Dieter Kersten - Januar 2006    
Operette: Emmerich Kálmán „Die Csárdásfürstin“  
     
 

> Ist das wirklich Kitsch? Na gut. Wenn schon! Was haben wir gesagt, wenn wir das als Kitsch kategorisiert und abgetan haben? Übrigens glaube ich nicht, daß Kálmáns Komposition Kitsch ist. Zum Kitsch gehört doch wohl, daß er schlecht gemacht ist. Und Kálmáns Musik ist keineswegs schlecht. Außerdem denke ich, wir haben ein Recht auf Kitsch. Wenn Scarlett O'Hara und Rhett Butler sich weinend in die Arme fallen, das tut doch gut. Man darf solche Sachen nur nicht mit dem Leben verwechseln. Statt uns mit raschen geschmäcklerischen Urteilen abzugeben, sollten wir, denke ich, besser danach fragen, warum es ein Bedürfnis nach solchen Sachen gibt, was dieser Wunsch nach Flucht aus der Realität über die Realität eigentlich aussagt. Auf diese Weise kann man den angeblichen Kitsch sozusagen emanzipieren, ihm einen Sinn abgewinnen, der durchaus aktuell ist. <

Dieser Textteil stammt von Andreas Homoki und ist im Programmheft zu der Operette Die Csárdásfürstin von Emmerich Kálmán abgedruckt. Das Libretto haben Leo Stein und Béla Jembach geschrieben. Ich sah und hörte die Operette am 8. Oktober 2005 in der Komischen Oper Berlin. Es war die 30ste Aufführung nach der Premiere am 7. September 2003.

Der am Beginn dieser kulturpolitischen Betrachtung kursiv wiedergegebene Textteil gibt dürr-romantisch wieder, was viele Operetten-Muffel einem - mir - mit hochgezogenen Augenbrauen sagen wollen: auch Du, Sohn Brutus, siehst dir diesen Kitsch an?

Emmerich Kálmán, ungarischer Operettenkomponist, wurde am 24. Oktober 1882 in Siófok am Plattensee geboren und starb am 30. Oktober 1953 in Paris. Kálmán wurde - darf ich es so schreiben? - in die k.u.k. Wiener Operettenherrlichkeit hineingeboren, in der die damaligen erotischen Phantasien, der gesellschaftliche Schein und die gesellschaftliche Wirklichkeit, meistens im Walzertakt, zu einer uns heute manchmal simpel erscheinenden Handlung durcheinander gewirbelt wurden. Unterlegt wurden die Handlungen oft mit einer Musik, deren Melodien zu „Gassenhauern“ wurden. Woerlitz

Die Csárdásfürstin war ein Kind des 1. Weltkrieges, mit apokalyptischem Hintergrund: > Jaj, Mamán, Bruderherz, ich kauf Dir die Welt! Jaj, Mamán, was liegt mir am lumpigen Geld! Weißt du, wie lange noch der Globus sich dreht, ob es morgen nicht schon zu spät <. Die Operette wurde am 17. November 1915 in Wien uraufgeführt.

> Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht ... <, > War auch nur flüchtig der Traum, schön war doch ... <, > Das ist die Liebe, die dumme Liebe ...<, > Ich warte auf das große Wunder, trallala, ... <, > Machen wir's den Schwalben nach, baun wir uns ein Nest ... <, > Ja, ja, das waren traute Zeiten, die sind für immer vorbei ... <, und einiges mehr an Melodien bietet diese Operette. Sie ist, und das sollte wohl in der Berliner Inszenierung besonders herausgearbeitet werden, auch ein Abgesang auf die erotischen Männerfantasien, die sich mit den Mädchen vom Variété und Ballet im 19. und 20. Jahrhundert befassen.
Ob es in eine solche Inszenierung paßt, daß die männlichen und weiblichen Protagonisten sich ständig auf den Brettern des Theaters sielen, weiß ich nicht. Vielleicht wollten Andreas Homoki (Inszenierung) und Werner Hintze (Dramaturgie) die erotische Komponente noch verstärken. Kann es nicht auch sein, daß die Frauen diese männlichen erotischen Fantasien mehr lieben als ihr emanzipatorisches Geschrei es vermuten läßt? Zum Schluß wurden den Männern ihre Fantasien mit Spritzen in den Hintern ausgetrieben, was sicher in dem Urlibretto nicht vorkommt. Sind es doch diese Fantasien, die uns so spritzige Operetten liefern!

Die Sängerinnen und Sänger haben gut gesungen und gespielt, natürlich auch die Chorsolisten und das Orchester der Komischen Oper. Das Theater war gut besucht, der Applaus war stürmisch.

Ich habe übrigens ein wenig im Internet gesurft und festgestellt, daß sich Die Csárdásfürstin großer Beliebtheit erfreut, auch wenn viele Webseiten nicht gepflegt sind. Die Wiener Volksoper ist die einzige Webseite, auf der eine kurze Video-Sequenz und Musikausschnitte angeboten werden. Wie es mir scheint, sind die Inszenierungen außerhalb Berlins nicht „gesellschaftskritisch“ angelegt, sondern sie folgen der spritzigen Musik und Handlung.

Ach ja, zum Schluß: Das Bühnenbild von Hartmut Meyer war sehr langweilig.

 
     
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