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Kein Deutscher hat
das Recht, auf Rußland und seine Menschen herabzublicken, was auch
immer dort geschehen mag. Leider sitzt die antibolschewistische, antirussische
bzw. antislawische Propaganda der Nationalsozialisten tief in dem deutschen
Gemüt, verbunden mit der Angst vor dem Fremden, vor dem Unbekannten.
Wir Deutschen täten gut daran, uns mit Rußland mehr zu beschäftigen.
Rußland ist ein (rohstoff) - reiches Land, mit einer alten Kultur
und mit Menschen, die diese Kultur geprägt haben und von ihr geprägt
wurden.. Rußland hat keinen Bruder-und Schwesterstaat, wie es die
DDR in der BRD hatte, der/die ihr helfen kann. Aber auch hier: alleine die
40 Jahre deutscher Trennung hatten zur Folge, daß sich in DDR und
BRD, ich schreibe es mal so, unterschiedliche Kulturstränge entwickelt
hatten, eine Tatsache, die uns allen heute große Schwierigkeiten macht.
In Rußland hat es z.B. achtzig Jahre lang keinen Hauch eines selbständigen
Mittelstandes gegeben; auch vor der Revolution 1917 gab es nur eine sehr
dünne Schicht eines selbstbewußten Bürgertums.
Das bitte ich zu beachten, wenn wir unseren Blick nach Rußland wenden.
Da haben Politbürokraten, ehemals bekennende Kommunisten, wie sie auch
heißen mögen, versucht, Kapitalismus pur einzuführen, ohne
selbst zu wissen, was das ist. Da ist z.B. der ehemalige und nunmehr wieder
- designierte - Ministerpräsident Tschernomyrdin, der unter Kapitalismus
die persönliche Aneignung von russischem Volkseigentum und westlicher
Hilfe versteht und zu einem der reichsten Männer Rußlands aufgestiegen
ist. Er gehört der Fronde der neuen Millionäre an, die Jelzins
Wahlkampf finanzierten und deren Gefolgsleute demzufolge in dem Beraterstab
von Jelzin die Mehrheit haben.
In der Berliner Tageszeitung DER TAGESSPIEGEL beschreibt am 2. September
Sonja Margolina unter der Überschrift Aufstieg der Amokläufer
und unter der Unterüberschrift Die Hoffnung, daß in Rußland
eine funktionierende Marktwirtschaft aufgebaut wird, muß vorerst aufgegeben
werden. Keine Marktwirtschaft, kein Wachstum, keine Demokratie. Und Schuld
daran haben fast alle - auch der Westen. Die Korruption in Rußland
und die neuen Reichen. Ich brauche das, glaube ich, nicht zu wiederholen,
weil das ja süffisant in vielen deutschen Medien ausgebreitet wird.
Die Berichterstatterin schreibt aber auch, wie sich us-amerikanische Berater
bereichert haben und daß sie, und dies ist noch schlimmer, in Unkenntnis
der russischen Verhältnisse (Kultur) beraten haben. Interessant fand
ich auch einen Absatz, den ich Ihnen nicht vorenthalten kann: Das schwierigste
Erbe der Sowjetunion ist aber die Elite. Ihr desolates Niveau, behauptet
der Moskauer Soziologe Lew Gudkow, habe die Elite dem sowjetischen Bildungssystem
zu verdanken, das eine autoritär-utilitaristische (Utilitarismus
= philosophische Lehre, die im Nützlichen die Grundlage des sittlichen
Verhaltens sieht und ideale Werte nur anerkennt, sofern sie dem Einzelnen
oder der Gemeinschaft nützen) Mentalität reproduzierte. Diese
Bildung stimulierte nicht nur Selbstkultivierung, motivierte nicht zum Leistungsstreben,
sondern sah die einzige Ressource lediglich in der Ausbeutung des Anderen.
Den Großteil der Elite bildeten Ingenieure, das heißt Menschen,
die alle sozialen und politischen Fragen technokratisch auffaßten:
Die sozialen Institutionen orientierten sich immer noch auf die Konservierung
des Systems und nähmen dafür die Einschränkung des menschlichen
Potentials in Kauf. Vor diesem Hintergrund blühten Vetternwirtschaft
und Korruption, und es entfaltete sich eine unglaubliche Arroganz der "Reformer"
gegenüber der Bevölkerung und dem Schicksal des Landes.
Ich habe wenig Veranlassung, die Analyse eines Einheimischen als falsch
abzutun, obwohl hier mal wieder Philosophie und Soziologie sehr auseinander
zu laufen scheinen. Wenn ich mich als Außenstehender nur auf die Philosophie
einlasse, dann kann ich nur sagen, sie braucht Futter zum Leben.
Was Rußland braucht, das sind genau die Ideen, die auch uns aus unserer
Krise helfen würden: ein umlaufgesichertes Geld (ohne Zinsen), eine
Regionalisierung der Wirtschaft, einen basisdemokratischen Staatsaufbau,
ein Eigentumsrecht (insbesondere auch das an Grund-und Boden), welches mehr
an der Gemeinschaft der Menschen orientiert ist als an sachfremden Profit
- Interessen.
Da wir selbst das nicht schaffen, was für Rußland notwendig ist,
ist Gelassenheit erste Bürgerpflicht. Was uns zu beunruhigen hat, daß
ist der rote Knopf in Jelzins Koffer, mit dem ein atomares Inferno ausgelöst
werden kann. Was uns auch zu beunruhigen hat, ist, daß sich in der
russischen Politik das Gefühl breitmachen kann, - als größtes
Opfer und schließlich als Sieger des 2. Weltkrieges - international
ungerecht behandelt zu werden. So wie sich die Deutschen nach dem 1. Weltkrieg
durch den üblen Versailler Vertrag in Drittklassigkeit abgedrängt
sahen. Es gibt da eine hohe internationale Verantwortung, aber es gibt,
aus der Geschichte heraus, eine besondere deutsche Verantwortung. Zum wiederholten
Mal z.B.: Das sogenannte alliierte Museum in Berlin - Dahlem berücksichtigt
nur die Franzosen, Briten und US-Amerikaner, nicht die Sowjetunion, als
wenn wir Deutschen unter Hitler der Sowjetunion nicht den Krieg erklärt,
und im Gegensatz zu den westlichen Ländern, nicht unendlich viel Leid
über die sowjetischen Völker gebracht hätten. Ich habe das
ungute Gefühl, daß dieses durch und durch unpolitische deutsche
Volk diese Verantwortung nicht begriffen hat. Es gibt noch einen dritten
Punkt der Beunruhigung: solange wir keine wirtschaftlichen und staatspolitischen
Alternativen für uns und bei uns diskutieren, und nach reiflicher Überlegung
bei uns verwirklichen, werden sie bei den Russen auch nicht diskutiert und
eingeführt. Solange wird uns die russische Krise erhalten bleiben und
solange werden wir auch im kapitalistischen Sinn draufzahlen müssen.
Einspruch: (Auch wieder -) solange wir z. B. Erdöl und Erdgas aus der
ehemaligen Sowjetunion so billig beziehen, wie zur Zeit, so billig, daß
es uns eigentlich die Schamröte ins Gesicht treiben müßte,
solange ist es schon Recht, wenn in Zukunft die Steuern für die Normalverdiener
erhöht werden, damit die Normalverdiener die Verluste der Banken und
Großindustrie aus dem Rußlandgeschäft bezahlen, die dann
wieder Leute wie Tschernomyrdin zu Millionären machen.
Zudem muß ich Sie auf eine Sache aufmerksam machen, die eigentlich
bekannt ist, nun aber nach meiner Meinung eine besondere Aktualität
erlangt. Bestechungsgelder, die deutsche Firmen im Ausland zahlen, sind
im deutschen Inland steuerlich absetzbar. Sogar ohne unterschriebene Quittung.
Das wird damit begründet, daß in solchen Ländern wie Rußland
nichts ohne Bestechung läuft. Die Bestechungsgelder werden natürlich,
auch wenn sie in Deutschland steuerwirksam sind, von den deutschen Firmen
in die Aufträge eingerechnet. Gezahlt werden sie also indirekt vom
deutschen und russischen Volk. Nutznießer dieser Bestechungsgelder
sind in Rußland die neuen Millionäre, die ihr Einkommen natürlich
nicht versteuern. Dieses Verfahren ist in Rußland weitgehend bekannt
und trägt natürlich nicht dazu bei, den Russen auf der Straße
von unserem Rechtssystem und der bei uns praktizierten Demokratie zu überzeugen.
Natürlich ist das nur eine Facette des Fasses ohne Boden in Rußland.
Sie zeigt aber unsere - der Deutschen - direkte Verantwortung für bestimmte
Entwicklungen. Wir können uns nicht hinstellen und mit dem Finger auf
Jelzin zeigen. Der Finger sollte auf uns selber gerichtet sein.
Schlußbemerkung: Die eingerechneten Bestechungsgelder sind natürlich
durch die Bürgschaften der Bundesregierung abgesichert und werden,
falls Rußland nicht zahlen kann, vom deutschen Steuerzahler aufgebracht.
Toll, was, oder, da bleibt einem die Spucke weg, so ist es nun einmal, so
funktioniert unsere Parteien-Demokratie und das ist das Arbeitsergebnis
unserer heren Redenschwinger. |
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