Dieter Kersten - Oktober 2008    
 

Revue: "Sommerevue"
Theater: Carlo Goldoni: "Mirandolina"

 
     
 

(D.K.) Im Dezember 1994 habe ich zuletzt über eine Revue im Friedrichstadtpalast berichtet. Sie können diesen Bericht nach-lesen, und zwar auf meiner Web-Seite www.neuepolitik.com.  Es ist der erste und älteste Bericht unter der Rubrik Kultur auf der Webseite.

Nun war ich wieder im Friedrichstadtpalast und zwar am 29. August 2008 zur Sommerrevue, an einem Freitag. Die Programme haben sich in den vierzehn Jahren x-mal geändert. So manche Interpretin/Interpret ist nicht mehr dabei. Trotzdem könnte ich die kritischen Bemerkungen meines Berichtes aus dem Jahr 1994 wiederholen. Ich müßte die Bemerkungen sogar verschärfen. Deutlicher geschrieben: die Vorstellung Sommerrevue im August 2008 war ein Flop.

Am 1. September meldeten die Medien den Hilferuf  des Intendanten Dr. Berndt Schmidt an den Senat (Regierung) von Berlin nach einer Geldspritze = Gesellschafterdarlehen (so die Vokabeln) von 3,5 Millionen Euro, weil sonst der Friedrichstadtpalast seinen Betrieb einstellen müßte. Der Regierende Bürgermeister Wowereit (Ministerpräsident des Landes Berlin) beeilte sich, die Millionen  zuzusagen, obwohl das Abgeordnetenhaus (Parlament) der eigentliche Bestimmer ist. Die regulären jährlichen Subventionen des Theaters betragen 6,1 Millionen Euro. Wenn nicht gründliche Änderungen in die kulturellen Darbietungen und kaufmännischen Gepflogenheiten passieren, wird sich dieser Ruf nach zusätzlichem Geld alle Jahre wiederholen.

Der Tagesspiegel berichtet ebenfalls am 1. September, daß alleine in den letzten Monaten beim Personalabbau 1,5 Millionen Euro Abfindungen  gezahlt worden sind. Vielleicht wundert sich gar keiner mehr? Vielleicht bin ich von gestern? Wer bekommt da in welcher Höhe Abfindungen auf Kosten des Steuerzahlers? Wer kontrolliert das?

Auch wenn ich eingeladen war = das Billett kostete  (pro Stück!!) € 62,70, Parkett A links, Reihe 8.  Von den 1.895 Plätzen waren  höchstens die Hälfte besetzt.

Die Vorstellung am 29. August begann mit dem berühmten CanCan von  Jacques Offenbach. Das Ballett des Hauses tanzte gekonnt gut. Aber da war etwas, was mich störte. Es dauerte einen Moment, bis ich merkte, was los war: das Orchester klang nicht stimmig und die Lautsprecheranlage war zu laut eingestellt  Ich habe den CanCan schon mal musikalisch flotter gehört.

Die Moderatoren Santina Maria Schrader und Peter Wieland standen einsam auf der angeblich  größten Bühne der Welt = 2.200 qm + 700 qm zusätzlich bespielbarer Fläche, und versuchten, Stimmung zu machen. Sie ließen keine Gelegenheit aus, den Friedrichstadtpalast „über den Klee“ zu loben und das Publikum zu nötigen, diese Lobpreisungen zu beklatschen. Ihre Gesangseinlagen waren, vielleicht auch technisch bedingt, fast eine Zumutung. Das gilt ebenfalls für die anderen Sängerinnen und Sänger des Abends. Eine Ausnahme machte der Schauspieler Walter Plathe  mit seinen Chansons aus  den ersten 20 Jahren des vorigen Jahrhunderts. Er hatte den Vorteil, von einem Pianisten auf der Bühne begleitet zu werden. Sehr schwach waren die „Bodenturner“, die im Programmheft gar nicht erst erwähnt wurden. Die Trapezkünstler Peggy & Ronny waren einsam gut. Das waren übrigens die drei einzigen Kleinkunst- bzw. Varieté-Darbietungen.

Während ich meinen Bericht schreibe, habe ich mir einige Notizen gemacht:

  1. Revuetheater
  2. Revue = musikalisches Ausstattungstück
  3. Performance = Vorführung, einem Happening ähnliche künstlerische Aktion
  4. Kleinkunst
  5. Musical
  6. Operette
  7. Varieté entspricht nicht dem Zeitgeist
  8. Varieté = Theater mit wechselndem künstlerischen Programm

Hinzu kommt noch die Wort-Kombination

  1. Show-Entertaiment pur,

2 x englisch + 1 x deutsch, mit der die „Weltpremiere“ im Friedrichstadtpalast am 9. Oktober, „Qi - eine Palast-Phantasie“, angekündigt wird.

Revuetheater und Revue stammen aus der etwas aufgepeppten, nicht ganz korrekten, „100-jährigen“ Geschichte des Friedrichstadtpalastes, und zwar aus den ersten 30 Jahren des vorigen Jahrhunderts (ohne Fernsehen!) und der DDR ab 1984 (mit Fernsehen). In der DDR kamen ganz offensichtlich die Röcke schürzenden, tanzenden hübschen Mädchen des Balletts mit ihren niedlichen Strumpfbändern gut an. Sie brachten eine etwas schlüpfrige, bunte und „heile“ Welt in die graue DDR-Wirklichkeit.

Performance ist ein, für mich, neues Wort, deren Inhalt ich akzeptieren könnte, Kleinkunst auf  kleinen Bühnen natürlich auch. Musical und Operette haben eine Handlung, wie gut oder schlecht sie  immer sein mag,  und sind dadurch meistens ansprechender als eine Revue. Ob das Varieté nicht mehr dem Zeitgeist entspricht, weiß ich nicht.

Die Stichworte stammen aus der Berliner Tageszeitung Der Tagesspiegel, Anfang September Aus dieser Tageszeitung habe ich auch die Informationen, daß die Berliner Theater, Tipi am Kanzleramt, Bar jeder Vernunft, Chamäleon, ohne staatliche Subventionen auskommen und Varieté, Kleinkunst und Performance vereinen, ohne Revue.

Soll der Steuerzahler ein Revuetheater, welches sich überlebt hat, weiter finanzieren? Ich bin dagegen, auch wenn es mir um das reizende Ballett leid tut.

Ein Argument für den Friedrichstadtpalast in der jetzigen inszenatorisch-künstlerischen Ausrichtung ist der, auch von mir gewünschte,  Erhalt des dem Hause angeschlossenen Kinderballetts. Mich würden die betriebswirtschaftlichen Daten sehr interessieren, zum Beispiel, wie viel kostet das Kinderballett alleine, ohne das große Haus Friedrichstadtpalast?
Meine Frage an die Kulturschaffenden, Kulturinteressierten und Kulturkonsumenten wäre darüberhinaus auch: mit welchen Programm-Ideen kann der Friedrichstadtpalast mit seiner großen Bühne und mit seinen exzellenten technischen Einrichtungen, darunter ein 225 t schweres Wasserbecken, erhalten bleiben?

+ + +

(D.K.) Das Deutsche Theater in Berlin-Mitte wird zur Zeit renoviert und hat gegenüber dem festen Haus ein Zelt aufgeschlagen, in dem jetzt Theater gespielt wird. Ich sah dort am 28. September das Lustspiel Mirandolina des italienischen Schriftstellers Carlo Goldoni (1707- 1793).

Das Ambiente des Zeltes paßt vorzüglich zu dem Lustspiel, welches 1752 in Venedig uraufgeführt wurde. Es war die Zeit der umherreisenden Schauspielertruppen. Soweit ich es verstanden habe, war Goldoni ein erfolgreicher Modernisierer der damaligen Aufführungspraxis von Lustspielen, die von Harlekinen mit freier Textwahl bestimmt wurden. Er hatte viele Feinde in der Zunft der Stückeschreiber und ich verdanke es dem Programmheft des Deutschen Theaters, mit Carlo Gozzi (1720–1806), einem Zeitgenossen und Kollegen Goldonis bekannt zu werden. Das Deutsche Theater veröffentlicht in dem Programmheft einen Memoiren-Ausschnitt Carlo Gozzis, ein Zeit- und Sittenbild aus dem  Italien des 18. Jahrhunderts.

Der Komödiendichter Carlo Goldoni (1707–1793), porträtiert von Alessandro Longh

In dem Lustspiel geht es um eine junge Frau, - Mirandolina -, die durch den Tod ihres Vaters Wirtin eines Gasthauses (heute würde man sagen, eines Hotels) geworden ist. Sie wird von vier Männern umworben, wobei sie einen davon, nämlich  einen reichen Ritter, einen Gast mit frauenfeindlichen Sprüchen, mit List und Tücke, zu einem heißen Werber machen wird. Mirandolina entwickelt, für die damalige Zeit, ein erstaunliches emanzipatorisches Vokabular und Geschick, verpackt in ein Spiel, in dem der Adel und seine Konventionen auf eine fröhliche Art und Weise „durch den Kakao gezogen wird“. Auf der Bühne ist ständig Action, manchmal vielleicht etwas überzogen, was aber vermutlich den Zuschauern von 1752 genau so erschienen sein wird. Mirandolina heiratet zum Schluß ihren Hausdiener.

In dem oben erwähnten Text von Carlo Gozzi, der ein heftiger Feind und Kritiker von Goldoni war, steht ein Satz, der mich erstaunt hat: > Die Modeadvokaten und die emanzipierten Frauen bekamen ebenso ihre Stiche ab wie die Poeten des Tages. <.

Da habe ich in der Tat etwas dazu gelernt: es gab die emanzipierten Frauen schon im 18. Jahrhundert und sie waren  gesellschaftlich und literarisch erwähnenswert. Sie sind keine moderne Erscheinung, aber sie sind, wie Mirandolina, auch damals schon aufgefallen, selbstbestimmt und doch liebend.

Es war eine fröhliche Schauspielertruppe, die am 28. September im Zelt des Deutschen Theaters spielte. Um so bedauerlicher war es, daß nur etwa 60 % der Plätze besetzt waren. Die Premiere dieser Berliner Inszenierung war am 12. September 2008. Es gab einen fröhlichen Applaus.

 
     
  Diesen Artikel als PDF-Datei herunterladen Download  
     
  Alle Artikel liegen als PDF - Datei zum herunterladen vor. Um PDF - Dateien zu lesen, benötigen Sie den "Acrobat Reader". Falls das Programm nicht auf Ihrem PC installiert ist, können Sie es sich hier kostenfrei herunterladen. Hompage_Acrobat