Martin Rust - Januar 2005 | |||
Neustrelitz - kleine Reiseimpressionen | |||
Da war uns also durch eine Versicherung ein Gutschein für eine Hotelübernachtung samt Frühstück ins Haus geschneit. Nun gut, dachten wir uns, das setzt natürlich der Entfernung von Berlin aus Grenzen. Obwohl wir theoretisch damit weltweit hätten übernachten können. Aber eben nur übernachten. Nicht hinfliegen! Also, nichts mit Hawai oder Tahiti Auch London ist per EasyJet kein Deal, wenn man vier Wochen vorher buchen muß... Warum also in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah'? So dachten wir es uns und entschieden uns für ein etwas versetztes Spätherbstwochenende für Neustrelitz und Umgebung, nur etwa 80 km nord-östlich von Berlin. Es liegt ein grauer kalter Wolkenhimmel über uns, als wir die große Stadt Berlin verlassen. Noch mal an der Prenzlauer Allee tanken. Na, denk ich so bei mir, mit einer gewissen inneren Spannung, das kann ja was werden, zwei triste Tage in der Einöde. Immer wieder beschlagen die Fenster: entweder ist die Heizung kaputt oder es ist einfach so feuchtkalt. Das Auto zieht dennoch seine Bahn, die B 96 entlang. Und dann entschließt sich doch die Sonne, auf unsere Seite zu treten. Erst zögerlich, dann immer deutlicher treibt ihre erhellende Kraft die Kumulus- und Zirruswolken auseinander. Wir schauen aus dem Auto, dichte grüne Wälder wachsen entlang unserer Strecke, und dann haben wir den Nordbrandenburger Laub-Mischwald verlassen und sind in das Reich der Kiefern eingetreten. Der Himmel über uns ist makellos blau. Wir passierten Fürstenberg, romantisch und leicht verfallen.
Das "Hotel Schloßgarten" ist wahrlich ein Kleinod, nur durch den Tiergarten vom Zierker See getrennt, unmittelbar auch in der Nähe des ehemaligen großherzoglichen Marstalls gelegen, der heute das Theater beherbergt. So wundert es denn nicht, daß das im Erdgeschoß liebevoll im Biedermeierstil ausgestattete Hotel sich in einem ehemaligen Adelspalais von 1820 eingerichtet hat. Die 24 Zimmer sind dabei gut und entsprechen modernsten Ansprüchen ausgestattet. Wir bekommen ein extra ausgewiesenes Nichtraucherzimmer. Dabei sind mir doch schon vor zwei Stunden die Zigaretten ausgegangen und ein erstes Ziel ist es, neue zu beschaffen.... Zurück in die Stadt. Sonnig ist es - und bitterkalt! Und unsere Mägen wollen gefüttert werden. Wir schauen auf den Zierker See, wir erträumen uns ein gutes Essen mit Seeblick im "Bootshaus". Aber leider: der Gastraum des scheinbar ersten Restaurants am Platze ist völlig verraucht, und nach ca. 15 Minuten ist noch niemand an unseren Tisch gekommen, um uns wenigstens die Karten zu reichen. Dienstleistungswüste Deutschland. So verlassen wir das erste Haus am Platze (aber Zigaretten habe ich jetzt in der Tasche, immerhin). Leider platzen unsere Mägen überhaupt nicht, und wir stellen bei einem mehr als einstündigen Spaziergang über die sternförmig-barocken Straßen Neustrelitz' fest, daß am frühen Sonntag nachmittag das erste Restaurant auch das einzige ist. Nichts hat vor 17 Uhr offen, noch nicht einmal der "Chinese". Aber nach dieser Demütigung zurück zu der Dragonerkellnerin, quasi hungrig die Hand aufhalten? Niemals, nicht mit uns. Es gibt zugegebenermaßen darüber zwischen uns philosophische Diskussionen, ab wann bei leeren Mägen der Stolz zurückgestellt werden sollte.... Wie sagte schon Marx? Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Stimmt irgendwie, zumindest in solchen Momenten. Und wir frieren... Dann, nach fast anderthalb Stunden - alles scheint bereits verloren: das Essen, die Stimmung, die Aussicht - eine Entdeckung, die weiland Kolumbus nicht mehr gefreut haben kann. Versteckt wie ein Bootshaus hinten am Steg: die Inselgaststätte "Helgoland". Beim Betreten des behaglichen Schankraumes werde ich an eine ostfriesische Gaststätte erinnert, Einheimische schauen uns neugierig und freundlich an. Drinnen ist es gemütlich warm. Sofort kommt die Inhaberin auf uns zu und fragt uns tatsächlich erst mal, ob wir vielleicht einen Grog wünschen. Im Sausewind ist unsere schlechte Laune verflogen und weicht einem wohligen Gefühl des Angenommenseins. Wir folgen unseren inneren Triebkräften und entscheiden uns doch für ein großes Essen mit allem Drum und Dran. Man wirft sogar die Küche für uns an. Nicht auszudrücken, wie dankbar wir der freundlichen Frau sind. Selbst die Aussicht mit dem winterlich frühen Sonnenuntergang über dem Zierker See wird Wirklichkeit - wir dürfen im draußen vorgelagerten Wintergarten Platz nehmen. Spätestens, als die dampfenden Teller vor uns stehen, geht der Nachmittag in vollendete abendliche Harmonie über. "Helgoland" sei Dank! Irgendwann müssen wir doch hinaus in die schneidende frühwinterliche Kälte. Damit haben wir ja nicht gerechnet. Wir hasten durch die Straßen und bibbern. Und dann fällt uns erneut auf, was schon bei Helligkeit sichtbar war: So viele Fenster sind dunkel und leer, keine Lichter und keine Gardinen. Niemand wohnt dort. Neustrelitz, heute ungefähr 28 000 Einwohner, hat in den letzten zehn Jahren etwa 7 000 Menschen verloren. Die schönsten, aufwendig renovierten, Altbauten stehen leer. Wer soll da mal einziehen? Und wann? Als wir ins Hotel zurückkehren, bemerken wir, wie kühl im Gegensatz zu unserem Zimmer die Flure sind. Es werden Kosten gesenkt, und bei insgesamt vier Gästen an diesem Wochenende ist das wohl leider notwendig. Auch die Vorstellung des Landestheaters Mecklenburg - Vorpommern, Bühne Neustrelitz, fand nicht statt. Auf dem Spielplan stand eine musikalische Revue - "Kauf dir einen bunten Luftballon.... Opium für alle!" Der Theaterzettel erläutert dazu: " ....zeigt die Musik auch als Rausch ins Glück. Dieser große Traum treibt viele Menschen an, gerade heute, wo die Freiheit ihre eiserne Maske wieder unverhüllter zeigt". An diesem klirrend kalten Sonntagabend wollen nicht so viele Neustrelitzer schon in der ersten Vorstellung nach der vortäglichen Premiere diese Maske erblicken. Wie deprimiert müssen sich die Schauspieler fühlen? So wird es also ein kuscheliger Fernsehabend, während draußen die Minusgrade purzeln. TV total statt Kultur könnten böse Zungen sagen; jedoch das Programm ist gut (es gibt ja nicht nur RTL) und außerdem planen wir unseren nächsten Tag in der wundervollen Landschaft und in Rheinsberg. Beim Einschlafen mit Sicht auf den vollen Mond freuen wir uns am Ende auf das Frühstück im Biedermeier-Salon unseres kleinen romantischen Hotels.... Kleine Reiseinformation: |
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