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> Giselle,
ein hübsches Dorfmädchen, hat sich in einen schönen Fremden
verliebt. Sie weiü nicht, wer er ist < , so beginnt der 1. Akt
des Balletts Giselle, Musik von Adolphe Adam,
Choreographie und Inszenierung von Patrice Bart nach
Jean Coralli und Jules Perrot.
Adolphe Adam, französischer Komponist mit elsässischen Wurzeln,
geboren am 24. Juli 1803 in Paris, gestorben am 3. Mai 1856 ebenfalls
in Paris, schuf mit Giselle ein "phantastisches"
Ballett, welches, im europäischen Geist, auf Märchen und Sagen
aus vielen Teilen des Kontinents Bezug nimmt. Selbst unser groüer
deutscher Dichter Heinrich Heine wird als Gewährsmann genannt. Es
geht um ein armes, tugendhaftes Mädchen und ihren Prinzen, nicht
ganz so tugendhaft, sowie der Braut des Prinzen. Im dramatisch-romantischen
1. Akt geht es um die Liebe des ungleichen Pärchens und der dramatischen
Aufklärung des Betruges mit dem gewaltsamen Ende Giselles.
> Kaum sichtbar erscheinen weiüe Schatten. Wer sind diese körperlosen
Wesen? Es sind die Wilis, die Seelen der von einem untreuen Liebhaber
in Stich gelassenen Mädchen. Sie rächen sich an den Männern,
indem sie sie des Nachts in die Finsternis locken, um sie zu Tode zu tanzen.<
So beginnt der 2. Akt. ebenfalls dramatisch-romantisch. Er fordert ein
Opfer und er befreit den fürstlichen Liebhaber. Ein Märchen
vergangener Zeiten auf der Bühne der Deutschen Staatsoper, Unter
den Linden, in Berlin-Mitte.
Ich sah das Ballett am 3. März 2002. Ich nannte bereits Jean
Coralli und Jules Perrot. Diese beiden, im 19.
Jahrhundert berühmte Choreographen waren für die Uraufführung
am 28. Juni 1841 in Paris an der Académie Royale de la Musique
verantwortlich. Die Berliner Erstaufführung fand am 5. Mai 1843 an
der Königlichen Hofoper statt.
Patrice Bart besorgte die Inszenierung der Neuproduktion.
Die erste Aufführung fand am 6. Dezember 2000 statt. Bart
orientierte sich an der Pariser Erstinszenierung des 19. Jahrhunderts.
Also keine auf "modern" getrimmte Aufführung, mit der sich
modernistische Choreographen zu schmücken versuchen. Auch das Bühnenbild
scheint sich an alten Vorlagen zu orientieren. Der gesamte 1. Akt ist
deshalb auch für einen Ballettneuling im Handlungsablauf nachzuvollziehen.
Die Spannung bleibt vom Anfang bis zum Ende erhalten. Im 2. Akt hält
sich diese Berliner Neuinszenierung leider nicht an die alten Vorlagen.
In der Uraufführung erschienen die Geister, die Wilis, in den Trachten
der Volksgruppen, aus denen die Seelen der im Stich gelassenen Mädchen
stammen. Ein farbiges Bild, welches den Tanz hätte besser erklären
können als eine sparsame Pantomime. Deshalb war der 2. Akt, musikalisch
ohnehin in vielen Teilen eine Wiederholung, todlangweilig. Schade, es
hätte nicht sein brauchen.
Für Kinder jeden Alters ist nach meiner Meinung ein solches Ballett
im alten, romantischen Stil ein guter Einstieg in die Betrachtung einer
Kunstform, die heutzutage nicht gerade im Brennpunkt des Interesses steht.
Die gesehene Aufführung, am Sonntag, begann um 16 Uhr, und diese
Zeit war sicher für die Familien gedacht. Statt dessen war das Haus
nur zu Hälfte besetzt und Familien waren in der Minderheit. Schade!
+ + +
Im Japanisch-Deutschen-Zentrum Berlin, Saargemünder Straüe
2, 14195 Berlin, Tel. 839 070 finden regelmäüig Musikabende
statt. Der Eintritt ist frei.
Am 18. März besuchte ich den 41. Dahlemer Musikabend, auf dem das
Sakura Quartett zwei Stücke spielte, deren Kompositionszeit
fast 100 Jahre auseinanderliegt.. Es wurde gespielt: Karol Szymanowski
= Streichquartett Nr. 1 C-Dur und Franz Schubert = Streichquartett
in d-Moll "Der Tod und das Mädchen".
Karol Szymanowski "gilt als die einfluüreichste
Persönlichkeit des polnischen Musiklebens". Er lebte von 1882
bis 1937. Das Streichquartett entstand in Herbst 1917. Als wir in die
Pause gingen, sagte mein Freund Bernhard Schaeffer zu mir: > eine kranke
Musik, in einer kranken Zeit entstanden <. Ich nickte mit dem Kopf.
Franz Schubert, geboren 1797, gestorben 1828, ist nur
31 Jahre alt geworden und hat unter ausgesprochen schlechten Lebensbedingungen
ein umfangreiches Werk geschaffen. Für viele Musikkenner ist Schubert
ein musikalischer Eckpfeiler der Romantik .in der Musik. Das Streichquartett
hat aber für mein Gehör wenig Romantik zu bieten. Wenn nicht
auf dem Programmzettel Franz Schubert stehen würden, könnte
es, ich bitte um Verzeihung, lieber Leserin, lieber Leser, fast als ein
Werk von Karol Szymanowski durchgehen. Wir haben es nach
dem Konzert nicht mehr diskutiert.
"Der Tod und das Mädchen" ist ein Gedicht von Matthias
Claudius, geboren 1740 und gestorben 1815.
Die Konzerte in dem Japanisch-Deutschen-Zentrum Berlin sind immer gut
besucht. Das Sakura Quartett ist ein vorzüglicher
Klangkörper. Herzlichen Dank an unsere japanischen Freunde, die einen
solchen Abend ermöglichten
+ + +
Freunde luden mich in das Konzerthaus Berlin ein. Das Haus befindet sich
am Gendarmenmarkt und heiüt bei vielen Berlinern immer noch Schauspielhaus.
Es ist ein durch und durch bemerkenswertes Haus, sowohl von den Proportionen
als auch vom Stil. Das 77 m lange, 50 m tiefe und 36 m hohe Gebäude
wurde 1818-21 nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel anstelle des
1817 abgebrannten Theaterhauses von Carl-Gotthard Langhans errichtet und
gilt als einer der imposantesten Bauten des Berliner Klassizismus. Das
Haus wurde im 2. Weltkrieg fast völlig zerstört und nach Sicherungsarbeiten
in den 50iger Jahren ab 1977 originalgetreu rekonstruiert.
Ich hörte in diesem Haus am 12. April das Berliner Sinfonieorchester,
und zwar das Konzert für Klavier und Orchester d-Moll KV 466 von
Wolfgang Amadeus Mozart und die Sinfonie Nr. 3 d-Moll von Anton Bruckner.
Mozart (1756-1791) komponierte das Klavierkonzert offenbar in groüer
Eile Anfang Februar 1785. Als Schluüdatum der Partitur trug Mozart
den 10. Februar 1785 ein. Bereits am folgenden Tag fand die Uraufführung
in einer > Akademie < (so hieüen damals die Subskriptionskonzerte)
"auf der Mehlgrube" vor 150 zahlenden Subskribenten statt. Solist
am 11. Februar 1785 war Wolfgang Amadeus Mozart selber. Am 12. April 2002
war es der Solist Oleg Maisenberg, Professor für Klavier an der Wiener
Musikhochschule. Dirigent war Walter Weller.
Ich hatte den Eindruck, daü der Flügel, auf dem Herr Maisenburg
spielte, einen sehr harten Klang hatte. Vielleicht war es auch ein zu
harter Anschlag des Solisten? Ich bin zu wenig Fachmann, um das zu entscheiden.
Es kam hinzu, daü wir in der ersten Reihe saüen, was zumindestens
im Konzerthaus am Gendarmenmarkt bei solchen Konzerten nicht zu empfehlen
ist. Mozarts Klavierkonzert ist ein Orchesterstück mit einem groüen
Klangvolumen und ein gewisser Abstand lohnt sich durchaus.
Ein noch gröüeres Klangvolumen hat die Sinfonie Nr. 3 von Bruckner
(1724-1896). Bruckner ist ja nicht nur ein Zeitgenosse Wagners, er hat
die Sinfonie auch Wagner "in aller Ehrfurcht" gewidmet.
Die Uraufführung fand am 16. Dezember 1877 in der Wiener Gesellschaft
der Musikfreunde statt und war ein totaler Miüerfolg. Dennoch fand
Bruckner unter seinen Enthusiasten einen Verleger. Kein geringerer als
Gustav Mahler arrangierte einen Klavierauszug für vier Hände.
Am 12. April 2002 wurde die Sinfonie in der Fassung von 1889 gespielt.
Bruckner hat sie mehrmals umgearbeitet..
Beide Konzertstücke wurden vom Berliner Sinfonieorchester sehr farbig
und mit groüem Engagement gespielt. Der Konzert- abend war fast
ausverkauft, bei ca. 1200 Sitzplätzen ein kulturelles Ausrufungs-
zeichen.
+ + +
Ein kulturelles Ausrufungszeichen war auch ein Theaterstück, welches
ich einen Tag später, am Sonnabend, den 13. 4. im Schloßpark-Theater
im Berlin-Steglitz sah. Ich habe der Intendanz von Heribert Sasse ein
so ernstes Stück kaum zugetraut. Es geht um das Stück Die
Glut von Sándor Márai, Deutsch von Christina Viragh,
Bühnenfassung von Knut Boeser.
Sándor Márai, ein Ungar deutsch-sächsischer Herkunft
lebte von 1900-1989. Sein literarisches Werk ist facettenreich und umfaüt
Romane, Essays, Dramen, Tagebücher, Reisebeschreibungen und autobiographische
Texte. In seinen Werken beschreibt er gerne die verlorene Zeit der österreichischen
KuK.-Monarchie bzw. deren Nachzeit aus dem Blickwinkel eines Rückblick-Sehnsüchtigen.
All denjenigen, die sich fragen, was ihnen das Theaterstück Die
Glut als Denkanstoü im Jahr 2002 bieten kann, muü
ich eine abstrakte Antwort geben: nur wenn jemand in der Lage ist, den
Fortgang der gesellschaftlichen Entwicklungen als Kontinuitäten zu
begreifen, wird den archaischen Inhalt des Stückes auf die Neuzeit
übertragen können.
Es geht um zwei Freunde, Adlige, die sich seit ihrer Kinder-Internats-und
Kadetten- Zeit kennen. Der eine, Henrik, ist reich und stammt aus einer
traditions-und selbstbewuüten Familie, der andere, Konrad, ist arm
und stammt aus kurzzeitigem und gesellschaftlich unsicherem Beamtenadel.
Beide sind alt geworden und haben sich 41 Jahre nicht gesehen. Sie treffen
sich und bearbeiten ihre gemeinsame Vergangenheit, zu der die Frau von
Konrad gehört, die längst verstorben ist. Das Gespräch
kreist um die gegenseitigen und gemeinsamen Empfindlichkeiten, um einen
Mordversuch, um Liebe, um Schuld und Sühne. Es sind dramatische Monologe
und Dispute, die an einigen Stellen durch Nini, eine hellwache Hausangestellte,
begleitet werden.
Es sind drei vorzügliche Schauspieler, Ezard Hauümann, Stefan
Lisewski und Emese Fáy, die den Theaterabend ausfüllen. Das
Haus war bis auf den letzten Platz ausverkauft.
Das Buch Die Glut von Sándor Márai biete
ich in der beiliegenden Bestelliste an.
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