Dieter Kersten - Januar / Februar 2009    
 

Oper: "Dido & Aeneas"
Theater: Georg Büchner: "Leonce und Lena"

 
     
 

(D.K.) Ich freue mich, Ihnen etwas erfreuliches aus der bürgerlichen Kulturszene Berlins berichten zu können. Ich war am Dienstag, den 4. November in der Staatsoper Unter den Linden und habe Dido & Aeneas, Text von Nahum Tate, nach dem 4. Gesang der Aeneis von Vergil, Musik von Henry Purcell, gesehen und gehört.

Es war eine sehr lebhafte und farbenfrohe Vorstellung, die gleichsam mit Hilfe der guten Inszenierung und der guten Choreografie spannend war. Gesungen wurde in der Originalsprache Englisch, mit deutschen Untertiteln per Leuchtschrift oberhalb der Bühne.

Mitwirkende waren nicht nur das Ensemble der Staatsoper, sondern auch die Akademie für alte Musik Berlin und das Vocalkonsort Berlin.

Henry Purcell wurde um 1659 in Westminster geboren und starb am 22. November 1695 in London. Henry Purcell wurde in der Westminster Abbey neben der Orgel begraben. Er starb vermutlich an Tuberkulose.

Purcell gehört zu den Komponisten des (englischen) Barock, die großen Einfluß auf moderne britische Komponisten wie Benjamin Britten, Michael Tippett, Peter Maxwell Davies oder Michael Nyman hatten. Selbst moderne Rock-Musiker berufen sich auf ihn: Pete Townshend von der Gruppe The Who zählt Purcell zu seinen bedeutendsten Einflüssen, was beispielsweise in den Anfangstakten von Pinball Wizard deutlich wird. Auch Klaus Nomi interpretierte Werke von Purcell als Countertenor.

Nahum Tate, der Librettist, geboren 1652; gestorben  30. Juli 1715 in London, war ein englischer Dichter und Schriftsteller.

Was mich besonders faszinierte, das war die Choreografie des modernen Bühnentanzes durch Sasha Waltz. Den Tänzerinnen und Tänzern gelang es, in vorzüglicher Maske und fantasiereichen Kostümen, zusammen mit den Sängerinnen und Sängern und den Musikern, das archaische Thema von Glück und Unglück der Dido und des Aeneas auf die Bühne zu bringen. Chor und Tanz traten gemischt auf, was das Geschehen auf der Bühne noch lebendiger machte.

Dido ist die sagenhafte Gründerin und Königin von Karthago, Aeneas ist ein Held der griechisch-römischen Mythologie. Er entstammt einer Nebenlinie des trojanischen Herrschergeschlechtes und ist Sohn des Anchises mit der Göttin Aphrodite (röm. Venus) und Vetter des Priamos. Aeneas gilt als Stammvater der Römer. Auf seiner Flucht aus Troja nach Rom landet er in Karthago. Dido und Aeneas verlieben sich ineinander, was die Pläne der Götter störte. „Liebe, Weiber und der Suff“, würde der Berliner sagen und vor allen Dingen ein Machtwort von Mutter Venus veranlaßt Aeneas abzureisen. Damit trieb er Dido zum Selbstmord.

Vergil, um die Geschichte über die Oper hinaus zu vollenden, berichtet  von Dido, daß sie kurz vor ihrem Tod Rache schwor und damit für den späteren Konflikt zwischen Rom und Karthago die Grundlage legte. Hier fließen Geschichte, Sage und Mythologie zusammen. Wer will da schon widersprechen, wenn ich behaupte, daß manche politischen Konflikte der Gegenwart ihre Ursachen in  Geschichte und Mythologie  haben.

Die Berliner Staatsoper Unter den Linden bietet ihren Besuchern ein „großes“ Programm-„Buch“ für  € 7,- an, das ich jedem Opern-Besucher empfehlen kann. In diesem Programm-„Buch“ wird die abenteuerliche Geschichte des Opernwerkes Dido & Aeneas, nach der Komposition und Erstaufführung, geschildert. Diese Geschichte ist englische Geschichte, fast im Detail,  die uns Deutschen oft unbekannt ist.

Die Uraufführung von Dido & Aeneas fand im April 1689  in einem Internat für „Young Gentlewomen“ statt, in einem Internat für Mädchen aus den höheren Ständen. Die Premiere der Berliner Inszenierung war am 19. Februar 2005. Die Vorstellung, die ich besuchte, war die 17. Vorstellung nach der Berliner Premiere.

Die Zahl der Menschen, die vor dem Einlaß mit einem Schild oder Zettel Eintrittskarten suchten, war groß. Das Theater war bis auf den letzten Platz besetzt. Es waren sehr viele junge Menschen unter den Zuschauern. Ein durch und durch gelungener Kulturabend.

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(D.K.) Ich sah am Dienstag, den  9. Dezember  im Berliner Ensemble (Brecht-Theater), auch Theater am Schiffbauer Damm genannt, das Lustspiel von Georg Büchner, „Leonce und Lena“, mit der Musik von Herbert Grönemeyer, unter der Regie von Robert Wilson.

In meiner Besprechung von Georg Büchners Woyzeck, Musik von Alban Berg, an dieser Stelle, im September 2004, schrieb ich über  Georg Büchner: >Er war ein Dichter des Vormärz (bürgerliche Revolution 1848) und lebte von 1813 bis 1837, wurde also nur 24 Jahre alt. Weil er Gründer der geheimen "Gesellschaft für Menschenrechte" und Herausgeber und Verfasser des Hessischen Landboten mit dem Motto Friede den Hütten, Krieg den Palästen war, mußte er nach Straßburg flüchten. Georg Büchner hat dann 1833/34 in Gießen Naturwissenschaften, Medizin und Philosophie studiert, und als er 1837 in Zürich starb, war er Privatdozent für Anatomie.<  Büchner ist durchaus ein beachtlicher Mann gewesen, der, unter schwierigsten Umständen, und ohne Rücksicht auf sich selber, in seinem kurzen Leben Beachtliches geleistet hat. Trotzdem habe ich meine Schwierigkeiten mit „Leonce und Lena“, besonders angesichts der Phalanx der Deutschlehrer an den Gymnasien und Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe. Über  „Leonce und Lena“ scheint es allerhand Lehrmaterial zu geben. Das Stück scheint Teil des Lehrplans zu sein. Seid also vorsichtig, Gymnasiasten, wenn ihr auf meine Besprechung stoßt.

„Leonce und Lena“ ist erst am 31. Mai 1895 in München uraufgeführt worden. Wikipedia schreibt in diesem Zusammenhang von >... Anachronismus Büchners ... dessen literarische Weltgeltung erst im 20. Jahrhundert erkannt wurde.<

2008 ist noch immer nicht geklärt, ob „Leonce und Lena“ ein Lustspiel (Originalbezeichnung) oder eine Komödie ist. In der bereits zitierten Wikipedia-Seite steht auch folgender Satz: >Leonce und Lena ist eine als Lustspiel konnotierte Komödie von Georg Büchner (1813 bis 1837), die nicht eindeutig als Lustspiel verbucht werden kann, sondern eher als eine in dem Deckmantel der Fröhlichkeit verpackte Satire verstanden werden sollte.< Ich möchte mal wissen, welcher „revolutionärer“ Theatergänger der Jetztzeit weiß, was konnotierte heißt. Ich habe nachgesehen. Da wird es noch komplizierter: im Duden  steht unter konnotieren ... eine Konnotation hervorrufen. Und unter  Konnotation steht  ... mit einem Wort verbundene zusätzliche Vorstellung, z.B. Nacht beim Mond. Das allein ist eine Satire auf die Intellektuellen der Jetztzeit.
Die Kritik in der Berliner Tageszeitung Der Tagesspiegel vom  3. Mai 2003  (die Premiere der aktuellen Inszenierung in Berlin war am 1. Mai 2003) ist mit Groteske überschrieben und enthielt den Satz: >Wahnsinn! Das Premierenpublikum raste (für Berliner Verhältnisse), und draußen, bei der Premierenfeier, mußte Hausherr Peymann die Paparazzi vertreiben, die auf Grönemeyer anlegten. Wilson hat gezaubert. Riesenauflauf, wunderbar. Plötzlich war Büchner weg, und keiner hat's gemerkt.

Ja, wirklich Wahnsinn! Da habe ich mit viel Mühe vor meinem Gang in das Theater das von Büchner geschriebene Original-Textbuch (Deutscher Taschenbuch Verlag € 4,-) gelesen und muß mir dann in einer Tagesspiegel-Rezension sagen lassen, daß Büchner nun weg ist. Übrigens: das Programmheft, welches Sie am Abend der Aufführung kaufen können, kostet meiner Erinnerung nach auch € 4,- und enthält den gesamten Text der Aufführung.

Irgendwo im Internet fand ich die Bezeichnung Musical (die ich für korrekt halte) für die aktuelle Aufführung von  „Leonce und Lena“. Die Musik von Herbert Grönemeyer gibt  dem Lustspiel, der Komödie, der Satire und der Groteske einen besonderen Pep, wenn ich das so schreiben darf, obwohl ich kein Fan von Grönemeyers Musikbin. Es  gibt in diesem Zusammenhang Hinzudichtungen.  Die Musik  wurde übrigens live geliefert, was für ein traditionelles Sprechtheater beachtlich ist.

Ich muß noch einmal auf das Original zurückkommen.Ich will keinesfalls Büchner korrigieren. Ich halte den Begriff Satire für sein Theaterstück (ursprünglich ohne Musik) für besser. Leonce wird als Kleinstaatenprinz von Popo präsentiert, Lena als eine Kleinstaatenprinzessin von Pipi. Schon das allein war für die Zeit Büchners eine Provokation Vom  Königspalast aus konnte man die Grenzen des Reiches des Königs von Popo sehen, eine Satire auf die Kleinstaaterei. In meinen Notizen, die ich während des Lesens des Textbuches gemacht habe, steht auch noch Spott und Hohn auf den degenerierten Adel, auf die Hofgesellschaft und auf die Untertanen.

Die bürgerliche Revolution verliert sich in Wortspielen und in der Langeweile des Prinzen von Popo, Leonce,  und gibt keine wirklichen, „revolutionären“ Impulse für die Jetztzeit.

Eine kurze Bemerkung zu Europa: Zu Büchners Zeiten war es kaum ein Problem, vom Großherzogtum Hessen nach Straßburg und nach Zürich zu „ziehen“. Heute, in EU-Zeiten,  bräuchte Büchner mindestens   Arbeits-und/oder Aufenthaltsgenehmigungen und wäre unter Umständen in Frankreich durch den „europäischen Haftbefehl“ bedroht, ganz abgesehen von den sozialen und demokratischen Zuständen der Gegenwart in Deutschland, Frankreich und der Schweiz.

Das Bühnenbild war sparsam und der Inszenierung angemessen. Das Theater war bis auf den letzten Platz gefüllt, mit allen erwachsenen Altersklassen.

 
     
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