Dieter Kersten - September 1998    
Aufstieg? und Niedergang?
- oder auch -
Gibt es besonders weise Völker? und Frauen/Männer?
 
     
  Es sind die größten Überschwemmungen in der Geschichte Chinas, die in diesem Jahr das Land heimsuchen.. Die Fernsehbilder, die wir sehen und die nur einen kleinen Ausschnitt des äußerlichen Geschehens wiedergeben, zeigen nahezu archaische Zustände bei dem Kampf gegen die Wassermassen.
Wenn ich es noch richtig im Ohr habe: es ist gar nicht lange her, da haben China - Spezialisten die durch die Jahrtausende alte Geschichte gebündelte Weisheit des chinesischen Volkes und insbesondere die seiner Führer und, herausragend, die von Mao Tse Tung, über den grünen Klee bejubelt.
In der Wochenzeitschrift FREITAG vom 7. August beschreibt Torsten Wöhlert unter der Überschrift Die Drachenbändiger die unregelmäßig wiederkehrenden meteorologischen Erscheinungen in China und fährt dann fort: Daraus resultierende Flutkatastrophen sind jedoch das Werk von Menschen, die dem Wasser den nötigen Raum nehmen. Wie zum Beispiel am Dongtin-See westlich der bedrohten Stadt Wuhan. Der einst größte See Chinas mündet in den Yangtze und diente dem Hochwasser lange Zeit als natürliches Ausgleichsreservoir. Zu Beginn der Ming-Dynastie (1368-1644). so lokale Chroniken, bedeckte der See eine Fläche von 14 000 Quadratkilometern. Damals kam es im Schnitt nur alle 83 Jahre zu Hochwasserkatastrophen. Während der Ming-Dynastie, die sich unter anderem auch durch einen Aufschwung der chinesischen Landwirtschaft dank Bewässerungsbauten und Brachlandgewinnung auszeichnete, schrumpfte der Dongrin-See auf 6 200 Quadratkilometer - und der Yangtze trat nun im Abstand von 20 Jahren über seine Ufer. Anfang der achtziger Jahre unseres Jahrhundert betrug die Fläche des Sees nur noch etwas über 2 500 Quadratkilometer. Seitdem sind >>Jahrhunderthochwasser<< die Regel. Allein in der Provinz Hubei, die der Volksmund >> Provinz der tausend Seen << nennt, verschwanden seit Gründung der Volksrepublik China über 600 solcher natürlichen Wasserreservoire von der Landkarte. .... Getreu der Maoschen Losung >>Getreide in der Mitte von Seen und auf den Gipfeln von Bergen anzubauen<<, wurden seit den siebziger Jahren die Berghänge an den Oberläufen des Yangtze und seiner Nebenflüsse abgeholzt und terrassiert.. Die Folge der dadurch reduzierten Wasserspeicherkapazität sind 40 Prozent des Yangtze-Einzugsgebietes von Bodenerosionen betroffen. Die abgespülten Erdmassen lagern sich auf dem Grund des Flusses ab, der mittlerweile die drittgrößte Schlammfracht der Welt transportiert. ...
600 Jahre permanente Unfähigkeit der Führungspersonen, mit dem besonderen I-Punkt Mao Tse Tung, seiner Clique und seiner Nachfolger, führen zu einer menschlichen, ökologischen, ökonomischen Katastrophe und möglicherweise politischen Krise, die dann die Solidargemeinschaft Erde zu bewältigen hat.
In dem gleichen Artikel wird auch über den geplanten Dreischluchten - Stausee des Jangtze berichtet. Es heißt da u.a.: Bis zum Jahre 2003, wenn das Wasser im Stausee eine Höhe von 135 Meter erreicht hat,, müßten weitere 500.000 ihre angestammte Heimat verlassen. Am Ende sollen es 1,3 Millionen sein. Mit Ausnahme weniger Vorzeige-Umsiedler, verlieren die Menschen nicht nur ihre angestammte Heimat, sondern erhebliche Teile ihres Hab und Guts. Zwar gibt es Kompensationszahlungen, doch die reichen längst nicht aus, Verluste und Kosten der Umsiedlung ganzer Dörfer und Kleinstädte zu tragen. Verarmung und Massenelend sind die Folge, weil es weder genügend Arbeitsplätze, noch genügend Ackerland für die Umgesiedelten gibt. Korruption und Repression tun ein übriges.
Noch einmal: wenn ich es noch richtig im Ohr habe ... wird die Abwehr ausländischer Kritik mit dem Stolz der Chinesen auf ihre alte Kultur beschrieben. Der Kaiser des Reiches der Mitte empfing die Fremden, die einen Kotau vor ihm machen, sich vor ihm hinwerfen mußten. Die Kaiser machten keine Staatsbesuche, sie empfingen nur welche. Noch Mao hielt sich für so groß, daß er nur Stalin seine Aufwartung machte. Die vermutlich Jahrtausende alte Praxis führte zu der merkwürdigen Erstarrung, man würde als Volk und als Einzelner sein Gesicht verlieren, wenn man einer Kritik von außen Raum geben würde. Dennoch ist das chinesische Volk genauso wenig wie jedes andere Volk ein auserwähltes Volk.
Der vom Hochwasser betroffene einzelne Chinese wird das vielleicht ahnen, die politische Klasse und wahrscheinlich ein großer Teil der Intellektuellen wollen es nicht wissen. Angesichts des ebenfalls "auserwählten" US - Amerikanismus, der eigentlich den Widerstand der Völker und Kulturen braucht, ist das aus der Historie gewachsene chinesische Hochwasser eine die menschlichen und materiellen Verluste übersteigende Weltkatastrophe.
Es gibt noch einen weiteren Grund, das chinesische Volk als ein Volk unter Völkern zu sehen: genauso wenig wie die technisch entwickelten anderen Völkern gelingt es weder den Intellektuellen des chinesischen Volkes, noch den politisch Verantwortlichen und dem Volk selber, neue Ideen der ökonomischen Wissenschaften, der Naturwissenschaften und der Staatswissenschaften aufzunehmen. Das Argument, welches für den Dreischluchten - Staudamm verwendet wird, nämlich die Energiearmut Chinas, kann mit ökologischen und dezentralen Energieinnovationen begegnet werden. Daß die herrschende Klasse davon nichts weiß und die mit ihr in gegenseitiger Abhängigkeit verbundenen Wissenschaften davon nichts wissen wollen, und daß das Volk das duldet, stellt das chinesische Volk mit allen anderen Völkern gleich.
 
     
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