Martin Rust - Juni 2006    
Konkurrenzhof London  
     
 

Den Mitgliedern der Deutsch-Britischen Gesellschaft, Regionalgruppe Berlin-Brandenburg, stand Ende April ein besonderer Event ins Haus. „Konkurrenzhof London“ – bezogen auf den preußischen Hof zu Berlin im 18. Jahrhundert – hieß die Veranstaltung, die aus drei Teilen bestand. Zunächst gab es eine einstündige Führung durch das Gebäude der Staatsoper Unter den Linden, danach ein gemeinsames Kaffeetrinken im „Opernpalais“ gleich daneben und schließlich als Höhepunkt die Staatskapelle Berlin mit einem zweistündigen Konzert unter dem Titel „Preußens Hofmusik – Was spielte man in London?“

Die Führung durch die Oper war insofern recht interessant, da sie auch das Bühnenhaus und die technischen Details der Unterbühne beinhaltete. Eins wurde auf jeden Fall klar: die versprochenen Sanierungsgelder sind fünfzig Jahre nach dem Wiederaufbau wirklich notwendig. Es unterstreicht die Qualität der Musiker und  Daniel Barenboims, daß sich Weltstars der Oper mit den, ehrlich gesagt, ans schäbige grenzenden Künstlergarderoben zufrieden geben. 1742 erbaut, wurde das Haus dreimal in seiner Geschichte jeweils fast völlig zerstört, das letzte Mal gleich zweimal hintereinander, 1941 und 1945. Zum zweihundertjährigen Jubiläum, nach der Feuerkatastrophe durch britische Brandbomben, ließ Hitler mit großem propagandistischen Aufwand mitten im Krieg die Oper wieder aufbauen. Einer der letzten großen Luftangriffe auf Berlin im Februar 1945 legte den Kunsttempel erneut in Schutt und Asche, bis dann zehn Jahre später der dritte Wiederaufbau erfolgte. Die königliche und aller anderen Logen wurden entfernt. Ein Rangsitzsystem wurde eingeführt. Heutzutage ist die Oper eher durch Kürzungen bedroht denn durch Kriege. Wünschen wir dem Haus für die Zukunft alles Gute.

Die musikalische Aufführung beinhaltete Werke von Händel, Carl Friedrich Abel, Johann Christian Bach, Thomas Linley und Henry Purcell. Die so genannte „Alte Musik“ – also vor dem Beginn der „Wiener Klassik“ (Joseph Haydn u.a.) – erschließt sich dem heutigen nicht fachkundigen Zuhörer nicht so leicht, auch wenn Mozart als Bindeglied gelten kann. Interessant ist es auf jeden Fall, mit der Sinfonie Nr. 18 Es-Dur op. 7/6  ein Frühwerk des damals erst 17jährigen J.C. Bach zu hören, welches er während seines kurzen Aufenthaltes in Berlin schrieb, bevor er nach London weiterzog. Gleiches gilt für „Ouverüre und Menuett D-Dur zu einer Shakespeare-Ode“ von Thomas Linley. Der Komponist starb schon im Alter von 22 Jahren; so ist also auch dieses Werk als die Schöpfung eines fast noch Jugendlichen anzusehen, der übrigens von Mozart – genauso alt - hoch geschätzt wurde. Während des Hörens tauchte beim nichtfachmännischen Autor die innere Frage auf, ob sich denn die vermutlich ungestüme Jugendlichkeit der Komponisten irgendwie musikalisch ausdrücken würde, da sich ja rein optisch und auch vom heutigen Publikum her der Altersdurchschnitt von Musikern und Musikgenießern eher jenseits der 50 befindet. Und natürlich orientiert sich auch das heutige Ambiente der üblichen Aufführungsorte dieser „Jugendmusik“ eher an den älteren Jahrgängen. Eigentlich eine recht interessante Fragestellung im Mozartjahr, denn auch der junge Mozart schrieb ja vielfach „Gassenhauer“ für die Wiener Dienstbotenmaderln und Kutscherburschen, die seine eingängigen Melodien in den Straßen nachpfeifen konnten. Jedenfalls konnte der Autor diese Fragen für sich nicht lösen; vielleicht kann es ja der eine oder andere unserer Leser für sich. Abel und Bach, ähnlich wie in unsere Tagen Siegfried und Roy (man verzeihe mir den Vergleich) waren mit ihren aktuellen Musikshows (modern ausgedrückt) um 1770 fast zwanzig Jahre sehr erfolgreich, bevor dann das Interesse nachließ und sie bankrott gingen, weil sich ihr eigens für ihre Konzerte erbautes steinernes Musiktheater finanziell nicht mehr trug; sie konnten die von den Baukosten herrührenden Schulden nicht mehr tragen. So etwas ist uns bis heute aus dem Musikbusiness nur allzu bekannt. Musikhistorisch können Abel und Bach allerdings als die ersten großen Gestalten für die Durchsetzung des kommerziellen Prinzips in der Aufführung von Musik überhaupt gelten, kein Wunder für die damalige „Welthauptstadt“ London.

 
     
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