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Wo liegt Klein-Ruppin?
In einem Film-Märchenland, beidseitig angesiedelt östlich und
westlich von Elbe und Werra. Wo liegt das Kosmos-Kino? Ein Ort mit deutsch-deutscher
Gegenwart (und übrigens günstigen Kinoeintrittspreisen montags
bis donnerstags), schon weniger märchenhaft gelegen an der Frankfurter
Allee zu Berlin-Friedrichshain. Und was hat das Herbstmärchen (und
damit ja der indirekte Verweis auf Heine) mit dem ganzen zu tun? Und warum
sollte man sich den Film anschauen, auch wenn man älter als 18 ist?
"Klein-Ruppin Forever" ist ein deutscher Film dieses Spätsommers
unter der Regie von Carsten Fiebeler. Formell kommt er zunächst als
eine Verwechslungskomödie und Liebesromanze daher, angesiedelt im
Jahr 1985. Der 18jährige Tim (Tobias Schenke in einer Doppelrolle)
aus reichem Hause trifft zufällig bei einer Ein-Tages-Klassenfahrt
von Bremen nach Klein-Ruppin / DDR zunächst auf Jana (sehr überzeugend
lebendig: Anna Brüggemann) und dann auf seinen eineiigen Zwilling
Ronny, der als Baby in der DDR zurückblieb. Ronny schlägt Tim
bewusstlos und tritt in seiner Rolle als "Westler" im Schulbus
die Rückfahrt nach Bremen an. Tim, von allen als Ronny angesehen,
findet sich in der "Nischengesellschaft" der DDR wieder; die
Repräsentanten des Systems zwingen ihn, sich dem alltäglichen
DDR-Alltag anzupassen. Obwohl ihm zunächst niemand glaubt, entdeckt
er vor allem durch Jana, seinen Ost-Adoptivvater Erwin (wie immer die
Facetten seines Charakters ausspielend: Michael Gwisdek) und Ronnys Freunde
liebevolle und persönliche Seiten des Lebens, die er bei allem Wohlstand
im Westen innerlich vermisst hat. Nach einigen Wochen bietet sich Tim/Ronny
jedoch als Mitglied des lokalen Schwimmkaders die Möglichkeit zu
einer Wettkampfteilnahme genau in Bremen. Dort sucht er Ronny/Tim und
seine West-Adoptiveltern auf. Die ganze Sache scheint aufzugehen, weil
für alle das neue Arrangement vorteilhaft erscheint, einschließlich
der Tennis-Akademie in Florida für Tim - wenn da nicht Jana als große
Liebe in Klein-Ruppin wäre. Tim sitzt schon im Taxi zum Flieger nach
USA. Doch er entschließt sich, mit der DDR-Mannschaft nach Klein-Ruppin
zurückzukehren, wo nicht nur Erwin und der menschelnde Stasi-Mann
auf Tim/Ronny warten, sondern vor allen Dingen Jana ihn überglücklich
in die Arme schließt. So hat Tim auf seiner "Heldenreise"
buchstäblich zu seinem besseren Ego gefunden und kann mit Jana eine
gemeinsame Zukunft in der DDR planen.
Carsten Fiebeler hat mit "Klein-Ruppin Forever" einen Märchenfilm
gedreht, der eines Tages mit Sicherheit in der Retrospektive der Berlinale
laufen wird, wahrscheinlich gleich neben "Berlin is in Germany".
Das Märchenhafte bezieht sein Film aus der Zeit, in der er angesiedelt
ist, 1985. Der Schreiber dieser Zeilen kennt die späte alte Bundesrepublik
aus eigenem Erleben. Fiebeler trifft trotz einiger Überzeichnungen
die Atmosphäre der damaligen Zeit durchaus, wie sie sich für
Jugendliche des wohlhabenden Mittelstandes darstellen konnte. Erhellend
ist aber die Sichtweise auf die DDR in diesem Film. Fiebeler, man merkt
es, möchte die aus heutiger Sicht allzu gängigen West-Klischees
über die DDR vermeiden. Auch die Nebendarsteller für das Leben
im Osten sind schon visuell gut und ohne Arroganz ausgesucht; jeder, der
häufiger in der DDR war oder Transit gefahren ist, wird dem zustimmen
können. Unstimmigkeiten wollen wir einmal beiseite lassen - so etwa
das Tragen einer offiziellen DDR-Badekappe mit Adidas-Schriftzug (ein
"Merchandising-Märchen"?), das Mitführen einer Video-Kamera
in die DDR und vor allen Dingen die Darstellung des Grenzregimes bei Tim/Ronnys
Fluchtversuch. Letztere ist dramaturgisch gleichzeitig ein filmischer
Wendepunkt für den inneren Wandel des Protagonisten. Und hier ist
es auch, wo der Film seinen eigentlichen Charakter als romantisches Märchen
offenbart.
"Klein-Ruppin Forever" zeigt unterschwellig die DDR so, wie
der uninformierte West-Bürger und eben besonders die West-Jugend
sich die DDR Mitte der achtziger Jahre vorstellten - falls sie überhaupt
eine Vorstellung über Ostdeutschland besaß. Nur ist es eben
eine romantisch-gefühlvolle Seite, die Tim sich letztendlich für
die DDR entscheiden lässt. Das Märchenhaft-Unreale wird vollendet,
weil bekanntlich nach 1990 andere seiner Generation dann als ignorante
Sendboten genau desjenigen Wertesystems kommen werden, gegen das sich
Tim bewusst ausgesprochen hatte. Tims kuscheliges Klein-Ruppin wird verschwinden
ebenso wie der selbstverständliche Wohlstand des westdeutschen Mittelstandes;
am Ende wird das globalisierte neoliberale und orientierungslose Deutschland
stehen, dessen Kanzler diesen Herbst geschichtsvergessen das Symbol des
Zusammenkommens von West und Ost am liebsten abschaffen würde. Ein
Albtraum-Märchen.
So können wir "Klein-Ruppin Forever" als einen Film begreifen,
in dem sich im Subtext die Sehnsucht nach getrennt-gemeinsamen "märchenhaften"
Zeiten ausdrückt, deren Verluste jetzt erst allmählich sichtbar
und fühlbar werden. Die Bedeutung von Fiebelers Film erweist sich
in der rückwärtigen symbolischen Illustration dessen, an was
es dem gegenwärtigen Deutschland als innerstes strukturelles Kernproblem
mangelt: ein Gefühl für das, was uns zusammenhält und unser
gemeinsames Zusammenleben in Zukunft überhaupt tragen soll.
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