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Ein
kalter Freitagabend, 18 Uhr. Eine Schneefront treibt auf Frankfurt zu,
damit auch auf das Friedrich-Hölderlin-Gymnasium. Neun Lehrer versammeln
sich dort in der Schulbücherei, um auf einer dringlich einberufenen
Klassenkonferenz über die schulische Zukunft des 18jährigen
Victor Leysen zu entscheiden. Er wird von der Mutter seiner siebzehnjährigen
Mitschülerin und Theaterkollegin Tizia beschuldigt, diese nach der
gemeinsamen Theaterprobe im Heizungskeller vergewaltigt zu haben. Aber
auch Viktors Vater, ein in den USA lebender Rechtsanwalt, versucht die
Schule unter Druck zu setzen. Und so kalt es in der anfangs ungeheizten
Schulbibliothek auch ist - die schnell herannahende Schneefront und der
Wunsch, nach Hause zu kommen, der äußere Druck auf die Schule
und vor allem der Druck zwischen den einzelnen Lehrern, vor allem aber
in ihnen, lassen die Hitze bei den Auseinandersetzungen rasch ansteigen...
Regisseur Niki Stein verfilmte im Auftrag des Hessischen
Rundfunks und ARTE 2004 in nahezu Echtzeit das Drehbuch von Bodo Kirchhoff
über eine Klassenkonferenz. Der Film wurde von ARTE am 4. Februar
ausgestrahlt (Sendetermin in der ARD im Herbst). Der Film zeigt von der
ersten Sekunde an, um welche Themen es ihm geht: die Darstellung von Einsamkeit
und Leidenschaft. Die Musik von Jacki Engleken und Ulrike Spies findet
nie über die matten Mollklänge hinaus, während die Kamera
von Arthur W. Ahrweiler unbarmherzig fast ständig den Konferenztisch
umkreist und die blassen, müden Gesichter einfängt, nur unterbrochen
von harten Gegenschnitten frontal auf die Gesichter der Protagonisten
gerichtet. Das Licht ist so hart und grausam wie es kalt leuchtende Neonröhren
in deutschen Schulen nun mal sind (es wurde in einer echten Schule gedreht)
und läßt die Erschöpfungsfalten bei den älteren Lehrern
(Ausnahme natürlich: Senta Berger als Schulleiterin Cornelia Cordes)
deutlich hervortreten. Im Verlauf der Konferenz wird bei jedem Beteiligten
klar, wo die verdeckten oder zugeschütteten Leidenschaften liegen.
Und während der Schneefall und die Schärfe der Auseinandersetzung
zunehmen, wird deutlich, wie alle auch in ihren Einsamkeiten gefangen
sind: das Lehrerehepaar, das sich jahrelang Illusionen über den Charakter
ihrer Beziehung gemacht hatte; der schöngeistige Lateinlehrer, der
trotz seines einsamen Kämpfens für die Humanität droht,
zur Don-Quijote-Gestalt zu werden; auch der junge attraktive Sportlehrer,
dem diese Tatsachen bei der Kunstlehrerin nichts nutzen und der trotzdem
vom Schüler Leysen der Lächerlichkeit preisgegeben worden ist;
im Grunde sogar die Schulleiterin selbst, deren Liebesverhältnis
zu einem Kollegen von gleichfalls eben diesem Schüler zerstört
wurde.
Ein kalter, ein einsamer Blick in die deutsche PISA-Schule
mit bösartigen Schülern und lauter Professor Unrats, die an
ihrem eigenen Tun verzweifeln? Vielleicht leistet der Film das auch. Auf
jeden Fall ist er in Maske und Ausstattung ein kleines Meisterstück.
Warum schaffen es Lehrer in Deutschland seit langem einfach nicht mehr,
durch ihr äußeres Erscheinungsbild so etwas wie Abgrenzung
und Respekt bei Schülerschaft und Eltern zu erzeugen? Sind Arbeitsplätze
für Lehrer wirklich so ungemütlich? Sind Lehrer so selbstgerecht?
Ja, doch ehe der Film hier in Klischees versinken kann, wird er von einem
großartig agierenden Ensemble aufgefangen. Bis auf drei Schnittwechsel
bleiben Kamera und Ensemble kontinuierlich im Raum, am Tisch und verlangen
schauspielerische Höchstleistungen, äußerste Konzentration
und eine Textsicherheit, die keine Schwächen duldet.
Am Ende, nach mehrfachen Positionswechseln fast aller
Beteiligten in der Sache, wird die Entscheidung durch einen alten Titel
der Rolling Stones befördert: "(Don't ) Play with Fire".
Die Einheit von Raum und Zeit wird aufgehoben, der Schneefall endet und
die Charaktere können die Bühne verlassen, nun ihrer selbst
und ihrer Einsamkeit mehr gewiß als zuvor? Vielleicht einige, aber
nicht alle: die gefällte Entscheidung ist pragmatisch-zynisch und
offenbart noch in ihrer Begründung die dahinter stehende Hohlheit
des heutigen pädagogischen Klimbims und der zugehörigen Phraseologie.
"Don't Play with Fire" - das möchte man an dieser Stelle
nicht nur den den Lehrern des Hölderlin-Gymnasiums, sondern zugleich
großen Teilen des deutschen Schulwesens und seinen Akteuren zurufen.
Die Konferenz (D 2004) von Niki Stein, mit Senta Berger,
Nina Petri, Jan-Gregor Kremp, Rudolf Kowalski, Günter Maria Halmer,
Ulrike Kriener, Peter Fitz, Sophie von Kessel, Wotan Wilke Möhring
u.a.; 90 Min.; nominiert für den Publikumspreis beim Filmfest München
2004. Ausstrahlung in der ARD im Herbst. Eine anschließende Fortsetzung
als Roman ist von Bodo Kirchhoff geplant. Ich bedanke mich bei ARTE für
die Überlassung einer Videoaufzeichnung.
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