Dieter Kersten / Januar 2005 | |||
Theater: Georges
Feydeau “Zwei Herren, die den Kopf verlieren” Theater: Gerhart Hauptmann “Vor Sonnenuntergang” |
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Am Sonntag, den 5. September 2004 war ich wieder einmal im KLEINEN THEATER in Berlin-Friedenau. Meines Wissens habe ich das Theater schon einmal beschrieben. Es hat maximal 92 Plätze und sehr enge Reihen. Es ist fast ein Wunder, daß es existieren kann. Das Stück, welches ich sah, hieß Zwei Herren, die den Kopf verlieren und stammt von Georges Feydeau. In meinem Knaurs Lexikon der Weltliteratur von 1995 steht über Feydeau folgendes: > Feydeau, Georges (*8.12.1862, † 5.6.1921), - Franz. Dramatiker, schrieb sehr erfolgreiche und theaterwirksame Komödien mit straffer und präziser Handlungsführung. Aus der Fülle seiner Werke seien genannt: Monsieur Chasse (1892), Champignol malgré lui (1S92), La dame de chez Maxim's (1899), Occupetoi d'Amélie (1908), On purge bébé (1910).< Im Programmheft wird ein anderer französischer Dramatiker, Marcel Achard, zitiert, der Georges Feydeau den bedeutendsten Komödienschreiber nach Molière nennt. Beide, Feydeau und Achard, ich muß es gestehen, waren mir bis zum Theaterbesuch und dem Schreiben dieser Zeilen unbekannt. Aber immerhin hat mich diese Mitteilung veranlaßt, etwas ausführlicher über das Stück zu berichten. Die Inhaltsangabe ist so knapp, daß ich sie Ihnen nicht vorenthalten werde: > Szene 1: ZWEI HERREN, DIE IHREN KOPF VERLIEREN = Monsieur A ist zum Tode verurteilt worden, und nun soll er geköpft werden. Aber er ist kein Schwerverbrecher, vielmehr wurde er eigentlich nur durch Zufall und durch unglückliche Umstände, durch Verwirrungen beim Prozeß und natürlich dank der Unfähigkeit der Geschworenen für den Mord an seiner Tante für schuldig befunden. Nun beklagt er ausführlich sein Schicksal. Und hat noch mehr Pech. Denn er gerät ausgerechnet an einen Henker, der nur eines nicht mag: Monologe! Szene 2: DIE GESCHWORENEN = Ein Mann ist zum Geschworenen berufen worden und soll nun über Tod und Leben urteilen. Wie soll er sich entscheiden, und mehr noch, nach welchen Maßstäben soll er urteilen? Die Antwort darauf ist kurios. Szene 3: DER STROHMANN = Eine Frau ist zur Vorsitzenden der radikalliberalen Partei gewählt worden. Da dies öffentlich jedoch nicht auf Verständnis stoßen wird, soll sie einen Strohmann heiraten, der offiziell die Rolle des Parteichefs übernehmen soll. Zwei Kandidaten treffen in der Wohnung der Politikerin zusammen - und glauben, die Heiratskandidatin vor sich zu haben. Eine folgenschwere Annahme. < Alle drei Szenen haben inhaltlich nichts miteinander zu tun. Alle drei Geschichten befassen sich mit der Hilflosigkeit, ja Naivität, von Männern in (leichtfertig?) selbst herbeigeführten Situationen. Die erste Szene war sehr banal, von der zweiten Szene habe ich die kuriose Antwort vergessen, was nur zeigt, daß sie nicht sehr wichtig war, die dritte Szene fand ich am besten: zwei Männer buhlen um die Gunst einer nicht anwesenden und mit ihnen auch nicht bekannten Politikerin. In ihrer Gier nach Geld halten sie sich gegenseitig für die gesuchte Politikerin. Hier, in der dritten Szene, fand ich Molière wieder. Die beiden Schauspieler waren gut, molière-gerecht. Die Theaterplätze waren leider nur zu zwei Drittel besetzt. Das Theater muß gegen Film, Funk und Fernsehen ankommen. Da müssen die Stücke sorgfältig ausgesucht und unter dem Blickwinkel, wie kommt kulturbewußte und kulturbesessene Kundschaft in das Theater inszeniert werden. + + + Ich bin sehr angenehm überrascht. Als ich im Suchsystem Google des Internets den Titel "Vor Sonnenuntergang" eingab, wurden mir ca. 39 600 Webseiten angezeigt. Auch wenn der größte Teil doppelt oder unerheblich sein wird, so ist es doch beachtlich, daß das Schauspiel von Gerhart Hauptmann so viel Beachtung findet. Ich hätte diesen Beitrag fast mit der Bemerkung begonnen, daß Gerhart Hauptmann ein vergessener Schriftsteller ist. Das ist, ich bekenne es, ein großer Irrtum. Am 8. Dezember 2004 habe ich im Maxim-Gorki-Theater in Berlin-Mitte das Stück Vor Sonnenuntergang in einer Inszenierung von Volker Hasse gesehen. Bevor ich auf die moderne Inszenierung zurückkomme, will ich das Textbuch besprechen. Ich habe es "in einem Zug" vor dem Theaterbesuch gelesen. Es war ein Genuß. Es ist die vorzügliche Sprache, die es möglich macht, ein Textbuch wie eine gute Novelle oder Roman zu lesen. Ich biete es in der beiliegenden Bücherliste an. Ich dokumentiere diesmal, entgegen dem Brauch der vergangenen Jahre, den gesamten Text zu Gerhart Hauptmann aus Knaurs Lexikon der Weltliteratur und habe die Stellen, die das Stück Vor Sonnenuntergang betreffen, fett und kursiv markiert. Da ich kein ausgewiesener Hauptmann-Kenner bin, kann ich die Bemerkungen mit der freiheitlichen Demokratie und tragen einen politisch abwehrenden Charakter nur sehr vorsichtig kommentieren: die damals und heute praktizierte parteiistische "freiheitliche Demokratie" kann auch bei mir nur eine "abwehrende" Haltung erzeugen. Immerhin legt Hauptmann dem treuesten Freund der Hauptfigur, dem Geheimrat Clausen, Professor Geiger, folgende Worte in den Mund: > In der Tat, die neuere Zeit sieht mehr und mehr ihren einzigen Zweck im Profitmachen. < Ein Satz, der damals wie heute so manchen nicht paßte oder paßt. Das gilt auch für den Satz des Geheimrates Clausen im 4. Akt: > Nein, daß mich dieser Kampf aller gegen alle noch einmal reizen könnte. < Nein, mich auch nicht: meine abwehrende Haltung gegenüber dem parteiistischen Kampf aller gegen alle der herrschenden "freiheitlichen Demokratie" ist bekannt. Masse verdirbt, Gemeinschaft erhebt, schrieb der 1932 noch amtierende und politisch aktive Hochmeister des Jungdeutschen Ordens, Artur Mahraun.
Hauptmann,
Gerhart Ich bin also schon mitten im Thema. Die Geschichte spielt in einer wohlhabenden bürgerlichen Umgebung, u.a. in einer hochherrschaftlichen Villa, ein Diener tritt auf und ein Chauffeur wird erwähnt. Die Hauptfigur des Stückes, Geheimrat Clausen, ist ein Firmen - und Familienpatriarch, ein Verleger und Druckereibesitzer mit eigenen leidenschaftlichen literarischwissenschaftlichen Interessen, ein Kunst-und Büchersammler. Er ist der Aufklärung verpflichtet und in diesem Sinn ein Menschenfreund. Er ist siebzig Jahre alt, Witwer und Vater von zwei Töchtern und zwei Söhnen, teilweise verheiratet. Scheinbar plötzlich schafft sich der emotional alleingelassene Clausen eine fünfzig Jahre jüngere Freundin an, die, es gibt keinen Anlaß, es zu bestreiten, ihn liebt (bewundert?) und die er heiraten will. Seine Kinder, für deren emotionale Entwicklung und Erziehung er, so scheint es, nichts getan hat, widersetzen sich dieser Heirat aus Angst um ihr Erbe. Sie wollen ihn entmündigen lassen. Der sonst so "überlegene" Patriarch Clausen zerbricht an diesem Widerstand und stirbt. Dieser Stoff, von Gerhart Hauptmann hochdramatisch und mit vielen Schattierungen verarbeitet, ist von Volker Hasse sehr konzentriert mit einem sehr modernen Bühnenbild inszeniert worden. Volker Hasse ist es dabei gelungen, den Spannungsbogen vom Anfang bis zum Ende zu erhalten, wenn auch das Ende - leider! - nicht ganz den Intentionen und dem Textbuch Hauptmanns entspricht. Ich habe es sehr positiv, ja mit Erstaunen, erfahren können, wie gut ein Regisseur durch die Körpersprache der Akteure Verhaltensmuster sichtbar machen kann. Die Uraufführung fand am 16. Februar 1932 in Berlin am Deutschen Theater statt. Die Premiere dieser Inszenierung fand am 18. September 2004 statt. Das Theater war, mitten in der Woche gut besucht. Natürlich ist mir der Satz aus Knaurs Lexikon der
Weltliteratur auch aufgefallen: > Nach der Machtergreifung Hitlers
bekannte er sich zum Nationalsozialismus.< Das wird in meinem 24-bäadigen
Brock-haus nicht bestätigt. Ich denke, hier ist die Tendenz mancher
bundesdeutscher Schreiberlinge sichtbar, all diejenigen, die sich nicht
zu einer konfusen freiheitlichen Demokratie westlich-kapitalistischen
und us-amerikanischen Musters bekennen, in die Nazi- bzw. Kommunisten-
Schublade zu packen. Bei der Nazi- Anschuldigung hat sicher auch die Tatsache
eine Rolle gespielt, daß Gerhart Hauptmann zwischen 1933 und 1945
nicht in das Exil gegangen ist. Wenn jemand der deutschen Sprache so verbunden
war wie Gerhart Hauptmann, dann geht man nicht in das fremdsprachliche
Exil. |
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