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Zwei/drei Tage vor
den Bundestagswahlen rief mich ein Leser an, um mich zu fragen, ob ich mich
auch so richtig freuen würde, wenn nach gelungenem Kanzlerwechsel wenigstens
Teile der Forderungen des Kommentar - und Informationsbriefes erfüllt
werden würden. Verblüfft antwortete ich, ja, natürlich, und
kam mir anschließend vor wie einer, der dauernd meckert, dem nichts
recht zu machen ist. Dabei liegen meiner Kritik immer grundsätzliche
Überlegungen zugrunde, die nicht bei jeder Kritik in aller epischen
Breite wiederholt werden können.
Während ich beginne, die Zeilen zu schreiben (28. September) ist eine
Regierung Schröder nur in Ansatzpunkten erkennbar. Die berühmten
100 Tage Schutz - und Bewährungszeit haben noch nicht einmal begonnen.
Es ist also Zeit bzw. Gelegenheit zu mahnen, daß ein Politikwechsel
nicht nur ein Wechsel von Personen, Generationen, von Prozentsätzen
bei der Einkommensteuer und den Ökosteuern ist, sondern daß Politikwechsel
erst einmal ein Wandel auf der geistigen Ebene sein muß. Der Sozialdemokrat
Willy Brandt, auch einmal Bundeskanzler, hat das als einen kleinen Teil
dieser Wahrheit mit dem Slogan mehr Demokratie wagen umschrieben. Aber auch
diese drei Worte gingen ins parteipolitisch Leere: wie sehr das Gift >>
geistiger << Leere in der nun wahrscheinlich zustande kommenden Koalition
verankert sein könnte, zeigt der anschließende Beitrag Bündnisgrüne
Skepsis ist jetzt Programm, den ich der ZEITSCHRIFT FÜR DIREKTE
DEMOKRATIE Nr. II/98 entnommen habe.
Je mehr Europa wir aufgezwungen bekom- men, desto mehr Demokratie brauchen
wir unten. Das Substitutions - Prinzip, was heißt, daß das,
was unten erledigt werden kann, auch unten erledigt werden muß, schreit
nahezu nach direkter Beteiligung der Bürger. Je mehr Globalisierung
uns aufgebrummt wird (was nicht nur eine Sache wirtschaftspolitischer Macht
ist, sondern einen technisch-rationialen Hintergrund hat), desto mehr müssen
wir durch Bildung lokaler Märkte Arbeitsplätze schaffen. Daß
zu der Schaffung lokaler Märkte unterhalb der Globalisierungsfalle
auch die Einführung von lokalem [ zinsfreiem ] (Tausch-) Geld nötig
sein wird, müßte - bei Politikwechsel - einer Regierung Schröder
auch klar sein. Sie muß die gesetzlichen Voraussetzungen dazu schaffen.
Ach ja, zu den Voraussetzungen eines Politikwechsels gehört auch der
Blick auf ein Rechts-Tohuwabohu, welches nur noch Rechtsunsicherheit bietet.
Ein wesentlicher Teil eines neuen Rechtsbewußtseins ist das Genossenschaftsrecht,
welches es, da im Kern nicht römisches Recht, als Gemeinschaftsrecht
auszubauen gilt. Zur Zeit richten zügellose Individualrechte Schaden
auf Schaden an; es muß gelingen, die Individualrechte mit den Gemeinschaftsrechten
in Ausgleich und Einklang zu bringen.
Zu den Steuerplänen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen kann
ich gar nichts schreiben. Sie erscheinen mir als einfacher Bürger zu
undurchsichtig. Wenn schon die Spekulation mit dem Grund- und Boden in einer
möglichst baldigen Rechtsreform nicht verhindert werden kann, so sollten
wenigstens die Spekulationsgewinne durch das Finanzamt abgeschöpft
werden. Es ist unerträglich, daß mit unserer Mutter Erde ein
so schwunghafter Handel getrieben wird. Wir haben zwar in unseren Breitengraden
die Sklaverei bzw. die Leibeigenschaft unter Menschen abgeschafft; unsere
wichtigste Lebensgrundlage behandeln wir, nicht nur bei der Spekulation,
schlimmer als die archaischen Sklavenhalter.
Ich gebe zu, daß ich den fast erdrutschartigen Sieg der SPD und PDS
nicht erwartet hatte. Ich hatte sogar die Sorge, daß die PDS nicht
den Sprung in den Bundestag schafft oder auch weiterhin nur als Gruppe und
nicht als Fraktion tätig sein kann. Ich hatte mir diese Sorge gemacht,
weil in meinen Augen die PDS eine wichtige Klammerfunktion zwischen Ost
und West in Deutschland wahrnimmt. Mehr bei der SPD als bei der PDS drückt
sich in diesem Wahlergebnis der Wunsch der Wählerinnen und Wähler
nach einem echten Politikwechsel aus. Vielleicht sind es nur die 4,5 % Wähler,
die die SPD gegenüber 1994 zugelegt hat, also auf die Gesamtzahl der
Wahlberechtigten ca. knapp 3 %. Das wäre ja was, um Veränderungen
zu erreichen.
Vielleicht wollen Sie noch etwas über die DVU von mir hören? Natürlich
gibt es einen Bodensatz von Rechtsradikalen in unserem Land, Leute ohne
(geschichtliche) Bildung, die noch totaler den Resten deutscher Kultur entrissen
sind als der Großteil der Deutschen. Es scheinen mehr und mehr Jugendliche
zu sein, die den rechtsradikalen Parolen folgen. Neben der spätpubertären
Protesthaltung gegenüber den Alten, den nicht zu unterschätzenden
sozialen Verwerfungen, der mangelnden Erziehung und des fehlenden Vorbilds
durch die Erziehungsberechtigten spielen auch die diffuse sowjetische und
us-amerikanische Umerziehung der Nachkriegszeit eine Rolle. Die Unsicherheit
der Erwachsenen, z. B. gegenüber der Pädagogik, schlägt auf
die Jugend durch. Deshalb ist es auch Aufgabe eines Politikwechsels, die
Wurzeln unserer Kultur offenzulegen und eine mühsame Rekultivierung
einzuleiten. Das hat was mit Bildung und mit Schule zu tun. Und mit Freiheit.
Politikwechsel kann also nicht nur Steuerreform sein und mehr Geld in den
Lohntüten. Politikwechsel ist vor allen Dingen ein geistiges Problem.
Werden das Schröder, die SPD und Bündnis 90/Die Grünen schaffen?
Ich fürchte, wir müssen als außerparlamentarische Opposition
noch sehr viel tun, um wenigstens einige Teile des Politikwechsels zu erreichen.
Ich freue mich, daß keiner der rechtsradikalen Parteien, wie DVU,
NPD und Republikaner, in den Bundestag und in den mecklenburgischen Landtag
gekommen sind. Die Wähler haben politische Reife bewiesen. Die Wahl
der DVU in Sachsen-Anhalt hat Protestwähler so erschrocken, daß
sie ihren Protest wieder mehr bei der PDS abgeladen haben. Ich kann nur
hoffen, daß der Schreck von Sachsen - Anhalt lange wirksam ist.
Ich bin gegen eine große Koalition, obwohl, ich schreibe das sehr
einschränkend, sie u.U. den Vorteil hätte, die außerparlamentarische
Opposition zu stärken. Über den GRÜNEN Trittin kann ich mich
nur wundern: in der Bonner Runde am Wahl- abend hat er bei der Frage, bei
welcher Mehrheit er koalieren würde, einen ganz merkwürdigen Eiertanz
aufgeführt. Seine Antwort hätte lauten müssen: selbst bei
einer Stimme Mehrheit im Bundestag koaliere ich mit der SPD. Der bei mir
nicht sehr beliebte SPD-Vorsitzende Lafontaine hat, und das begrüße
ich sehr, möglichen Koalitionsverhandlungen mit der PDS in Mecklenburg
- Vorpommern nicht nur zugestimmt, sondern die Diskriminierung der PDS als
beendet erklärt. Das kann der politischen Kultur in Deutschland nur
gut tun. Herr Schröder hat dann am 28. September in einer Fernsehsendung
wieder fast einen Rückzieher gemacht, was gegen seine politische Weitsicht
spricht.
Auch bei der CDU/CSU tut sich einiges: Kohl, Waigel, Porzner und Hintze
treten zurück. Kohl hat sich in der Bonner Runde am Wahlabend beachtlich
gut gehalten. Am 28. 9. wirkte Kohl nahezu locker, entspannt und vom Amt
befreit. Wir werden sehen, was mit der CDU/CSU passiert. Diese zwei Parteien,
die sich selber immer als Union bezeichnen, sind in sich widersprüchlich.
Vielleicht gehen wir politisch spannenden Zeiten entgegen. Vielleicht ist
in Zukunft manche Reform mit der CDU besser machbar als mit der SPD. Aber
- es gibt nichts, was mich zu Spekulationen veranlassen könnte.
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