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Ist das wirklich Kitsch? Na gut. Wenn schon! Was haben wir gesagt, wenn
wir das als Kitsch kategorisiert und abgetan haben? Übrigens glaube
ich nicht, daß Kálmáns Komposition Kitsch ist. Zum
Kitsch gehört doch wohl, daß er schlecht gemacht ist. Und Kálmáns
Musik ist keineswegs schlecht. Außerdem denke ich, wir haben ein
Recht auf Kitsch. Wenn Scarlett O'Hara und Rhett Butler sich weinend in
die Arme fallen, das tut doch gut. Man darf solche Sachen nur nicht mit
dem Leben verwechseln. Statt uns mit raschen geschmäcklerischen Urteilen
abzugeben, sollten wir, denke ich, besser danach fragen, warum es ein
Bedürfnis nach solchen Sachen gibt, was dieser Wunsch nach Flucht
aus der Realität über die Realität eigentlich aussagt.
Auf diese Weise kann man den angeblichen Kitsch sozusagen emanzipieren,
ihm einen Sinn abgewinnen, der durchaus aktuell ist. <
Dieser Textteil stammt von Andreas Homoki und ist im Programmheft zu der
Operette Die Csárdásfürstin von Emmerich
Kálmán abgedruckt. Das Libretto haben Leo Stein und Béla
Jembach geschrieben. Ich sah und hörte die Operette am 8. Oktober
2005 in der Komischen Oper Berlin. Es war die 30ste Aufführung
nach der Premiere am 7. September 2003.
Der am Beginn dieser kulturpolitischen Betrachtung kursiv wiedergegebene
Textteil gibt dürr-romantisch wieder, was viele Operetten-Muffel
einem - mir - mit hochgezogenen Augenbrauen sagen wollen: auch Du, Sohn
Brutus, siehst dir diesen Kitsch an?
Emmerich Kálmán, ungarischer Operettenkomponist, wurde am
24. Oktober 1882 in Siófok am Plattensee geboren und starb am 30.
Oktober 1953 in Paris. Kálmán wurde - darf ich es so schreiben?
- in die k.u.k. Wiener Operettenherrlichkeit hineingeboren, in der die
damaligen erotischen Phantasien, der gesellschaftliche Schein und die
gesellschaftliche Wirklichkeit, meistens im Walzertakt, zu einer uns heute
manchmal simpel erscheinenden Handlung durcheinander gewirbelt wurden.
Unterlegt wurden die Handlungen oft mit einer Musik, deren Melodien zu
„Gassenhauern“ wurden.
Die Csárdásfürstin war ein Kind des
1. Weltkrieges, mit apokalyptischem Hintergrund: > Jaj, Mamán,
Bruderherz, ich kauf Dir die Welt! Jaj, Mamán, was liegt mir am
lumpigen Geld! Weißt du, wie lange noch der Globus sich dreht, ob
es morgen nicht schon zu spät <. Die Operette wurde am 17. November
1915 in Wien uraufgeführt.
> Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht ... <, > War auch nur
flüchtig der Traum, schön war doch ... <, > Das ist die
Liebe, die dumme Liebe ...<, > Ich warte auf das große Wunder,
trallala, ... <, > Machen wir's den Schwalben nach, baun wir uns
ein Nest ... <, > Ja, ja, das waren traute Zeiten, die sind für
immer vorbei ... <, und einiges mehr an Melodien bietet diese Operette.
Sie ist, und das sollte wohl in der Berliner Inszenierung besonders herausgearbeitet
werden, auch ein Abgesang auf die erotischen Männerfantasien, die
sich mit den Mädchen vom Variété und Ballet im 19.
und 20. Jahrhundert befassen.
Ob es in eine solche Inszenierung paßt, daß die männlichen
und weiblichen Protagonisten sich ständig auf den Brettern des Theaters
sielen, weiß ich nicht. Vielleicht wollten Andreas Homoki (Inszenierung)
und Werner Hintze (Dramaturgie) die erotische Komponente noch verstärken.
Kann es nicht auch sein, daß die Frauen diese männlichen erotischen
Fantasien mehr lieben als ihr emanzipatorisches Geschrei es vermuten läßt?
Zum Schluß wurden den Männern ihre Fantasien mit Spritzen in
den Hintern ausgetrieben, was sicher in dem Urlibretto nicht vorkommt.
Sind es doch diese Fantasien, die uns so spritzige Operetten liefern!
Die Sängerinnen und Sänger haben gut gesungen und gespielt,
natürlich auch die Chorsolisten und das Orchester der Komischen Oper.
Das Theater war gut besucht, der Applaus war stürmisch.
Ich habe übrigens ein wenig im Internet gesurft und festgestellt,
daß sich Die Csárdásfürstin großer Beliebtheit
erfreut, auch wenn viele Webseiten nicht gepflegt sind. Die Wiener Volksoper
ist die einzige Webseite, auf der eine kurze Video-Sequenz und Musikausschnitte
angeboten werden. Wie es mir scheint, sind die Inszenierungen außerhalb
Berlins nicht „gesellschaftskritisch“ angelegt, sondern sie
folgen der spritzigen Musik und Handlung.
Ach ja, zum Schluß: Das Bühnenbild von Hartmut Meyer war sehr
langweilig.
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