beginnenden
20. Jahrhunderts in der Stadt Prag hätte es verdient, daü man
etwas sorgfältiger mit ihr umgegangen wäre. Schwejk, Anarchist,
gewaltlos, wie ein echter Anarchist es sein sollte, Kriegsgegner, Oligarchie-Kritiker
reinsten Wassers. ein Mann mit viel Mutterwitz, wird in diesem Musical
sehr oberflächlich vermarktet. Immer dann, wenn Schwejk politisch
werden will, dann schwingt das Ballett, höchst professionell, die
Beinchen, und es wird nicht zugelassen, daü das Publikum über
den immer noch aktuellen Krieg und die Herrschaft der Bürokratie
und des Geldes nachdenkt.
Konstantin Wecker schrieb die Musik, die Songtexte waren Gemeinschaftsarbeit
von Konstantin Wecker, Peter Blaikner und Michael Korth. Vielleicht waren
es auch Kompromiütexte? Vielleicht sind sie auch den allgemeinen
Oberflächlickeiten zuzuordnen, die in vielen gesellschaftlich - kulturellen
Bereichen heutzutage üblich sind? Die Musik war laut; auch hier habe
ich den Eindruck, daü die Lautstärke manche Qualitätsmängel
verdecken muü. Vor kurzem hörte ich im Radio, daü zu
laute Musik aggressiv macht. Vielleicht soll das so sein. "Moderne"
>> Musikkultur << als Brot und Spiele und Ablenkung von der
zunehmenden Kriminalisierung der Politik.
Der Musicalabend war sehr schlecht besucht. Nur ein Drittel der Plätze
waren besetzt. Auch eine Volksabstimmung!
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