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Artikel fand ich ursprünglich im berliner straßenmagazin motz,
einer Obdachlosenzeitschrift. Er hatte dort die Überschrift Wanderer
wider Willen. Meine Anfrage wegen der Abdruckerlaubnis wurde an den Autor
weitergeleitet, der mir zusammen mit seiner Erlaubnis das Originalmanuskript
zuschickte. Danke schön!
Gegen Mitternacht der Weimarer Republik, am 20. Januar 1933, tagten in
Erfurt die Vertreter der deutschen Landesfürsorgeverbände. Mit
ihnen waren auch Vertreter der deutschen karitativen Wandererfürsorgeverbände
gemein. Der Tagesordnungspunkt "Wandererfüsorge" hatte
den Hintergrund, mit den 400 000 armen Menschen, andere Schätzungen
nannten 800 000 bis 2 Millionen, die auf der Straße waren, um Arbeit
und Wohnung zu finden, "fertig zu werden. In der Niederschrift zur
Tagung gibt es für diese armen Menschen den Begriff "seßhafte"
Wanderer, das sind Wohlfahrtserwerbslose, die von den Städten auf
das Land ziehen und Lebensmittel betteln. Es gibt auch das Wort "Wanderer"
für Menschen, die mittellos, arbeitslos und obdachlos sind und sich
von Ort zu Ort nach Arbeit umsehen, und für "asoziale Elemente",
das sind Landstreicher und Stromer, die zum Teil bösartig und verbrecherisch
sein sollen. Die wandernden Arbeitslosen der Wirtschaftskrise, diese Straßen
- Armutsmenschen, haben einen hohen Anteil von jungen Menschen.
In der Tagungsniederschrift, dem Erfurter Programm des Kampfes gegen Armutsmenschen,
steht: Strenges Vorgehen gegen die asozialen Elemente. Polizeiliche Kontrolle,
strafrechtliches Vorgehen, Einweisung ins Arbeitshaus. - Die kranken und
gebrechlichen Wanderer sind in Heime unterzubringen. Sehr notwendig ist,
die jugendlichen Wanderer unter 18 Jahren auszuschalten. - Neben einer
harschen "Fürsorge" wollen die Landesfürsorgeverbände
die polizeiliche und strafrechtliche Verfolgung der asozialen Wanderer,
die aus dem Wanderstrom ausgeschaltet werden sollen.
Ein Weltbild von wäßriger Konsistenz zeichnet sich ab, in dem
es weder im Reich der Fakten noch auf dem Gebiet der Moral irgendwelche
Hierarchien oder feste Punkte gibt. Alles ist gleich wichtig oder unwichtig.
Ein "hübsches Ambiente" am Ende der Weimarer Republik.
Mit knappen Strichen will ich zeichnen, wie Armutsmenschen in der Vergangenheit
gesehen wurden, wie ihnen Schlimmes angetan wurde. Immer wieder werden
Straßen-Armutsmenschen gezwungen, "mobil" zu sein, ihre
Lebenspunkte zu verlassen. Aktuell heißt das Programm "Innere
Sicherheit in den Städten". Die Vertreibung der Straßen-Armutsmenschen
geht in eine neue Phase. Wie waren nun Verhältnisse in der Vergangenheit?
Die beiden Hauptformen gesellschaftlicher Hilfe für bedürftige
Arme waren während des gesamten Mittelalters die Pflege im Spital
und das Almosen. Von größerer Bedeutung für die Masse
der Armutsmenschen war das Almosen. Es wurde von den Reichen entweder
direkt den Bettlern gegeben oder den städtischen Kirchen und Klöstern
zur Verteilung überlassen. Mit dem ausgehenden 15. Jahrhundert wird
versucht, diese Almosenpraxis auf eine neue Grundlage zu stellen. Die
Ursachen dieses Wandels sind mehrdeutig. Hier wird die Zunahme der Straßen-Armutsmenschen
genannt, das Aufkommen der Geldwirtschaft und des Kreditwesens, ein neues
Selbstverständnis der "Obrigkeiten". Für süddeutsche
Städte ist der Abzug reicher Bevölkerungsschichten aufs Land
und der Zuzug armer ländlicher Bevölkerungsgruppen mit der Folge
von nicht stabilen städtischen Sozialgefügen zu erwähnen.
Aber auch die Versorgung der gänzlich oder partiell Arbeitsunfähigen
konnte die Stadt auf Dauer nicht sicherstellen.
In Augsburg wurden "fremde Bettler" (nicht ortsansässige)
nach der Bettelordnung von 1459 drei Tage geduldet und 1461 schaffte der
Rat sie ganz hinaus (vor die Tore). 1512 erhielten die Torknechte die
Instruktion, Bettler an die Haupttore zu schicken, dort sollten sie befragt
werden nach Herkunft und Zukunftswünschen. Konnten oder wollten sie
darüber keinen Aufschluß geben, so sollten sie abgewiesen werden.
An bestimmten Tagen, wie Allerheiligen oder Allerseelen, später auch
zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten, erhielten Bettler Almosen gereicht.
Nach dem dreißigjährigen Krieg gab es ein unübersehbares
Elend. Generell wurden in Augsburg fremde Bettler nicht versorgt. Sammelten
sich solche vor der Stadt, so machten die Gassenknechte einen Ausfall
und trieben sie weg. Die Straßen-Armutsmenschen wurden nicht überall
gleichmäßig behandelt. An einem Orte war es strenger, an einem
anderen war es nachsichtiger.
Mißlicher noch als am Ende des 17. Jahrhunderts gestalteten sich
die sozialen Verhältnisse am Anfange des 18. Jahrhunderts. Der spanische
Erbfolgekrieg brachte Elend, namentlich über Menschen in Bayern.
Kreisschlüsse und Reichsstädte ordneten Streifen auf die Bettler
an. In einem Gebiete wurden durch die Streifen Bettler vertrieben, sie
kamen dann in andere Gebiete und wurden dort nicht gestört. Kurz:
Straßen-Armutsmenschen mußten mobil sein, hatten hohe Schwierigkeiten,
ihr Leben zu fristen. 1711 wurde in Augsburg eine Armenanstalt errichtet,
die auch Almosen an fremde Bettler gab. Eine Registrierung und Befristung
des Aufenthalts waren Bedingungen. Der Rechenschaftsbericht von 1712 erwähnt
7.533 Fremde, darunter viele Kinder. Es gilt festzuhalten: solange eine
Gemeinde nur die versorgte, die zu ihr "gehörten", wurden
die Ortsfremden im Falle der Verarmung hinausgeworfen oder "auf den
Schub gebracht", das heißt mit Bettelfuhren in ihre Heimatgemeinde
gekarrt.
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