|
William Shakespeare,
einer der Großen europäischer Geistes- und Kulturgeschichte,
wurde am 23. April 1564 in Stratfordon-Avon als Untertan der englischen
Königin Elisabeth I. geboren. Im gleichen Jahr erblickte auch Galileo
Galilei das Licht der Welt. Es folgte ein schaffensreiches Leben zwischen
Stratford und London. 1611 wurde sein letztes Theaterstück, Der Sturm
- The Tempest, vor König Jakob I. in Whitehall uraufgeführt. Am
23. April 1616 starb William Shakespeare in seiner Geburtsstadt.
Shakespeare war der (Hof-?) Dichter seiner beiden Herrscher Elisabeth und
Jakob, gleichzeitig war er aber auch Märchen-, Geschichten. - und Geschichts-Erzähler
für das Volk, vermutlich auch Sprach-und Stil-Bildner. Es war tiefstes
Mittelalter. 1560 gilt als das Jahr, in dem die Hexenverfolgungen in Europa
begannen. Zeitungen. Rundfunk und Fernsehen gab es nicht.
Ich sah Shakespeares Theaterstück Der Sturm fast 400 Jahre später,
am 4. Januar 2004 im Theater am Schiffbauerdamm, auch Berliner Ensemble
oder auch Brecht-Theater genannt. Der Sturm ist ein phantasievolles Märchen,
welches mit Sicherheit bei Hofgesellschaft und Volk gut angekommen ist.
Es geht um einen auf einer Insel gestrandeten Fürsten, Prospero, der,
mit Hilfe seiner Zauberkünste, seinen betrügerischen Nachfolger
als Herzog von Mailand, den König von Neapel und deren Gefolge schiffbrüchig
werden und auf die gleiche Insel retten läßt Ariel, der Luftgeist,
und noch weitere "gute Geister", verwirren die Schiffbrüchigen,
soweit es nicht Prosperos pubertierende Tochter Miranda macht oder gar als
"schlechter Geist", Caliban, der "Eingeborene" und wie
es im Testbuch heißt, der "wilde und mißgestaltete Sklave".
Es gibt natürlich eine Liebesgeschichte, ein Happyend und ein philosophische
Reden schwingender Übervater Prospero, der zum Schluß der Zauberei
entsagt.
Ende gut, alles gut?
Die vielen Möglichkeiten der Beleuchtung und die heutige Bühnentechnik
macht es möglich, Sturm, Kälte und Regen, Irrwege und Mühsal,
sehr plastisch sichtbar zu machen. Wenn ich aber schreibe, daß diesmal
das Textbuch in der Übersetzung von Gerd Stratmann spannender war,
als die Aufführung über vier Stunden auf der Bühne, dann
kann ich Ihnen nicht übelnehmen, daß Sie mißtrauisch die
Stirne runzeln. In der Pause verließen einige das Theater.
Ich las diesmal das Textbuch vor dem Theaterbesuch.
In der BERLINER ZEITUNG vom 31. Oktober 2003 auf den "Sonderseiten
der Berliner Bühnen" behauptet der unbekannte Kritiker ein "Schiffbruch
der Zivilisation", insbesondere mit dem Blick auf den Sklaven Caliban.
Auch wenn es mir scheint, daß diese Betrachtungsweise etwas an den
Haaren herbeigezogen ist, so gebe ich zu, daß das Stück auch
so gesehen werden kann. Ich bleibe aber beim Märchen.
Inszeniert worden ist das shakespearesche Märchen von Leander Haußmann
nach einer Übersetzung von August Wilhelm Schlegel. Abgesehen davon,
daß leider aus dem Programmheft nicht hervor geht, daß die Premiere
dieser Inszenierung am 25. November 2003 stattfand, ist die teure Drucksache
im Taschenbuchformat vorzüglich gestaltet. Sie enthält den gesamten
Text in der Schlegel-Übersetzung und Textteile, die nicht gesprochen
worden sind, sind gestrichen.
Bis zur Pause schien mir das Theater bis auf den letzten Platz gefüllt.
Ich kann Sie nur ermuntern: gehen Sie auch mal ins Theater und schreiben
Sie Leserbriefe zu meinen Kritiken!! Ich hoffe, ich höre von Ihnen.
Kultur und die Kulturkritik geht weit über die aktuelle Politik hinaus!!!
Nachdem ich glaubte, den Text abgeschlossen zu haben, fiel mir ein Zeitungsartikel
in die Hand, den ich vergessen hatte. Ekkehart Krippendorff, emeritierter
FU-Professor, schrieb über die aktuelle Inszenierung in der Wochenzeitschrift
FREITAG vom 12. Dezember 2003 u.a. folgendes: > Leander Haußmann,
der soeben Shakespeares Sturm am Berliner Ensemble inszenierte, steht seit
langem für ein anderes, für ein "Spaßtheater".
Viel Bewegung, Klamauk, schnelle Szenen- und Bilderwechsel mit viel Bühnentechnik
sind bei ihm angesagt, ein lustiger Einfall jagt den nächsten, das
Publikum soll nicht nachdenken, sondern mitlachen. Und Der Sturm scheint
ihm dafür gerade die ideale Vorlage zu sein - mit Luftgeistern, Feen,
Zaubertricks, einem undefinierten Halbmenschen, einer gestrandeten und verlorenen
Hofgesellschaft, mit Blitz und Sturm und Wasser, so richtig etwas wie für
Schikaneders Vorstadttheater, aus dessen Niederungen sich dann dank Mozart
die Zauberflöte erhob. Haußmanns Theater geht den umgekehrten
Weg. Er erniedrigt seinen Autor, indem er dessen komplexe Parabel aus der
Höhe der Poesie und Einbildungskraft in das lärmige Spektakel
einer albernen Show voller oberflächlicher Regieeinfälle herunterholt
und diesen jede, aber auch jede Shakespearsche Bühnenmetapher zum Opfer
bringt.
Die schönste dieser Metaphern findet sich im Epilog, wo Prospero das
Publikum bittet, ihm das Verlassen der Insel zu ermöglichen, indem
es durch seinen Applaus einen Wind erzeuge, der die Segel seines Schiffes
zur Abreise füllen möge: "wo ihr begnadigt wünscht zu
sein, laßt eure Nachsicht mich befrein". Gibt es ein poetischeres
Bild für die idealische Stiftung von Gemeinsamkeit zwischen Bühne
und Publikum als dieses? Da aber das überdimensionierte Heck der absegelnden
Karavelle den vorgesehenen Bühnen-Schlußeffekt braucht, muß
Prospero sinnwidrig zurückbleiben und langsam im dunklen Hintergrund
verschwinden. Macht nichts - Haußmann hat´s auch nicht gemerkt.
Auch der Text - es wird Schlegel-Tieck benutzt - wird wiederholt das Opfer
solcher anbiedernder Erniedrigungen ("halt die Fresse"), und durch
alberne Zwischenrufe wie "nackte Frauen!" soll die utopische Vision
ins Lächerliche gezogen werden, die der brave alte Hofmann Gonzalo
von einer Gesellschaft der absolut Gleichen hat, wie sie historisch Thomas
Morus geträumt hatte - was auch um den Preis des Verständnisses
dieser wichtigen Dimension des Stückes gelingt; dabei hatte Shakespeare
das schon selbst so gesehen und dieser bedeutsamen Rede, ein Kernstück
für das geistesgeschichtliche so gut wie das aktuelle Verständnis
des Sturm, viel eleganter den Wind aus den utopischen Segeln genommen, indem
er einen anderen Hofmann trocken kommentieren ließ: "Und doch
wollte er König sein!"
Alles wird da eingeebnet und unkenntlich gemacht: Daß Shakespeare
mit der gestrandeten Schiffsgesellschaft eine soziologisch sehr differenzierte
Gruppe ins Spiel bringt - nichts davon bei Haußmann; in ihren uniformen
Sommeranzügen sind sie alle austauschbar. Dass Caliban eine der umstrittensten
und darum auch wichtigsten Figuren ist - irgendwo zwischen "edlem Wilden"
und Kannibalen angesiedelt, aber zugleich einige der poetischsten Verse
sprechend - das interessiert den Regisseur nicht, weil er nichts vom Kolonialismus-Diskurs
weiß, der hier geführt wird; also wird er einfachheitshalber
ein ungestaltes Monster. Daß mit Prospero die moderne gottähnlich
herrschende Wissenschaft zur düsteren Endzeitvision wird und er die
Notwendigkeit einer Umkehr zeigt - nichts davon wird hör- und nachvollziehbar
in der Figur, wie sie Ezard Haußmann gibt, der sich mit würdigem
Schreiten und schwungvollem Bogenschlagen seines Zauberstabes zufrieden
gibt und eher nebenbei seinen Text aufsagt. Die Schauspieler tun, was ihnen
aufgetragen wurde, teilweise eingezwängt in so unsinnige Kostüme
wie dem Ferdinands, der zum Calibanähnlichen Tarzan rückentwickelt
wird, oder wie der rätselhafte Luftgeist Ariel, dem der unförmig
aufgeblasene Körper einer Botero-Figur verpasst wurde - nichts, aber
auch gar nichts wurde hier versucht, sich dem Sturm zu stellen. Nicht einmal
einen Anflug von Charme hat dieses sinnentleerte Spektakel.<
|
|