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Maxim Gorki, eigentlich
Alexei Maximowitsch Peschkow, geboren am 28. März 1868 in Nischni Nowgorod
(ab 1932, ihm zu Ehren, Gorki genannt), gestorben am 18. Juni 1936 in Moskau,
gilt als einer der größten Dichter der Sowjetunion. Oder sollte
ich Rußland schreiben ? Eine äußerst komplizierte Angelegenheit
!? Als Gorki als Sohn eines armen Handwerkers geboren wurde, war Nischni
Nowgorod eine blühende Handelsstadt im alten Rußland mit großen
sozialen Unterschieden und viel Elend, heute, 135 Jahre später, wird
vermutlich Gorki eine arme Stadt im heutigen Rußland sein, mit wenigen
sozialen Unterschieden, auch mit viel Elend, und mit genau so vielen unterschiedlichen
Menschen, wie 1868. Gibt es heute, in der Stadt Gorki, ein Nachtasyl?
Maxim Gorki war nicht nur Dramatiker, Dichter und Schriftsteller, sondern
er verstand sich auch als Sozialrevolutionär, was einem Freund Lenins
gut anstand.
Maxim Gorki kam bei uns, im alten West-Berlin, öffentlich nicht vor.
In der DDR, war Maxim Gorki ein bekannter Mann. Nicht nur, daß er
und seine Werke vermutlich Bestandteil der Lehrpläne an den DDR-Schulen
waren: es gab und es gibt im (ehemaligen) Ost-Berlin ein MAXIM-GORKI-THEATER,
in der vormaligen preußischen Singakademie, unweit der Straße
Unter den Linden, hinter der NEUEN WACHE, an exponierter Stelle.
Im Laufe der Jahrzehnten habe ich allerhand über Maxim Gorki gelesen,
aber nie etwas von ihm selber.
Am 1. November 2003 sah und hörte ich sein Stück Nachtasyl
im MAXIM-GORKI-THEATER in Berlin. Reclam bietet noch einen Untertitel an:
Szenen aus der Tiefe in vier Akten und schreibt
auf dem rückwärtigen Einband: „Nachtasyl war
Gorkis größter Bühnenerfolg in Rußland und seit der
ersten Inszenierung Max Reinhardts 1903 auch in Deutschland. Es ist bis
heute das meistgespielte seiner Stücke geblieben. > Das Nachtasyl
bedeutet den Höhepunkt seines dramatischen Schaffens. Als
Dichter des Nachtasyl ist Gorki dem Publikum vor allem
ans Herz gewachsen <.“
Diese Sätze stammen von August Scholz, dem historischen Übersetzer
des Nachtasyl, der 1902 extra den Dramatiker in
Rußland besucht hatte, um die Übersetzung zu besprechen. In Knauers
Lexikon der Weltliteratur steht, daß Nachtasyl 1950
ins Deutsche übersetzt worden ist, was auf keinen Fall stimmen kann.
Das Programmheft meldet als Übersetzerin der aktuellen Aufführung
Ulrike Zemme. Es würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen, wenn ich
diesen Merkwürdigkeiten nachspüren und vor allen Dingen den Unterschieden
von wahrscheinlich vielen Übersetzungen nachgehen würde. Das teure
Programmheft ist inhaltslos und liefert nur Geschwafel.
Im modernen (deutschen?) Theater werden die klassischen Stücke, zu
dem ich das Nachtasyl zähle, heruntergespielt,
ohne Punkt und Komma und ohne die Einteilung in Akte, die ja ursprünglich
einen Sinn gehabt haben. Im ersten Teil vor der Pause kam das Stück
nicht richtig in Fahrt. Sie müssen sich vorstellen: da sind mehrere
Obdachlose unterschiedlichster Herkunft in einem Nachtasyl
zusammengepfercht, zum Schlafen, Essen und Trinken, in einem Fall sogar
zum Arbeiten, sie alle unterhalten sich über Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft, sie alle sollen unterschiedliche Typen darstellen, bei fast
allen ist Alkohol Gewohnheit. Vieles vom eigentlichen Leben spielt sich
vor der Tür ab und manches wird berichtet. Alle sozialen Verwerfungen,
Probleme, Lösungen und Utopien könnten fokussiert werden. Die
unterschiedlichen Typen, in der Berliner Aufführung sind zwei Frauen
darunter, könnten herausgearbeitet werden. Nichts aber geschieht. Im
zweiten Teil nach der Pause wird die Handlung lebhafter Das reicht dann
zu mehreren Vorhängen zum Schluß. Den guten Schauspielern sei’s
gegönnt. Das Theater war übrigens gut besucht.
Die deutsche Uraufführung fand am 23. Januar 1903 im Theater Schall
und Rauch, ebenfalls in Berlin, statt. Der Übersetzer Scholz berichtet
im Reclam-Textbuch von 500 Aufführungen bis 1905. Es gab eben noch
kein Fernsehen und Rundfunk, und der Film befand sich in den Kinderschuhen.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß dieses Nachtasyl
in dieser Zeit eine Sensation war.
Ich habe diesmal den Text nach dem Theaterbesuch gelesen. Die moderne Aufführung
läßt nicht nur die Akte weg, sondern auch Personen. Es gibt,
außer Statisten, im Original 17 handelnde Personen, in der jetzigen
Berliner Aufführung 12 Mitspieler. Eine Rolle wird anstatt von einem
Mann von einer Frau gespielt. Alle diese Änderungen sind kein Gewinn
für die Inszenierung, die ich gesehen habe.
Maxim Gorki, der selbst jahrelang als armer Gelegenheitsarbeiter durch Rußland
gezogen war, hat die Typen, die er darstellen wollte, mit Sicherheit alle
persönlich erlebt. Trotzdem, auch wenn es selbst heute als kulturell
inkorrekt erscheinen sollte, einen großen Dichter zu kritisieren,
ich finde nach der Lektüre des Textbuches: die unterschiedlichen Typen
des Nachtasyls sind nicht herausgearbeitet.
Maxin Gorki hat damals den Nerv seiner Zeit getroffen; ich befürchte,
er trifft nicht mehr den Nerv unserer Zeit - soweit die bürgerliche
Gesellschaft überhaupt noch einen Nerv für soziale Fragen hat.
Trotzdem, es lohnt sich, in das MAXIM-GORKI-THEATER zu gehen, um dort Nachtasyl
zu hören und zu sehen. |
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